Auf ein Wort, Frau Präsidentin Ehrt!

Frau Ehrt, seit Kurzem sind Sie neue Präsidentin des Amtsgerichts München.
Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle noch zu Ihrer neuen Position. Mit welchem Vorsatz sind Sie in das neue Amt gestartet?

Das Amt der Präsidentin des immerhin größten Amtsgerichts in Deutschland bedeutet Verantwortung zu tragen für rund 1.200 Kolleginnen und Kollegen, die dort beschäftigt sind. Gleichzeitig ist das Aufgabenspektrum äußerst umfangreich und vielfältig. Mir sind zwei Sachen besonders wichtig: Das Amtsgericht ist für die rechtsuchenden Münchner Bürgerinnen und Bürger in der Regel der erste Kontakt zu der Justiz. Wir sind Dienstleister und unsere Aufgabe ist es, in der Behandlung ihrer Anliegen den Erwartungen und Ansprüchen dieser Menschen gerecht zu werden entsprechend unserem Grundsatz "Justiz ist für die Menschen da". Gleichzeitig, und das ist mein zweites zentrales Anliegen, möchte ich, dass sich die Beschäftigten des Amtsgerichts München an ihrem Arbeitsplatz wohl fühlen. Um eine gute Leistung zu erbringen, bedarf es u.a. eines gewissen Maßes an Arbeitszufriedenheit. Dazu gehört auch, dass deren Einsatz für den Rechtsfrieden anerkannt und wertgeschätzt wird. Diese beiden Zielsetzungen bestmöglich miteinander zu verbinden, ist einer meiner Vorsätze.

Was hat sich in Ihrem beruflichen Alltag durch diesen Schritt am meisten verändert?
Und wie dürfen wir uns den typischen Tagesablauf einer Präsidentin vorstellen?

Wie ein typischer Tagesablauf aussieht, kann ich Ihnen heute so kurz nach meinem Amtsantritt noch nicht beantworten. Derzeit sieht jeder Tag noch vollkommen  verschieden aus. Neu sind die Qualität und der Umfang meiner Führungsaufgaben.  Als Präsidentin leite ich dieses wirklich sehr große Gericht und bin für die dort Beschäftigten verantwortlich – in letzter Konsequenz in allen Belangen. Natürlich bewältige ich die Aufgaben nicht alleine, sondern arbeite mit einem Team leistungsstarker Kolleginnen und Kollegen mit enormer Erfahrung zusammen. Diese unterstützen mich seit dem ersten Tag hervorragend. Und doch: Als Präsidentin steht  man letztendlich immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit und der Verantwortung. Die Dimension des Gerichts und die „Gesamtheitlichkeit“ der Führungsverantwortung – das hat sich mit meiner neuen Aufgabe wohl am meisten verändert.

Eine Laufbahn in der Justiz – war das schon immer Ihr Traum?

Ganz und gar nicht. Noch als junge Frau wollte ich voller Überzeugung Grundschullehrerin werden. Ich habe auch nicht sofort nach dem Abitur Jura studiert, sondern erst eine Ausbildung dazwischen geschoben. In deren Rahmen habe ich mich mit der Materie "Recht" intensiv befasst und gemerkt, dass mir dieser Bereich sehr liegt. Insbesondere weil dahinter Werte stehen, die ich vertrete. Und bis heute habe ich keinen Tag bereut, diesen Berufsweg eingeschlagen zu haben.

Die Vielfalt an Ausbildungsmöglichkeiten ist heutzutage ja sehr groß, und auch die Informationsquellen zum Thema „Bildung“ werden immer umfangreicher. Wie war das damals bei Ihnen – haben Sie sich vorher intensiv über Ihre Ausbildung bzw. Ihr Studium und den Beruf informiert?

Natürlich habe ich mir vor meinem Abitur intensiv überlegt, "wohin die Reise gehen soll". Zu meiner Zeit dienten uns als Informationsquelle vor allem Berufsbeschreibungen in Druckwerken, die von den jeweiligen Organisationen ausgegeben wurden. Daneben habe ich mich auch bei einem Berufsberater des – wie es damals noch bezeichnet wurde – Arbeitsamtes informiert.

„Ich sehe die Digitalisierung als eine große Chance.“

Kommunikationswege, Büroabläufe und die Arbeitsplatzgestaltung werden sich durch die Digitalisierung in den nächsten Jahren massiv verändern.
Was bedeutet diese Entwicklung für die Justiz bzw. die Arbeit bei Gericht?

Die Digitalisierung ist selbstverständlich eines der zentralen Themen, die die Justiz zurzeit beschäftigen. Ich sehe sie als eine große Chance. Es können sowohl die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger, die rechtsberatenden Berufe, aber gerade auch die Beschäftigten der Justiz profitieren. Für viele Rechtsuchenden ist der Weg zu Gericht oft aufwendig. Bestimmte Anliegen gerade im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfordern keine Anwesenheit vor Gericht und lassen sich standardisieren. Im Idealfall wird es gelingen, in diesen sogenannten "Dienstleistungsangelegenheiten" den Zugang zum Gericht von zu Hause aus auf elektronischem Wege zu ermöglichen.

Ähnliches gilt für die Kommunikation der Richterinnen und Richter mit den rechtsberatenden Berufen. Der elektronische Rechtsverkehr ist bereits eröffnet. Die vollständige Abwicklung der Zuleitung von Schriftsätzen, genauso wie die Zuleitung von Verfügungen des Gerichts an die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte spart nicht nur jede Menge Papier, sondern macht Gerichtsverfahren schneller und damit den Prozess insgesamt effektiver.

Für unsere Beschäftigten bedeutet die Digitalisierung im Idealfall ein erhebliches Plus an Flexibilität. Nach meinen ersten Gesprächen mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann ich sagen, dass sehr viele weite Anfahrtswege in Kauf nehmen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen – für die einfache Strecke teilweise bis zu 2 Stunden. Dass das eine große Belastung ist, versteht sich von selbst. Die Automatisierung von Routineabläufen und deren elektronische Sachbearbeitung können überwiegend von einem Arbeitsplatz in der Fläche erfolgen. Das bringt allen etwas: Nicht nur ein effizienteres Verfahren, sondern auch einen erheblichen Gewinn an Arbeitszufriedenheit, weniger Krankheitsausfälle etc.

Werden Fachkräfte durch diese Entwicklung in Zukunft entbehrlich für die Justiz bzw. könnte dem Fachkräfte-Mangel damit abgeholfen werden?

Digitalisierung verstehe ich nicht als Mittel um Personal zu ersetzen. Im Gegenteil: Auch wenn die technische Entwicklung, insbesondere über die künstliche Intelligenz, vieles möglich macht, handelt es sich überwiegend um Routinevorgänge, Bürosachbearbeitung etc. Es werden immer die Menschen gebraucht werden, die die Programme bedienen, kontrollieren und pflegen. Genauso werden gerade im Bereich der Rechtspflege Maschinen das, was den Menschen ausmacht, nicht übernehmen können – nämlich Empathie zu empfinden, sich ein Bild von dem Gegenüber zu machen, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen, Sachverhalte einzuordnen, Argumente abzuwägen und vieles andere mehr. Natürlich werden sich Berufsprofile ändern, es werden viel mehr technischer Sachverstand, Management- und Organisationsfähigkeiten nachgefragt werden. Auf gut ausgebildete Fachkräfte wird es jedoch weiterhin entscheidend ankommen.

„Es werden immer die Menschen gebraucht werden, die die Programme bedienen, kontrollieren und pflegen.“

Bildquellen: whyframestudio/iStock/Thinkstock/Amtsgericht München