Kanzlei 4.0: Fit für die Zukunft dank Fachkräfte-Ausbildung

Qualifizierte Mitarbeiter sind – auch in Zeiten der Digitalisierung – unverzichtbar für den Erfolg von Kanzleien. Hermann Brem zeigt auf, welche Bedeutung dabei der Aus- und Fortbildung zukommt.
TEXT: Hermann Brem

Gerade für kleine und mittelständische Kanzleien sichert die Ausbildung von Fachkräften (Rechtsanwaltsfachangestellte oder Rechtsfachwirte) deren Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Dynamisierung, auch der Rechtsberatung, kommt es umso mehr auf clevere Köpfe im Anwaltsoffice an. Allerdings verlangt die Ausbildung den persönlichen Einsatz aller Beteiligten und muss als Investition verstanden werden. Am Ende gilt: Ausbildung lohnt sich!

ANWALT 4.0 STATT REFA?

Software und Apps für jeden Kanzleibedarf, immer bessere Diktiersysteme, mobile Mandatsarbeit, Aktenverwaltung in der Cloud, virtuelles Anwaltssekretariat… die Digitalisierung hat längst Einzug gehalten in die Anwaltskanzlei und bestimmt deren Alltag. Diese Entwicklung vereinfacht und beschleunigt auf den ersten Blick die Arbeitsabläufe und erhöht die Produktivität. Spart es auch den Einsatz von Fachkräften im Anwaltssekretariat?

 "...gerade in der digitalen Welt der Rechtsberatung ist die Unterstützung der Fachkräfte wichtiger denn je!"

Das Motto „Das kann ich ja schnell auch selber machen, bevor ich es an jemanden weitergebe“, könnte für den „Anwalt 4.0“ heutzutage so leicht sein. Aber gerade in der digitalen Welt der Rechtsberatung ist die Unterstützung der Fachkräfte wichtiger denn je!

Die Erwartungshaltung der Mandanten wird immer höher hinsichtlich der Reaktionsgeschwindigkeit, Erreichbarkeit, Kommunikation auf verschiedenen Kanälen, gerade auch der Statusmeldungen im laufenden Mandat. Digitalisierung bedeutet Beschleunigung, auch in einem Umfeld, das Zeit für komplexe juristische Fragen benötigt. Dazu kommt: In Zeiten, in denen sich quasi jede Privatperson im Internet mindestens oberflächlich einen ersten Überblick über Rechtsfragen verschaffen kann, sich viele – auch kleinere und mittelständische Unternehmen – juristische Kompetenz ins Haus geholt haben und inzwischen vermehrt Online-Rechtsberatungen, Steuerberatungen und andere branchenverwandte Akteure rechtlich beraten, wird die fachliche Spezialisierung für die freiberuflich tätige Anwaltschaft der zentrale Wettbewerbsfaktor.

Im Übrigen funktioniert auch die digitale Welt nicht „auf Knopfdruck“, sondern braucht Aufmerksamkeit für Software-Updates und laufende neue Verknüpfungen zu anderen Programmen und Apps. Von möglichen, lästigen Störungen und Ausfällen gar nicht erst zu reden. Schließlich hat auch der arbeitsreiche Tag des fleißigsten Anwalts am Ende nicht mehr als 24 Stunden. Und die Anwaltsstunden sollten doch möglichst abrechenbar sein und nicht im Kanzleimanagement und der Verwaltung vergehen. Die Möglichkeiten zur „Rationalisierung“ in den Kanzleien sind folglich begrenzt. Die zunehmende Spezialisierung, Komplexität und Dynamik der Rechtsberatung spricht also eindeutig dafür, dass Anwälte sich mit Fachkräften in der Kanzlei – gleich welcher Größe! – unterstützen. Einer der Wege dorthin, der mit der nachhaltigsten Wirkung, ist die Ausbildung von Rechtsanwaltsfachangestellten in der Kanzlei.

FACHKRÄFTE SIND MANGELWARE: PERSÖNLICHER EINSATZ IST GEFRAGT!

Die Statistik der Rechtsanwaltskammer München lässt keinen Zweifel: Seit Jahren steigt die Zahl der niedergelassenen Rechtsanwälte, aktuell liegt sie bei fast 22.000. Im gleichen Zeitraum sinkt die Zahl der Ausbildungsverhältnisse für Rechtsanwaltsfachangestellte (ReFa) deutlich. Nur etwa 1.000 Anwälte in der Münchner Anwaltschaft – das sind gerade mal 5% – bilden aus. Das ist im Vergleich zur Ausbildungsquote in der deutschen Wirtschaft (über 50%) extrem niedrig. Im Jahr 2017 standen den Kanzleien gerade mal 300 frisch geprüfte Rechtsanwaltsfachangestellte als Nachwuchs zur Verfügung. Die Schere zwischen offenen Stellen und Fachkräften öffnet sich also Jahr für Jahr weiter.

Diese Lücke kann aus den vorhin beschriebenen Gründen nur sehr bedingt durch technischen Fortschritt (Digitalisierung) geschlossen werden. Die Lösung für den wachsenden Fachkräftemangel liegt in einer höheren Ausbildungsbereitschaft der Anwaltschaft. Mehr noch: Im Wettbewerb um die jungen Nachwuchstalente kommt es auf den persönlichen Einsatz jeder Anwältin und jedes Anwalts an!

Mehr als die Hälfte aller Auszubildenden wurden über Freunde, Bekannte, Eltern oder ein Kanzleipraktikum (18%) für die Ausbildung in einer Anwaltskanzlei gewonnen. Gegenüber der im Web, in den Medien und an den Schulen allgegenwärtigen „Glitzerwelt“ des Handwerks, des Autobaus oder des Handels müssen Kammer und Ausbildungskanzleien mit Persönlichkeit überzeugen. Daher liegt gerade im „Schnupperpraktikum“ noch viel Potenzial: Hier können sich Schülerinnen und Schüler am besten ein Bild davon machen, wie vielfältig, spannend und zukunftsfähig die künftige Ausbildung und Arbeit in der Rechtsberatung werden kann. Die Ausbildenden können ihrerseits ohne großen Aufwand Ausschau nach geeigneten Auszubildenden halten.

"Im Wettbewerb um die jungen Nachwuchstalente kommt es auf den persönlichen Einsatz jeder Anwältin und jedes Anwalts an!"

Ihr persönlicher Beitrag gegen den Mangel an Fachkräften:

  •  Werben Sie für die Arbeit in der Kanzlei in Ihrem Bekanntenkreis und bei Ihren Mitarbeitern
  •  Werben Sie bei Ihren Anwaltskollegen für eine Ausbildung
  •  Bieten Sie ein Praktikum in Ihrer Kanzlei an
  •  Bieten Sie einen Ausbildungsplatz an (z. B. auf der Stellenbörse der Rechtsanwaltskammer)

AUSBILDEN: ABER „RECHT CLEVER“!

Ausbildung ist eine Investition! Das muss im Vorhinein gesagt sein, denn Ausbildung bedeutet persönlichen Einsatz, Geduld und Arbeit für alle Beteiligten, auch für die Ausbildenden.

Wenn Sie einen Ausbildungsplatz anbieten wollen, sollten Sie natürlich zuerst ehemalige Praktikanten ansprechen. In jedem Fall sollten Sie eine Ausbildungsstelle rechtzeitig anbieten, also gegen Ende des Jahres vor dem Ausbildungsbeginn oder zu Beginn des Ausbildungsjahres (üblicherweise 1. September, manchmal auch 1. August). Viele wertvolle Informationen darüber, wie die Ausbildung ablaufen sollte und was an Stoff gefordert wird, finden Sie auf der Ausbildungsseite der Rechtsanwaltskammer München.  Die Azubis werden im Rahmen der dualen Ausbildung jeweils 1 festen Tag je Woche in der Berufsschule unterrichtet (jede 2. Woche dann noch an einem weiteren festen Schultag).

Erlauben Sie sich bei der Auswahl künftiger Auszubildender einen zweiten Blick auf die Bewerbungsunterlagen! So gleichen beispielsweise Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss oder mit Migrationshintergrund fehlende Vorkenntnisse mit Fleiß, Ehrgeiz und Einsatz aus. Was Sie in Ihrem Kanzleioffice brauchen sind praktische Intelligenz, Sorgfalt und Einsatzbereitschaft. Lassen Sie sich im persönlichen Gespräch überzeugen. Auf ein Auswahlgespräch sollten auch Sie sich mit Fragen vorbereiten: Erzählen Sie von Ihrer Anwaltsarbeit, Ihrer Kanzlei und stellen Sie gezielt Fragen zu Qualifikationen, die Sie für die Arbeit in Ihrer Kanzlei benötigen.

Die Sorgfalt und das Engagement, mit denen Sie eine Ausbildung in Ihrer Kanzlei vorbereiten und begleiten, reduzieren das Risiko späterer gegenseitiger Enttäuschung oder gar eines vorzeitigen Ausbildungsabbruchs.

Beachten Sie während der Ausbildung, dass Sie da selbstredend noch keine fertige Fachkraft in der Kanzlei sitzen haben. Die „Charta für eine gute Ausbildung“, ein Leitfaden für Ausbildende und Azubis, weist aus guten Gründen darauf hin, dass „Auszubildende entsprechend ihrer Qualifikation weder unter- noch überfordert“ werden sollen. Erklären Sie einzelne Tätigkeiten und Anforderungen, nehmen Sie sich zwischendurch Zeit – zum Beispiel für eine Ausbildungs-Sprechstunde. Seien Sie offen für Fragen, sorgen Sie für eine „offene Tür“. Binden Sie unbedingt Ihre bereits ausgebildeten ReFas in die Ausbildung ein. Berücksichtigen Sie, dass Sie selbst die Qualität der fachlichen Ausbildung bestimmen! Genauso bestimmen Sie durch Ihr Vorbild und die Kultur der Zusammenarbeit die persönliche Ausbildung der bzw. des jungen Erwachsenen in Ihrer Kanzlei!

Nicht zuletzt über schnelle und vielfach multiplizierte soziale Medien prägen die persönlichen Eindrücke von der Ausbildung und vom Ausbildenden das Bild des Ausbildungsberufs und der Arbeit in den Kanzleien an Schulen und in der Öffentlichkeit.

Nutzen Sie außerdem den Vorteil, dass Sie in aller Regel mit den Azubis „digital natives“ in Ihre Kanzlei holen, die mit sich dynamisch verändernder, technisch geprägter Arbeitsumgebung einfach selbstverständlicher umgehen.

Sollte es trotzdem tatsächlich fachlich oder persönlich nicht passen zwischen Azubi und Ausbildungskanzlei, dann gehört das zu den Realitäten unseres Arbeitslebens. Führen Sie in solch einem Fall zunächst ein ernstes, offenes Gespräch, in dem Sie Ihre Erwartungen und die bestehenden Defizite ansprechen. Nehmen Sie in solchen Fällen die Ausbildungsberatung der Rechtsanwaltskammer in Anspruch. Wenn tatsächlich alles nicht hilft, können Sie – als ultima ratio – die (bis zu viermonatige) Probezeit nutzen und notfalls das Ausbildungsverhältnis beenden. Aber auch in einem solchen Fall scheitert im Zweifel nicht Ihr „Experiment Ausbildung“: Was in einem Fall eventuell nicht gelungen ist, kann im nächsten Anlauf umso besser gelingen!

Der finanzielle Einsatz für die Ausbildungsvergütung, die die Rechtsanwaltskammer München empfiehlt, bewegt sich zwischen 700 €/Monat (1. Ausbildungsjahr) bis 900 € (3. Ausbildungsjahr). Üblicherweise kommen noch kleinere Beträge für Gesetzestexte dazu, viele Ausbildungsbetriebe erstatten auch die Fahrtkosten. Das ist einerseits im Wettbewerb der Ausbildungsberufe noch ausreichend attraktiv, aber auch für einzeln oder in kleineren Kanzleien praktizierende Anwälte zu bewältigen. Am Ende wird es darauf ankommen, dass eine gute Ausbildung möglichst viel aus jedem Euro macht!

GUTE AUSBILDUNG IST ERST DER ANFANG STÄNDIGER QUALIFIKATION

Lebenslanges Lernen ist längst auch eine Notwendigkeit im nichtjuristischen Bereich. Inzwischen gibt es auch für Kanzleimitarbeiter vielfältige Fortbildungsmöglichkeiten, angefangen von der Auffrischung oder Vertiefung einzelner fachlicher Themen wie etwa der Abrechnung oder dem Umgang mit Fristen. Aufwändiger ist die Fortbildung zur Rechtsfachwirtin/zum Rechtsfachwirt. Diese Fortbildung lohnt sich inzwischen auch dann, wenn eine Kanzlei nicht eine typische Stelle als Office Manager bzw. Kanzleimanager/in schaffen will. Diese Fortbildung führt im Ergebnis zu einer zusätzlichen Entlastung des Anwalts von organisatorischen Aufgaben; in der Regel erkennt ein/e Rechtsfachwirt/in zusätzliches Umsatzpotenzial durch umfassende Anwendung des RVG. So rechnet es sich also auch hier, wenn der Anwalt als Arbeitgeber Fortbildungen fördert und – finanziell mit einem Fortbildungsdarlehen oder durch Freistellung für die berufsbegleitenden Ausbildungsmodule – unterstützt.

"Die Fortbildung zum Rechtsfachwirt als zusätzliche Entlastung des Anwalts"

DIE ERFOLGREICHE KANZLEI 4.0 IST EINE TEAMLEISTUNG!

Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre betrachtet, und noch mehr, wenn man einen Blick auf das, was absehbar kommen wird, wirft, stellt man fest: Der Erfolg einer Anwaltskanzlei wird immer zwingender ein gemeinsamer Erfolg von Anwälten und Fachkräften sein. Die „Kanzlei 4.0“ zeichnet sich aus durch ein optimales Zusammenspiel juristisch-fachlicher Qualifikation bei laufender Fortbildung und zunehmender Spezialisierung mit einer effizienten, zunehmend digitalen Ablauforganisation. Überzeugende juristische Kenntnisse alleine werden die Zufriedenheit von Mandanten nicht sicherstellen. Reaktionsgeschwindigkeit, Transparenz und Service werden wettbewerbsrelevanter sein denn je. Dies gilt umso mehr in kleineren und mittelständisch geprägten Anwaltskanzleien, die sich zunehmend gegenüber der Rechtsberatung nicht anwaltlicher Konkurrenz und im Internet behaupten müssen.

Qualifizierte Fachkräfte generieren als Sachbearbeiter außerdem Umsatzpotenziale für Kanzleien, die ihren Mandanten Dienstleistungen und „Produkte“ im Umfeld ihrer rechtlichen Spezialisierung anbieten wollen. Darüber hinaus wird eine motivierte Fachkraft die Arbeitsläufe innerhalb der Kanzlei laufend optimieren – und so Kosten senken. Die Qualität der Zusammenarbeit innerhalb der Kanzlei sowie die Wirkung einer Kanzlei nach außen, hängen heute und in Zukunft davon ab, wie gut die Zusammenarbeit als Team gelingt.

Gerade in kleinen und mittelgroßen Kanzleieinheiten muss die Ressource „Arbeit“, sprich qualifiziertes Personal einen besonders hohen Stellenwert genießen!  All das hat, wie beschrieben, seinen Anfang in Ausbildung und Qualifikation. Der überwiegende Teil der Anwaltschaft ist also gut beraten, wenn er der Ausbildung künftiger Fachkräfte die dringend notwendige Aufmerksamkeit schenkt.


Autor: Hermann Brem

(langjähriger Kanzleimanager, war von 2013-2018 Mitglied im Berufsbildungsausschuss der Rechtsanwaltskammer München und berät derzeit Anwälte und Kanzleien vor allem im Personalmanagement)

 


Wichtige Informationsquellen

Ausbildungsseite der Rechtsanwaltskammer München:
https://rak-muenchen.de/ra-fachangestellte/ausbildung.html

Stellenbörse der Rechtsanwaltskammer:
https://rak-muenchen.de/ra-fachangestellte/stellenboerse/angebote.html

Recht clever (BRAK):
http://www.recht-clever.info/

 

 

Bildquellen: Cesar Okada/iStock/Hermann Brem