Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

das erste Quartal 2018 neigt sich dem Ende zu und mittlerweile haben wir wohl alle wieder “Betriebstemperatur“ erreicht – will sagen, wir schauen wieder verstärkt nach vorn. Nach den allgemeinen und besonderen Ablenkungen und Aufgeregtheiten, die mit dem Jahreswechsel einhergingen, können wir uns nun den Aufgaben und Herausforderungen, die das Jahr 2018 und sein Alltag für uns bereithalten, wieder schaffenskräftig, fokussiert und konzentriert widmen. Und eines der “tools“ (ach, ich liebe diese allgegenwärtigen Anglizismen doch irgendwie, es klingt einfach viel schicker und deutlich mehr sexy als „Werkzeug“ oder „Hilfsmittel“), ist in neuer Ausgabe wieder online dabei, sozusagen überall und allzeit bereit.

Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist ein ganz “klassisches“ Thema und auch und gerade im Zusammenspiel mit den vielen neuen Themen und Aspekten, die es für uns und unsere Arbeit gibt, für unseren Berufsstand insgesamt und (fast) jeden Berufsträger von zentraler Wichtigkeit: die Ausbildung der Rechtsanwaltsfachangestellten. Natürlich kann oder könnte man Vieles selbst machen, dann muss man es anderen gar nicht erst beibringen. Aber hier stellen sich 3 Fragen: will man das, ist das sinnvoll und macht das Arbeiten im anwaltlichen Gesamtpaket Freude? Die Fragen muss jeder/jede für sich beantworten, aber generell möchte ich eine Lanze für das Arbeiten im Team und für die Arbeitsteilung brechen.

„Besonders in München ist die Personalsuche derzeit schwierig.“

Nicht nur, aber besonders in München ist die Personalsuche derzeit schwierig und die Suche nach guten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein Thema, bei dem häufig ein Klagelied angestimmt wird. Wenn man diesem Klagelied lauscht, werden die guten Mitarbeiter immer weniger und früher war alles besser und scheinbar so einfach: die Mitarbeiter und die potentiellen Auszubildenden als künftige Mitarbeiter waren fleißiger, bescheidener und höflicher, sie fügten sich anspruchslos in den häufig doch hektischen Kanzleialltag ein, brachten das Wissen überwiegend aus der Berufsschule und von Hause aus mit und hatten den Satz, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, verinnerlicht.

Dass auch viele Anwälte diesen Satz verinnerlicht hatten, ist vielleicht eine der Erklärungen dafür, dass die potentiellen Auszubildenden derzeit nicht vor unseren Kanzleien Schlange stehen (natürlich gibt es auch andere, aber dieser scheint mir der Wichtigste, den wir beeinflussen können). Dabei wartet doch ein vielseitiger und anspruchsvoller Beruf als hervorragende Basis für ein erfolgreiches und erfülltes Berufsleben auf sie! Bei genauem Betrachten entpuppt sich Vieles in der “guten alten Zeit“ eben als doch nicht so gut und belastet das Bild der Ausbildung in der Öffentlichkeit. Das Denken in Ansprüchen nervt auch mich manchmal, scheint mir aber vom Grundsatz weniger verkehrt als anspruchsloses Denken, denn auch wenn es einmal über das Ziel hinausschießt, vermittelt es doch wenigstens Denkanstöße und wenn es nicht über das Ziel hinausschießt, trägt es erst recht zu einer notwendigen Entwicklung bei.

Was haben wir zu bieten: Nichts macht nach den Erkenntnissen der Wissenschaft den Menschen glücklicher als Lernen, zufrieden wird man nicht dadurch, dass man für möglichst wenig Arbeit möglichst viel verdient, sondern dadurch, dass man eine anspruchsvolle Aufgabe gut erfüllt (und dafür anerkannt, respektiert, angemessen materiell entlohnt wird und vielleicht dazu noch weitere Perspektiven für die Zukunft hat). Natürlich ist es schön, wenn den Auszubildenden diese Erkenntnis in die Wiege gelegt wurde oder auf sonstigem Wege vor Antritt der Ausbildung den Weg zu ihm/ihr gefunden hat – aber ist es nicht ein bisschen naiv, wenn wir das als Bringschuld voraussetzen? Gewissensfrage: Waren Sie als junger Mensch am Anfang Ihres Weges denn schon perfekt motiviert und wenn ja, wieviel trugen günstige äußere Umstände dazu bei? Ist es nicht vielmehr eine zentrale Aufgabe des Ausbilders/der Ausbilderin, den Weg zur Motivation für junge Menschen durch das Schaffen entsprechender Umstände zu bahnen (den Weg, den sie dann natürlich selbst gehen müssen)?

Weil wir Anwälte in der Mehrzahl Führung (darum geht es nämlich) nicht gelernt haben, liegen eigene und fremde Potenziale oft brach. Wenn es uns aber gelingt, die Freude am Lernen und die Zufriedenheit, die eine gut erfüllte anspruchsvolle Aufgabe vermittelt, im Rahmen der Ausbildung weiterzugeben, dann werden wir selbst einen doppelten Erfolg verbuchen: Wir können auf unsere gut erfüllte Aufgabe Ausbildung stolz sein und wir haben uns und unseren Kollegen auch für die Zukunft gut ausgebildete Mitarbeiter gesichert, mit deren Hilfe wir unsere Aufgaben qualitativ besser und leichter erfüllen können. Nicht vergessen möchte ich auch das Argument, dass der Kontakt mit jungen Menschen viele Anregungen bringt (als greifbares Beispiel: ein “digital native“ in der Kanzlei könnte zumindest für die Älteren unter uns hilfreich sein, die Digitalisierung wird nicht plötzlich als böser Spuk verschwinden).

„Wenn es uns gelingt, die Freude am Lernen weiterzugeben, dann werden wir selbst einen doppelten Erfolg verbuchen.“

In diesem Heft wird das Thema Ausbildung aus den unterschiedlichsten Perspektiven und mit vielfältigen Facetten betrachtet und anschaulich gemacht – und natürlich finden Sie daneben auch interessante und hilfreiche Beiträge zu weiteren aktuellen Themen. Als “Vorgruppe“  kann ich nur sagen: das Lesen lohnt sich!


Petra Heinicke

Mitglied des Kammervorstands und Vorsitzende der Abteilung XI
(zuständig für Fragen der Ausbildung der Rechtsanwaltsfachangestellten)