Im vergangenen Jahr hat ein EuGH-Urteil zu den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI sowohl bei Architekten als auch bei Juristen für eine enorme Unsicherheit gesorgt. Der EuGH entschied am 4. Juli 2019 in dem von der EU-Kommission angestrebten Vertragsverletzungsverfahren, die verbindlichen Vorgaben von Mindest- und Höchstsätzen in der HOAI seien nicht mit der Dienstleistungsrichtlinie zu vereinbaren. Hinsichtlich der Mindestsätze stützt sich der EuGH maßgeblich darauf, dass es eine Inkohärenz der deutschen Regelung gäbe. Das mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, könne nicht erreicht werden, wenn diese Leistungen auch von Dienstleistern erbracht werden können, die ihre fachliche Eignung nicht nachgewiesen haben. Die verbindliche Festsetzung der Höchstsätze hält der EuGH nicht für verhältnismäßig, da es ausreichen könnte, den Kunden unverbindliche Preisorientierungen für die verschiedenen von der HOAI erfassten Leistungen zur Verfügung zu stellen.
Nach den Grußworten der Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, Christine Degenhart, und des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer München, Michael Then, gab die Vorsitzende Richterin des 20. Zivilsenats des OLG München, Margaretha Förth, einen Ausblick über das EuGH-Urteil in der oberlandesgerichtlichen Spruchpraxis. Dabei erläuterte sie, dass die Meinungen der Oberlandesgerichte zweigeteilt seien. Einige Oberlandesgerichte sind der Auffassung, die Vorschriften seien zumindest zwischen Privaten weiterhin anwendbar, denn es sei Aufgabe des Gesetzgebers, eine unionsrechtskonforme Regelung zu schaffen. Das EuGH-Urteil binde nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die einzelnen Unionsbürger. Andere Oberlandesgerichte wiederum halten die Mindest- und Höchstsätze ab sofort für gegenstandslos. Die nicht nur von Förth mit Spannung erwartete Befassung des BGH am 14. Mai 2020, der sich im Rahmen von Revisionsverfahren dieser streitigen Punkte annehmen muss, wird hoffentlich für die benötigte Rechtsklarheit sorgen, wie sich die EuGH-Entscheidung auf laufende Projekte auswirkt.
Dass eine Rechtsklarheit wichtig ist, wurde auch durch den Vortrag von Rechtsanwalt Matthias Goede deutlich, der die Auswirkungen des EuGH-Urteils auf die Vertragsgestaltung beleuchtete. Von großer Bedeutung sei hierbei, dass die HOAI weiterhin existiere, da der EuGH die HOAI nicht als Ganzes verwerfe, sondern nur die Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen. RA Goede rät dringend dazu, Vereinbarungen bezüglich der Anwendung von Honorarsätzen nach HOAI nur mehr schriftlich zu treffen. Aus seiner Sicht wäre es sogar der rechtssichere Weg, den Auftraggeber explizit auf die Unwirksamkeit der Mindest- und Höchstsätze hinzuweisen.
Wie eine angemessene Vergütung jenseits der HOAI vereinbart werden kann, wurde durch die Architektin Daniela Stifter näher erläutert. Hierzu zeigte sie Ideen auf, wie Architekten in Zukunft mit eigenen Kalkulationen zu angemessenen Vergütungen gelangen können. Dies setzt zum einen ein Bewusstsein für die in den einzelnen Leistungsphasen aufgrund der Honorierung zur Verfügung stehenden Mannstunden, aber auch eine regelmäßige Nachkalkulation der Projekte voraus. Die Auftraggeber in Österreich verlangen zur Verprobung der angebotenen Honorare sogar regelmäßig einen Nachweis der über die Projektdauer zur Verfügung stehenden Ressourcen. Auch dieser lässt sich nur bei genauer Kenntnis der geleisteten Arbeit führen. A und O eines aktiven Claim-Managements ist, so Stifter, die detaillierte Erfassung der Leistungen sowie die Kenntnis der Projektleiter und Mitarbeiter von den Inhalten des Vertrages. Nur dann lassen sich Änderungen vom Vertragssoll frühzeitig identifizieren und entsprechende Honoraränderungen vereinbaren.
Die EuGH-Entscheidung hat auch im Vergaberecht für Unsicherheit gesorgt. Nicht umsonst hat der Freistaat nach Bekanntwerden der Entscheidung erst einmal alle Verfahren kurzzeitig gestoppt. Der Vorsitzende der Vergabekammer Südbayern, Matthias Steck, legte dar, dass seit dem EuGH-Urteil Angebote im Vergabeverfahren nicht ausgeschlossen werden dürfen, wenn diese die Mindest- und Höchstsätze unter- oder überschreiten. Dies ergebe sich für einen öffentlichen Auftraggeber aus dem Verbot, die EU-Rechtswidrigen Vorschriften der HOAI bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen als Zuschlagskriterium anzuwenden. Schwieriger werde es in Zukunft, den Wert von im Rahmen von Verhandlungsverfahren abverlangten Lösungsvorschlägen zu bestimmen. Nachdem hierfür früher die Mindestsätze der HOAI heranzuziehen waren, richte sich die Angemessenheit der Vergütung nunmehr nach Inhalt, Art und Maß der verlangten Lösungsvorschläge. Hierbei sei auch die individuelle Situation der beteiligten Büros einzubeziehen. Großen Raum nahm in seinem Beitrag die Möglichkeit ein, auf den Preis als Zuschlagskriterium gänzlich zu verzichten. Hier können die Parameter der HOAI grundsätzlich als ausreichend für einen Festpreis im Sinne von § 58 Abs. 2 a.E. VgV angesehen werden. Dass die EuGH-Entscheidung keinesfalls als Signal für einen ruinösen Preiswettbewerb ausgenutzt werden soll, betonte Dr. Jan Seemann vom Bayerischen Bauministerium. Der Leistungswettbewerb sei weiterhin gesetzliches Leitbild bei der Vergabe durch die Staatsbauverwaltung. Der Preis spiele erst bei Angeboten eine Rolle, bei denen die Bieter ihre Leistungsfähigkeit überzeugend nachgewiesen hätten. Die HOAI werde weiterhin der Ermittlung des Honorarangebots zu Grunde gelegt. Man käme aber nicht umhin, Auf- bzw. Abschläge zuzulassen. Auch das Modell der Festpreisvergabe werde im Hause intensiv diskutiert und geprüft, bei welchen Verfahren es zur Anwendung kommen könne. Laut Dr. Seemann könnten bspw. Verhandlungsverfahren nach RPW-Wettbewerben dafür geeignet sein.
Architektin Susanne Klug oblag es, die Sicht der Auftragnehmer auf die Folgen des Urteils darzustellen. Das Nachvollziehen der Preis-/Leistungsgewichtung im Rahmen der finalen Zuschlagskriterien falle im Einzelfall sehr schwer. Es habe sich aber auch gezeigt, dass fundierte Leistungsmerkmale durchaus nicht leicht durch einen günstigen Preis zu kompensieren sind. Die Qualität der Bieter könne sich also sehr wohl durchsetzen, einen entsprechenden Willen der Vergabestellen vorausgesetzt.
Einmal mehr zeigte sich, dass es – die Worte Degenharts in ihrem Grußwort aufgreifend – auch an den Planern selbst ist, sich nicht auf einen Wettlauf zum niedrigsten Preis einzulassen. Die von Hauptgeschäftsführerin Sabine Fischer moderierte Fachtagung setzte insoweit gerade hinsichtlich der öffentlichen Auftraggeberseite vernünftige Impulse, auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich den Architektenberuf ausüben zu können.
Bildquelle: Tobias Hase