Lange ist es nicht mehr hin. Am 01.01.2022 gilt in den meisten Verfahrensordnungen bundesweit die sogenannte aktive Nutzungspflicht. Das bedeutet für die Anwaltschaft, dass Schriftsätze nur noch als elektronische Dokumente bei den Gerichten eingereicht werden dürfen, da sie ansonsten unheilbar unwirksam sind. Nur in Ausnahmefällen bleibt die herkömmliche Übermittlung wie bspw. per Telefax zulässig, wenn ein technischer Ausfall unverzüglich glaubhaft gemacht wird. Die Kolleginnen und Kollegen sind daher dringend aufgerufen, sich so schnell wie möglich mit den neuen Bestimmungen vertraut zu machen und ihre Kanzlei auf die elektronische Kommunikation auszurichten. Ansonsten drohen unvermeidlich Haftungsfälle.
Aktive Nutzungspflicht – was ist das?
Der Begriff der aktiven Nutzungspflicht findet sich nicht im Gesetz. Er ist genau betrachtet sogar ein wenig schief. Er soll bedeuten, dass die Prozessbevollmächtigten verpflichtet sind, ihre Schriftsätze und Anlagen, Anträge und Erklärungen etc. als elektronische Dokumente zu speichern und „aktiv“ an die Gerichte auf elektronischem Weg zu übermitteln. Die „Nutzung“ eines bestimmten Kommunikationsmittels wie bspw. des beA ist aber gerade nicht vorgeschrieben. Sinn und Zweck der Norm ist es, die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs nicht dadurch zu beeinträchtigen, dass ein Teil der Anwälte weiterhin Papierdokumente an die Gerichte übersendet, die dann dort zu erheblichen Druck- und Scanaufwänden führen.1 Spätestens ab 01.01.2026 arbeiten die Gerichte nämlich ausschließlich mit der digitalen Akte (vgl. bspw. § 298a Abs. 1a S. 1 ZPO).
Die Pflichten im Zusammenhang mit dem elektronischen Rechtsverkehr wurden mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.20132 eingeführt und mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.20173 erweitert. Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sollte dabei im Wesentlichen bundeseinheitlich und schrittweise erfolgen. So trat am 01.01.2018 bereits die „passive Nutzungspflicht“ in Kraft. Sie wird als reine Berufspflicht in § 31a Abs. 6 BRAO geregelt und verpflichtet zur Nutzung des beA, aber nur in Bezug auf den Empfang und damit auf der Passivseite.
Die aktive Nutzungspflicht tritt zum 01.01.2022 in Kraft. Sie wird geregelt sein in folgenden Prozess- bzw. Verfahrensordnungen: § 130d ZPO, § 14b FamFG, § 46g ArbGG, § 65d SGG, § 55d VwGO, § 52d FGO und § 32d StPO (vgl. auch in Verbindung mit § 110c OWiG). Dokumente, für die die Schriftform (vgl. § 130 Nr. 6 Hs. 1 ZPO) vorgeschrieben ist, müssen dann elektronisch eingereicht werden. Lediglich Verteidiger sollen ihre Schriftsätze als elektronisches Dokument übermitteln. Nur die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen im Strafprozess als elektronisches Dokument übermittelt werden.
... konnten zwei Bundesländer die Nutzungspflicht bereits vorab in Kraft treten lassen.
Aufgrund einer Verordnungsermächtigung konnten zwei Bundesländer die Nutzungspflicht bereits vorab in Kraft treten lassen. Bereits seit 01.01.2020 gilt sie in Schleswig-Holstein für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit und seit 01.01.2021 in Bremen für alle Fachgerichtsbarkeiten mit Ausnahme des LSG Niedersachsen-Bremen in Celle und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Beim Einreichen von fristwahrenden Schriftsätzen ist dort also bereits heute höchste Vorsicht geboten. Dies zeigen die zahlreichen im Wesentlichen ergebnislosen Wiedereinsetzungsanträge, über die mittlerweile entschieden wurde.
Zu beachten ist schließlich, dass es bereits heute weitere Pflichten zur elektronischen Kommunikation gibt. Dazu gehört bspw. die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses, § 174 Abs. 4 S. 4 ZPO, das Mahnverfahren, § 702 Abs. 2 S. 2 ZPO, und das Einreichen von Schutzschriften, § 945a ZPO in Verbindung mit § 49c BRAO. Besondere Aufregung hat in der Vergangenheit zudem die Rechtsprechung bei Faxproblemen am Tag des Fristablaufs gesorgt: Danach sei auch ein Übermittlungsversuch per beA zu unternehmen. Der BGH hat diese Anforderung mittlerweile ein wenig relativiert: Die Benutzung des beA nach gescheiterter Übermittlung per Telefax sei jedenfalls dann kein zumutbarer, nur einen geringfügigen Aufwand verursachender alternativer Übermittlungsweg, wenn der Anwalt das beA bisher nicht aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt habe und mit seiner Nutzung nicht vertraut sei.4
Ausgestaltung der aktiven Nutzungspflicht
Die Form der Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Wird die Form nicht gewahrt, ist die Prozesserklärung unwirksam. Im Falle der Klage erfolgt eine Abweisung durch Prozessurteil. Auf die Einhaltung kann auch der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (vgl. § 295 Abs. 2 ZPO). Die Nutzungspflicht gilt dabei grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der jeweiligen Verfahrensordnung.5 Eine Heilung bspw. nach § 130a Abs. 6 ZPO kommt nicht in Betracht, weil kein Verstoß gegen die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen (§ 130a Abs. 2 ZPO in Verbindung mit der ERVV) vorliegt. Eine Wiedereinsetzung wird in der Regel an dem Organisationsverschulden des Anwalts scheitern. Allein die Unkenntnis der Normen zum elektronischen Rechtsverkehr kann kein Entschuldigungsgrund sein.6
Vorgaben im materiellen Recht wie etwa § 2356 Abs. 1 S. 1 BGB, die die Vorlage von öffentlichen Urkunden oder Ausfertigungen in gerichtlichen Verfahren vorschreiben, bleiben als leges speciales von der allgemeinen Nutzungspflicht elektronischer Kommunikationswege natürlich unberührt. Dasselbe gilt erst recht für die Vorlage von Urkunden, die vom Gericht zu informatorischen Zwecken (§§ 142, 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO) oder zu Beweiszwecken angeordnet worden ist. Ausgeschlossen ist überdies nicht die Einreichung von Papierunterlagen, die im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zur Weiterleitung an eine ausländische Stelle bestimmt sind. Soweit in allen diesen Fällen zusätzlich eine Abschrift der vorzulegenden oder weiterzuleitenden Dokumente in Papierform für die Akten eingereicht werden soll, ist die Pflicht zur Einreichung in elektronischer Form allerdings zu beachten.7
Ist die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen, vgl. bspw.
§ 130d S. 2 und 3 ZPO. Die nach den allgemeinen Vorschriften zulässigen Einreichungsformen sind dabei die Übermittlung in Papierform oder durch Telefax (vgl. § 130 Nr. 6 Hs. 2 ZPO). Diese Ersatzeinreichung ist nur für die Dauer der Störung zulässig. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder des Anwalts zu suchen ist.8 Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet.9
Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet.
Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung kann vor allem zur Wahrung materiell-rechtlicher Verjährungs- oder Ausschlussfristen erforderlich sein, in die keine Wiedereinsetzung gewährt werden kann und bei denen § 167 ZPO eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht vorsieht. Allerdings wird durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ klargestellt, dass Anwälte hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen.10
Vor diesem Hintergrund wurde daher auch vorgesehen, dass die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur glaubhaft zu machen ist. Die Glaubhaftmachung (vgl. § 294 ZPO) soll möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. Jedoch sind Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Eine Glaubhaftmachung 17 Tage nach der Störung ist nicht mehr unverzüglich. Die gerichtliche Kenntnis von der Störung des beA zu einem bestimmten Zeitpunkt macht die Glaubhaftmachung der Störung nicht entbehrlich. Glaubhaft gemacht werden muss allein die Tatsache einer technischen Störung im Zeitpunkt der beabsichtigten Einreichung. Es bedarf keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung bspw. zu den Gründen der Störung oder eines Zuwartens aus sonstigen Gründen. Die Glaubhaftmachung muss selbst wirksam (also im Zweifel elektronisch) eingereicht werden. Fehlt die Glaubhaftmachung oder wurde sie formunwirksam durchgeführt, wird auch die Ersatzeinreichung unwirksam.11
Was ist jetzt zu tun?
Sofern Anwälte forensisch tätig sind, sollten sie schnell Vorkehrungen treffen, um elektronische Dokumente an die Gerichte formwirksam übermitteln zu können. Dabei können verschiedene zugelassene Übermittlungswege genutzt werden (vgl. § 4 Abs. 1 ERVV) wie bspw. akkreditierte EGVP-Clients oder DE-Mail mit Absenderbestätigung. Am einfachsten dürfte es aber sein, das beA zu verwenden, mit dem auf Empfangsseite ohnehin regelmäßig gearbeitet werden muss. Hierfür ist wenigstens die Anschaffung einer beA Karte Basis erforderlich, die über die Bundesnotarkammer bezogen werden kann.12 Die zur Bestellung benötigte SAFE-ID kann jeder Anwalt selbst im bundesweiten Gesamtverzeichnis recherchieren.13
Bei der Nutzung von beA bieten sich zwei Übermittlungsmethoden an, vgl. bspw. § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO. Entweder das Dokument wird mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, für die aber wiederum ein entsprechendes Signaturzertifikat anzuschaffen ist (beA Karte Signatur). Oder man macht von der vereinfachten Einreichungsmöglichkeit Gebrauch, die allerdings – so hat es sich mittlerweile gezeigt – fehleranfällig ist. Danach genügt es, wenn das elektronische Dokument am Ende mit dem Namen der verantwortenden Person versehen wird (einfache Signatur) und eben diese verantwortende Person aus ihrem beA heraus das Dokument selbst an das Gericht versendet.
Machen Sie sich darüber hinaus mit den Anforderungen an die elektronischen Dokumente vertraut, wie sie in der ERVV und der dazu erfolgten Bekanntmachung niedergelegt sind. In der Regel ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln, § 2 Abs. 1 ERVV. Denken Sie auch daran, für den Versand und die nachfolgende Eingangskontrolle organisatorische Anweisungen an Ihre Mitarbeiter zu erteilen, um sich im Falle einer Wiedereinsetzung exkulpieren zu können. Und sollten Sie noch Unsicherheiten in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen oder die technische Umsetzung haben, denken Sie an den Besuch einschlägiger Fortbildungsveranstaltungen, die u. a. durch die RAK München angeboten werden.
Literaturverzeichnis:
1BT-Drs. 17/12634, S. 27.
2BGBl. I, S. 3786.
3BGBl. I, S. 2208.
4BGH Beschl. v. 17.12.2020 – III ZB 31/20, NJW 2021, 390, Rn. 27.
5BT-Drs. 17/12634, S. 27.
6BGH Beschl. v. 15.5.2019, XII ZB 573/18, NJW 2019, 2230 mit weiteren Nachweisen.
7BT-Drs. 17/12634, S. 27.
8BT-Drs. 17/12634, S. 27.
9ArbG Lübeck Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20, BRAK-Mitt 2021, 122.
10BT-Drs. 17/12634, S. 28.
11ArbG Lübeck Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20, BRAK-Mitt 2021, 122.
13www.rechtsanwaltsregister.org