In der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) sind die wesentlichen Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts geregelt, die im Rahmen der Berufsausübung zu beachten sind. Aber auch das Verhalten außerhalb der anwaltlichen Tätigkeit kann Grundlage einer anwaltlichen Pflichtverletzung sein. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür regelt die Generalklausel des § 43 BRAO. Demnach hat sich der Rechtsanwalt innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordern, würdig zu erweisen. Durch diese Regelung werden Verstöße gegen gesetzlich geregelte Pflichten außerhalb der BRAO und der BORA in das anwaltliche Berufsrecht übertragen, sodass die Möglichkeit einer berufsrechtlichen Ahndung eröffnet wird.
Ein Fehlverhalten eines Rechtsanwalts im außerberuflichen Bereich kann jedoch nur eingeschränkt unter den in § 113 Abs. 2 BRAO genannten engen Voraussetzungen anwaltsgerichtlich geahndet werden. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass aufgrund der weit gehaltenen Formulierung des § 43 BRAO übersteigerte Anforderungen an das private Verhalten des Rechtsanwalts gestellt werden könnten. Ein außerberufliches Fehlverhalten kann gemäß § 113 Abs. 2 BRAO nur dann berufsrechtlich geahndet werden, wenn es eine rechtswidrige Tat oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung darstellt und es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen der Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
Als Beispiel hierfür dient die Entscheidung des Anwaltsgerichts Köln vom 20.03.2017, Az. 1 AnwG 40/16. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall verhängte das Amtsgericht Köln gegen den betreffenden Rechtsanwalt im Wege des Strafbefehlsverfahrens wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe und ein zweimonatiges Fahrverbot. Nach den Feststellungen des Gerichts kollidierte der betreffende Rechtsanwalt beim Einparken in einem Parkhaus mit einem geparkten Fahrzeug, wodurch ein nicht unerheblicher Sachschaden entstand. Durch die Kollision, die ein Zeuge beobachtet hatte, wurde die Alarmanlage des geparkten Fahrzeugs ausgelöst. Der Rechtsanwalt entfernte sich nach dem für ihn wahrnehmbaren Zusammenstoß und parkte sein Fahrzeug in einer anderen Etage des Parkhauses. Nachdem er seine Einkäufe getätigt hatte, fuhr er mit seinem Fahrzeug zum Ausgang des Parkhauses. Obwohl die zwischenzeitlich zu ihrem Fahrzeug zurückgekehrte Geschädigte mit Gesten und Rufen auf sich aufmerksam machte, fuhr der Rechtsanwalt aus dem Parkhaus aus, ohne die notwendigen Feststellungen zu seiner Person zu ermöglichen.
Aufgrund desselben Sachverhalts verhängte das Anwaltsgericht Köln gegen den Rechtsanwalt eine Geldbuße, da es das Urteil im Hinblick auf die berufliche Stellung des Rechtsanwalts nicht für ausreichend hielt. Das Anwaltsgericht sah es als erwiesen an, dass der betreffende Rechtsanwalt jedenfalls mit dem insofern ausreichenden Eventualvorsatz gehandelt hat, da die Kollision für diesen akustisch, visuell und taktil wahrnehmbar war. Das Anwaltsgericht erachtete daher die für eine anwaltsgerichtliche Ahndung erforderlichen Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 BRAO als gegeben. Das gesamte Verhalten des Rechtsanwalts, insbesondere das Nachtatverhalten und die dadurch bewirkte Verzögerung im Rahmen der Unfallregulierung war nach Auffassung des Gerichts geeignet, Achtung und Vertrauen der Rechtssuchenden in einer für die Ausübung der Anwaltstätigkeit bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
Das Anwaltsgericht war dabei der Auffassung, dass auch § 115b S. 1 BRAO der zusätzlichen Ahndung des Verhaltens nicht entgegensteht. Gemäß § 115 b S. 1 BRAO ist von einer anwaltsgerichtlichen Ahnung wegen desselben Verfahrens abzusehen, wenn durch ein Gericht oder eine Behörde eine Strafe, eine Disziplinarmaßnahme, eine berufsgerichtliche Maßnahme oder eine Ordnungsmaßnahme verhängt worden ist – sofern nicht eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist, um den Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren.
Aufgrund des beschriebenen Verhaltens und des aus der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrucks vom Persönlichkeitsbild des betreffenden Rechtsanwalts gelangte das Anwaltsgericht zu der Überzeugung, dass diesem nur durch eine zusätzliche anwaltsgerichtliche Ahndung die Dimension seines Fehlverhaltens vor Augen geführt werden könne, um ihn zu einem berufsrechtlich akzeptablen Verhalten anzuhalten.