Seit Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den bayerischen Arbeitsgerichten zum 01.10.2017 hat die elektronische Korrespondenz zwischen Anwälten und Gerichten stetig zugenommen. Beim Arbeitsgericht München gehen mittlerweile ungefähr die Hälfte der Dokumente elektronisch ein, beim Arbeitsgericht Augsburg rund ein Drittel und beim Landesarbeitsgericht München bereits mehr als die Hälfte.
Die Umstellung war zunächst eine Herausforderung für die Gerichtsverwaltung und die Servicebereiche. Neue Prozesse mussten etabliert und Personal geschult werden. Für die Richterschaft hingegen hat sich hinsichtlich der Arbeitsabläufe wenig verändert. Allerdings werden durch den elektronischen Rechtsverkehr verschiedene neue Rechtsfragen aufgeworfen.
Der elektronische Rechtsverkehr hilft, das haben die vergangenen dreieinhalb Jahre gezeigt, Postlaufzeiten und Aufwand zu reduzieren, insbesondere in Verfahren, in denen beide Seiten per beA mit dem Gericht kommunizieren. Er funktioniert in den allermeisten Fällen problemlos und fehlerfrei. Soweit Probleme auftreten, handelt es sich vor allem um folgende Fälle:
- Zusammenfassung von Dokumenten aus unterschiedlichen Verfahren in einer Nachricht
In der Papierwelt ist es kein Problem, Schriftsätze für mehrere Verfahren, insbesondere Parallelverfahren, in einem Umschlag an das Gericht zu senden. Im elektronischen Rechtsverkehr ist dies nicht mehr zulässig. Für jedes Verfahren, auch bei Parallelverfahren, ist ein eigener Umschlag, eine eigene Nachricht, erforderlich. Elektronische Dokumente müssen für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein
(§ 46c Abs. 2 ArbGG bzw. § 130a Abs. 2 ZPO i.V.m. Elektronischer-Rechtsverkehr- Verordnung (ERVV)). Dies erfordert für jedes Verfahren eine eigene Nachricht. Nur so ist eine automatisierte Zuordnung der Schriftsätze und Anlagen zum richtigen Verfahren möglich. Fehler lösen hier nicht nur vermeidbaren Mehraufwand aus, sondern führen bei der Fristwahrung dienenden Schriftsätzen auch zu vermeidbaren Risiken.
- Nicht zur Bearbeitung geeignete elektronische Dokumente
Sofern das elektronische Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet ist
(§ 46 Abs. 6 S. 1 ArbGG bzw. § 130a Abs. 6 S. 1 ZPO), z. B. Übersendung eines Word-Dokuments statt Dateiformat PDF, wird dies mit einem entsprechenden standardisierten Schreiben durch das Gericht mitgeteilt. Nach der Rechtsprechung des BAG genügt ein einmaliger gerichtlicher Hinweis (vgl. BAG, 12.03.2020 – 6 AZM 1/20). Reicht der Absender das elektronische Dokument unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nach und macht er glaubhaft, dass das Schriftstück mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt, z. B. durch eidesstattliche oder anwaltliche Versicherung (vgl. BAG, 03.06.2020 – 3 AZR 730/19), gilt das Dokument als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen (§ 46 Abs. 6 S. 2 ArbGG bzw. § 130a Abs. 6 S. 2 ZPO). Eine gefestigte und einheitliche Rechtsprechung zu Folgen von Verstößen gegen die Anforderungen des § 2 ERVV gibt es noch nicht. Formunwirksamkeit tritt ein, wenn der Verstoß dazu führt, dass eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist, z. B. weil sich die eingereichte Datei nicht öffnen lässt oder weil sie schadcodebelastet ist. Umstritten ist, ob ein Verstoß gegen die Anforderung Durchsuchbarkeit iSd § 2 Abs. 1 S. 1 ERVV stets zur Formunwirksamkeit führt (so BAG, 12.03.2020 – 6 AZM 1/20; BAG, 03.06.2020 – 3 AZR 730/19) oder lediglich einen unschädlichen Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift darstellt (vgl. OLG Koblenz, 23.11.2020 – 3 U 1442/20).
- Angabe des Aktenzeichens
Ebenfalls wichtig für die automatische Verarbeitung der Nachrichten ist, dass im Feld, das für das gerichtliche Aktenzeichen bestimmt ist, auch tatsächlich nur das gerichtliche Aktenzeichen genannt wird. Jede auch noch so gut gemeinte zusätzliche Information in diesem Feld stört die Bearbeitung. Bei neuen Verfahren gewährleistet die Angabe der Art des Schriftstücks im Betreff (z. B. einstweilige Verfügung, Kündigungsschutzklage, BV- Antrag), dass die übersandten Dokumente zügig der richtigen Verfahrensart zugeordnet werden können.
- Übersendung an Außenkammern
Werden Schriftsätze elektronisch an das Hauptgericht gesandt, obwohl eine Außenkammer zuständig ist, muss der Schriftsatz ausgedruckt und postalisch an die Außenkammer weitergeleitet werden. Eine elektronische Weiterleitung vom Hauptgericht an die Außenkammer ist nicht möglich, da dadurch der Zeitpunkt des Ersteingangs nicht mehr zuverlässig festgestellt werden kann. Die postalische Weiterleitung führt zu Verzögerungen und zusätzlichem Aufwand, auch weil der Absender verständigt werden muss. Bei bekannter Zuständigkeit einer Außenkammer sollte deshalb darauf geachtet werden, dass der ERV-Schlüssel der jeweiligen Außenkammer verwendet wird.
- Logische Nummerierung der Anlagen
Werden mehrere Dokumente für ein Verfahren übersandt, ist dies in einer Nachricht möglich. Es soll in den Dateinamen (schlagwortartige Bezeichnung des Dateiinhalts) eine logische Nummerierung aufgenommen werden (§ 2 Abs. 2 ERVV), indem eine fortlaufende Nummerierung mit führender Null dem Dateinamen vorangestellt wird (z. B. 00_Klageschrift_vom ... , 01_Anlage_1, 02_Anlage_2, 03_Antrag_PKH, 04_Entgeltabrechnung etc.). Dies ermöglicht die automatische Sortierung beim Druck oder Import. Die in der Papierwelt übliche Nummerierung, z. B. Anlage 1, Anlage 2 usw. ist keine logische Nummerierung iSd. § 2 ERVV und kann vom System nicht erkannt werden.
- Elektronisches Empfangsbekenntnis
Bei Zustellungen über das beA an eine Anwältin oder einen Anwalt ist ein elektronisches Empfangsbekenntnis (eEB) abzugeben (§ 174 Abs. 4 S. 3 und 4 ZPO). Das Gericht stellt mit der Zustellung einen strukturierten Datensatz zur Verfügung (§ 174 Abs. 4 S. 5 ZPO), auf den über die beA-Anwendung zu „antworten“ ist. Nimmt der beA-Postfachinhaber den Versand des eEB nicht selbst vor, muss vor dem Versenden eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) an dem Strukturdatensatz angebracht werden (§ 46c Abs. 3 S. 1, 1. Alt. ArbGG). Ein konventionelles EB gibt es bei der elektronischen Zustellung nicht mehr.
Wird das elektronische Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt, führt dies nicht nur zu Mehraufwand bei den Geschäftsstellen der Gerichte, die das eEB anmahnen müssen, sondern auch zu Risiken auf Seiten der Parteien und Anwaltschaft. Es gibt noch keine gefestigte Rechtsprechung dazu, wie eine Zustellung im Falle unterbliebener Rücksendung des eEBs zu bewerten ist. Wird die Zustellung entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht durch eEB nachgewiesen, stellt sich die Frage, ob die Zustellung durch andere Beweismittel nachgewiesen werden kann, und wie der Zeitpunkt der Zustellung in diesem Fall zu bestimmen ist. Bei einem Rückgriff auf § 189 ZPO (vgl. MüKomm/Häublein/Müller, § 174 ZPO, Rn. 26), was auch bei Zustellungen, für die es grundsätzlich der Empfangsbereitschaft bedarf, möglich sein kann (vgl. BGH, 13.01.2015 – VIII ZB 55/14), wird anders als bei Übersendung per Post der Zeitpunkt, zu dem das Dokument in den Machtbereich des Empfängers, das beA des Anwalts bzw. der Anwältin, gelangt ist, idR. mit dem Tag der Versendung übereinstimmen. Dieser kann vor dem Tag liegen, der bei ordnungsgemäßer Rücksendung als Tag der Kenntnisnahme im eEB vermerkt worden wäre.
Der elektronische Rechtsverkehr trägt dazu bei, die Kommunikation zwischen Gerichten und Anwaltschaft zu beschleunigen und zu vereinfachen. Um vereinzelt noch auftretende Probleme zu vermeiden, ist es wichtig zu wissen, dass Dinge, die in der Papierwelt logisch und praktisch waren, bei der elektronischen Verarbeitung u. U. zu Problemen führen. Dies liegt nicht am fehlenden guten Willen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern an den Grenzen der automatisierten Verarbeitung durch die Software.
Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs ist eine grundlegende Änderung der Kommunikation zwischen Anwaltschaft und Gerichten. Eine aktive Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr bereits vor dem 31.12.2021 ermöglicht eine Testphase unter „Echtbedingungen“. Durch Hinweise auch über die gesetzlichen Hinweispflichten hinaus leistet die Arbeitsgerichtsbarkeit dabei Unterstützung. Wie immer gelingt auch hier Kommunikation am besten in einem Dialog, der getragen wird vom Verständnis der jeweiligen Anforderungen auf Empfänger- und Senderseite.