Große BRAO-Reform – Fragen zur Versicherung

Der Gesetzgeber hat umfassend die BRAO reformiert. Ab dem 01.08.2022 gibt es insbesondere eine neue Versicherungspflicht für Anwaltsgesellschaften.
TEXT: Dr. Stefan Riechert, Allianz Versicherungs-AG

Der Gesetzgeber hat umfassend die BRAO reformiert. Ab dem 01.08.2022 gibt es insbesondere eine neue Versicherungspflicht für Anwaltsgesellschaften.

1. Was bedeutet die Versicherungspflicht einer Berufsausübungsgesellschaft?

Bisher waren die Sozietäten in der Form einer BGB-Gesellschaft oder einfachen Partnerschaft nicht zu versichern. Mit der BRAO-Reform müssen sich alle Gesellschaften, gleich welcher Organisationsform, pflichtversichern, § 59n Abs. 1 BRAO-Neu. Die Gesellschaften müssen die Versicherungsnehmerin der Pflichtversicherung sein.

Der Umfang der Versicherung richtet sich danach, ob die Gesellschaft haftungsbeschränkt ist oder nicht. Haftungsbeschränkte Gesellschaften sind solche, bei denen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung rechtsformbedingt keine natürliche Person haftet oder bei denen die Haftung der natürlichen Personen beschränkt wird. Darunter fallen insbesondere alle Kapitalgesellschaften und die Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartmbB) und die Kommanditgesellschaften mit der GmbH & Co. KG. Die Kommanditgesellschaft fällt grundsätzlich auch unter die haftungsbeschränkten Gesellschaften, weil die Kommanditgesellschaft eine umfassende Haftungsbefreiung erlaubt durch Leistung der Haftungssumme durch den Kommanditisten.

Die nicht-haftungsbeschränkten Gesellschaften bilden die übrigen Gesellschaften, insbesondere die Sozietät in Form einer BGB-Gesellschaft oder einer einfachen Partnerschaft nach dem PartGG.

2. Welchen konkreten Versicherungsumfang haben die Pflichtversicherungen?

a)    Haftungsbeschränkte Gesellschaften
Die Versicherungssumme ist bei den haftungsbeschränkten Gesellschaften davon abhängig, ob es sich um eine kleine Gesellschaft mit bis zu einschließlich 10 Personen handelt, oder um eine große Gesellschaft mit mehr als 10 Personen. Maßgeblich ist damit, was man unter „Personen“ einer Gesellschaft versteht. Personen sind erst einmal alle Anwälte, gleich ob sie Gesellschafter, Angestellte oder freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Auch ist unerheblich, ob der Anwalt in Voll- oder Teilzeit arbeitet. Es gilt hier schlicht die Kopfzahl der Berufsträger, um die Regelung einfach zu halten, § 59o Abs. 2 BRAO-Neu.

Wichtig ist aber, dass der Begriff „Personen“ auch diejenigen erfasst, die in einer interprofessionellen Gesellschaft mit den Anwälten ihrem Beruf nachgehen.

Wichtig ist aber, dass der Begriff „Personen“ auch diejenigen erfasst, die in einer interprofessionellen Gesellschaft mit den Anwälten ihrem Beruf nachgehen. Mitzuzählen sind daher auch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und auch sonstige sozietätsfähige Berufsgruppen wie Architekten oder Bauingenieure. Auch diese Personen, obwohl sie das Berufsrisiko einer Anwaltstätigkeit nicht erhöhen können, zählen zu der „10-Personen-Grenze“.

Der Gesetzgeber hat hier eindeutig nach § 59o Abs. 2 BRAO-Neu entschieden: „…in denen nicht mehr als zehn Personen anwaltlich oder in einem Beruf nach § 59c Absatz 1 Satz 1 BRAO-Neu tätig sind“. Nicht mitzuzählen sind aber die Hilfskräfte, z. B. die Angestellten im Sekretariat, weil sie allein unterstützend tätig sind, aber nicht den Anwaltsberuf ausüben.

Versicherungssummen und Jahreshöchstleistung der haftungsbeschränkten Gesellschaften:

  • Kleine haftungsbeschränkte Gesellschaften mit bis einschließlich 10 Personen: EUR 1.000.000 Versicherungssumme; Jahreshöchstleistung für alle Schadenfälle eines Jahres mal Anzahl der Gesellschafter/Geschäftsführer, die nicht Gesellschafter sind, mindestens 4-fach.
  • Große haftungsbeschränkte Gesellschaften ab der 11. Person: EUR 2.500.000 Versicherungssumme; Jahreshöchstleistung für alle Schadenfälle eines Jahres mal Anzahl der Gesellschafter/Geschäftsführer, die nicht Gesellschafter sind, mindestens 4-fach.

Die Jahresmaximierung richtet sich danach, wer Gesellschafter/Geschäftsführer ist. Aber anders als bei der 10-Personen-Grenze zählen hier nicht alle Gesellschafter/Geschäftsführer dazu. Es zählen für die Maximierung nur die Gesellschafter/Geschäftsführer, die Anwälte sind. Die übrigen Gesellschafter, wie z. B. Steuerberater, sind nicht zu zählen. Der Begriff der Gesellschafter umfasst aber auch die Scheingesellschafter oder Scheinpartner bei einer PartmbB, weil diese im Rechtsverkehr und damit insbesondere für den Mandanten ersichtlich nach außen hin auftreten, z. B. auf dem Briefbogen als Anwalt genannt sind, aber nicht als „angestellter Anwalt“ gekennzeichnet sind.

b)    Nicht-haftungsbeschränkte Gesellschaften
Die Pflichtversicherung für die nicht-haftungsbeschränkten Gesellschaften beträgt EUR 500.000 Versicherungssumme; Jahreshöchstleistung für alle Schadenfälle eines Jahres mal Anzahl der Gesellschafter/Geschäftsführer, die nicht Gesellschafter sind, mindestens 4-fach.

Auch hier gilt das Gleiche wie bei den haftungsbeschränkten Gesellschaften. Die Gesellschafter/Geschäftsführer sind nur diejenigen, die auch anwaltlich tätig sind, aber auch die Scheingesellschafter, Scheinpartner und Scheinsozien.

c)    Versicherungspflicht des einzelnen Anwalts
Die Versicherungspflicht der Gesellschaft hat die Versicherungspflicht des einzelnen Anwalts nicht aufgehoben, § 51 BRAO. Jeder, der den Titel Anwalt führen will, benötigt noch zusätzlich eine sogenannte Zulassungspolice. Sie ist eigenständig und unabhängig von der Versicherung der Gesellschaft. Hier beträgt die Mindestversicherungssumme wie bisher mindestens EUR 250.000, 4-fach maximiert.

Die Versicherungspflicht der Gesellschaft hat die Versicherungspflicht des einzelnen Anwalts nicht aufgehoben.

3. Muss die Gesellschaft zugelassen werden?

Nach § 59f BRAO-Neu müssen sich grundsätzlich alle Berufsausübungsgesellschaften zulassen. Es gibt aber eine Ausnahme: Wer in einer nicht-haftungsbeschränkten reinen Anwaltsgesellschaft tätig ist oder eine gründen will, kann sie bei der örtlichen Rechtsanwaltskammer zulassen, muss es aber nicht. Auch nicht zulassen muss sich eine interprofessionelle Personengesellschaft ohne Haftungsbeschränkung zusammen mit anderen Gesellschaftern aus den rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen, also Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern, §§ 59f Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 59c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRAO-Neu. Zulassen muss sich aber jede Gesellschaft mit sonstigen anderen freien Berufen. Zulassungspflichtig nach der BRAO ist aber immer nur die Gesellschaft für die anwaltliche Berufstätigkeit. Andere Berufsordnungen können ebenfalls eine Zulassungspflicht anordnen oder es gibt keine Berufsordnung, die dies regeln könnte, wie z. B. bei Unternehmensberatern.

4. Welche Besonderheiten gibt es bei Haftung und Deckung, wenn ich mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeite?

a)    Zusammenarbeit mit Personen aus anderen Berufsgruppen
Bisher können Anwälte nur eingeschränkt ihren Beruf gemeinschaftlich nach außen mit anderen Berufsgruppen in einer interprofessionellen Kanzlei ausüben. § 59c BRAO-Neu erweitert die Gruppe der sozietätsfähigen Berufe. Anwälte können mit allen anderen freien Berufen dem Anwaltsberuf nachgehen. Freier Beruf meint alle aufgezählten Berufe nach § 1 Abs. 2 Satz 2 PartGG, z. B. wie jetzt auch schon Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Neu hinzugekommen sind andere freie Berufe wie Architekten oder Ingenieure.

Es sind darüber hinaus weitere nicht aufgezählte Berufsgruppen sozietätsfähig, bei denen aber die Tätigkeit auf Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig erfolgt.

Es sind darüber hinaus weitere nicht aufgezählte Berufsgruppen sozietätsfähig, bei denen aber die Tätigkeit auf Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig erfolgt und die grundsätzlich höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit sind, § 1 Abs. 2 Satz 1 PartGG. Ausgeschlossen bleiben gewerbliche Berufsgruppen. Mit einem Unternehmensberater kann man in einer Sozietät zusammenarbeiten, aber nicht, wenn er gewerblich tätig ist. Selbstverständlich davon völlig unabhängig ist, dass ein Anwalt einen Angestellten haben kann, gleich welchen Beruf er hat. Die Kanzlei muss aber darauf achten, dass nach außen hin der Status des Angestellten deutlich zum Ausdruck kommt, um den Rechtsschein einer Gesellschafterstellung zu zerstören. Andernfalls entsteht eine versicherungspflichtige Gesellschaft.

b)    Haftung
Bei einer BGB-Gesellschaft/einfachen Partnerschaft haftet die Gesellschaft für die eingegangenen Verbindlichkeiten. Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich nach § 128 HGB analog und nach § 721 BGB-E gem. dem Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz (MoPeG). Es bedeutet, dass jeder Gesellschafter/Scheingesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus Berufsfehlern persönlich in Anspruch genommen werden kann, ob der Anwalt selbst den Fehler begangen hat, sein Kollege oder der berufsfremde Gesellschafter. Umgekehrt haftet selbstverständlich auch der Anwalt für einen Planungsfehler seines Architektenkollegen.

 

c)    Deckung
Die Berufshaftpflichtversicherung der Anwälte versichert auch nach der Öffnung für andere Berufe nur die Berufsfehler der Anwälte in der Gesellschaft. Es besteht im Umfang der Pflichtversicherung kein Versicherungsschutz für die Berufsfehler der berufsfremden Kollegen, wie eben dem Planungsfehler eines Architekten. Auf freiwilliger Basis bieten die Versicherer aber Versicherungsschutz für die Tätigkeiten in der interprofessionellen Gesellschaft. Voraussetzung ist aber, dass eine Klausel vereinbart wird zum gegenseitigen Schutz der Berufsgruppen vor Inanspruchnahme für berufsfremde Fehler. Diese Klausel liegt als GDV-Musterklausel vor.

Voraussetzung ist, dass eine Klausel vereinbart wird zum gegenseitigen Schutz der Berufsgruppen vor Inanspruchnahme für berufsfremde Fehler.

Wichtig ist, dass die Klausel in allen verschiedenen Berufshaftpflichtversicherungen der Gesellschaft vereinbart ist, andernfalls kommt es zu einer Deckungslücke. Weil dieser Versicherungsschutz nur der jeweilige berufsfremde Versicherer bieten kann – wie hier dargestellt z. B. der Architektenversicherer der Gesellschaft – muss der Anwalt gerade zusammen mit seinem berufsfremden Kollegen darauf achten, dass der jeweilige Versicherer des Architekten und des Anwalts die Klausel jeweils in ihren Versicherungsverträgen vereinbaren. Wenn der Architektenversicherer dies unterlässt, bleibt der Anwalt ohne Versicherungsschutz für den Planungsfehler, weil der Berufshaftpflichtversicherer des Anwalts keine Planungsfehler wie auch mögliche Sach- und Personenschäden abdecken kann.

 

Bildquelle: Rechtsanwaltskammer München