Am 16.12.2022 hat der Deutsche Bundestag das Hinweisgeberschutzgesetz („Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ – HinSchG1) verabschiedet. Damit sollen Hinweisgeber:innen, die im beruflichen Umfeld Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen weitere Vorschriften melden, besser geschützt werden. Die neuen Regelungen sind nicht nur für Unternehmen wichtig. Neben dem Arbeits- und Datenschutzrecht sind auch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und weitere Rechtsgebiete betroffen. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte werden sich nicht nur als Berater:innen mit dem Hinweisgeber:innenschutz beschäftigen müssen, sondern haben diesen auch in ihrer Kanzleiorganisation zu berücksichtigen.
Tatsächlich haben die harten Diskussionen im langwierigen Gesetzgebungsverfahren2 gezeigt, das sog. Whistleblower es bislang schwer haben: Oft erhalten Hinweisgerber:innen nach Abgabe einer Meldung die (fristlose) Kündigung. Skandale wie Wirecard oder CumEx machen deutlich, dass Hinweisgeber:innen selber Strafermittlungen ausgesetzt sein können, die beschuldigten Personen Schadensersatz geltend machen oder auf sonstige Weise Druck auf die Hinweisgeber:innen ausgeübt wird. Der Name des Gesetzes ist insofern ein Euphemismus – bislang gab es in Deutschland keinen nennenswerten Schutz hinweisgebender Personen.
Auch die Personen, die die Meldung unterstützen, genießen den Schutz des HinSchG.
Was regelt das HinSchG?
Das Gesetz schützt natürliche Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit (oder im Vorfeld) Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an interne oder externe Meldestellen weiterleiten. Auch die Personen, die die Meldung unterstützen, genießen den Schutz des HinSchG. In Ausnahmefällen ist auch die Veröffentlichung der Informationen geschützt.
Geschützt werden nur Hinweisgeber:innen, die zum Zeitpunkt der Meldung davon ausgehen konnten, dass die Meldung der Wahrheit entspricht. Missbräuchliche Meldungen begründen Schadensersatzansprüche.3
Leider bleibt der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes in Teilen unklar.4 Straftaten können in jedem Fall geschützt gemeldet werden, bußgeldbewehrte Verstöße jedoch nur, wenn die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz von Beschäftigtenrechten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Außerdem gibt es eine lange Liste mit weiteren Vorschriften, die in den sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG fallen (u. a. Geldwäsche, Produktsicherheit, Umweltschutz, Verbraucherrechte, Datenschutz). Sowohl für die Hinweisgeber:innen als auch die Meldestellenverantwortlichen wird es eine Herausforderung sein, im Einzelfall festzustellen, ob der Schutzbereich des HinSchG eröffnet ist.
Wie werden Hinweisgeber:innen geschützt?
Beschäftigungsgeber ab 50 Mitarbeitenden sind verpflichtet, eine interne Meldestelle einzurichten. Kleinere Unternehmen zwischen 50 bis 249 Beschäftigten können eine solche Meldestelle auch gemeinsam betreiben (z. B. über eine Anwaltskanzlei oder bei einem Verband).
Die eingerichteten Meldekanäle müssen Meldungen in mündlicher (telefonisch oder per Sprachnachricht) oder in Textform ermöglichen. Auf Wunsch der hinweisgebenden Person sind auch persönliche Treffen zu ermöglichen. Im gesamten Meldeverfahren sind die Grundprinzipien der Vertraulichkeit, Schutz der Hinweisgeber:innen und Einhaltung aller Datenschutzrechte zu gewährleisten. Die Meldestellen sind verpflichtet, eine Eingangsbestätigung der Meldung (innerhalb von sieben Tagen) und eine Rückmeldung über geplante und ergriffene Folgemaßnahmen (innerhalb weiterer drei Monate) an die hinweisgebende Person zu geben.
Die eingerichteten Meldekanäle müssen Meldungen in mündlicher (telefonisch oder per Sprachnachricht) oder in Textform ermöglichen.
Stichhaltige Meldungen müssen nachverfolgt, also z. B. durch eine interne Untersuchung aufgeklärt werden.
Einer der größten Kritikpunkte am Gesetzentwurf war der Ausschluss von anonymen Meldungen. Quasi auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens hat der Rechtsausschuss des Bundestages diesen Makel behoben – anonyme Hinweise müssen entgegengenommen und aufgeklärt werden.
Ein großer Streitpunkt ist immer noch, ob Konzerne eine zentrale Meldestelle einrichten können oder ob jede einzelne Konzerngesellschaft eine eigene Meldestelle haben muss. Der Bundesjustizminister Dr. Buschmann hat im Gesetzgebungsverfahren mehrfach darauf verwiesen, dass eine zentrale Meldestelle ausreichend und sinnvoll ist.5 Man befinde sich dazu in Kommunikation mit der EU – die EU-Kommission sieht das nämlich anders. Es ist nicht auszuschließen, dass die deutsche Regelung europarechtswidrig ist und die Unternehmen mit einer zentralen Meldestelle Probleme bekommen werden.
Für Unternehmen, die Tochtergesellschaften in mehreren europäischen Ländern haben, wird es eine Herausforderung sein, die zum Teil sehr unterschiedlichen nationalen Hinweisgeberschutzgesetze zu erfüllen.6
Beim Bundesamt für Justiz wird eine neue externe Meldestelle eingerichtet werden.
Hinweisgeber:innen haben die Wahl, ob sie Fehlverhalten und Verstöße intern oder bei einer externen Meldestelle melden wollen. Zu den externen Meldestellen gehören u. a. das Bundeskartellamt und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Beim Bundesamt für Justiz wird eine neue externe Meldestelle eingerichtet werden. Die Bundesländer werden ebenfalls externe Meldestellen schaffen.
Nach dem neuen § 7 Abs. 3 HinSchG sollen Beschäftigungsgeber Anreize schaffen, damit sich hinweisgebende Personen an die interne Meldestelle wenden.7
Sanktionen
Repressalien gegen Hinweisgeber:innen sind verboten. Hierzu gehören Kündigungen, aber auch alle anderen Handlungen und Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf die Meldung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein Nachteil entsteht oder entstehen kann. Auch die Androhung von Repressalien oder deren Versuch ist verboten. Ebenfalls ist verboten, den Zugang zu Meldestellen zu behindern. Das HinSchG sieht eine Beweislastumkehr zugunsten der hinweisgebenden Person vor.
Im Falle von Repressalien haben Hinweisgeber:innen einen Schadensersatzanspruch, der auch immaterielle Schäden umfasst.
Wer eine Hinweisgebermeldestelle nicht einrichtet oder betreibt, kann eine Geldbuße von bis zu EUR 20.000,00 erhalten. Falls eine Meldung behindert wird oder gegen Hinweisgeber:innen Repressalien ergriffen werden, kann eine Geldbuße bis zu EUR 100.000,00 fällig werden.
Ab wann gelten die neuen Regelungen?
Das HinSchG wird drei Monate nach der Verkündung in Kraft treten.8 Private Beschäftigungsgeber mit bis zu 249 Beschäftigten müssen erst ab dem 17.12.2023 eine interne Meldestelle einrichten.9 Die Pflicht zur Entgegennahme und Nachverfolgung anonymer Hinweise besteht erst ab dem 01.01.2025.10
Das HinSchG aus anwaltlicher Sicht
Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist das neue Hinweisgeberschutzgesetz nicht nur in der Beratungspraxis relevant. Kanzleien mit 50 oder mehr Beschäftigten11 müssen eine interne Meldestelle einrichten. Der oder die Verantwortliche für die Hinweisgebermeldestelle muss unabhängig (weisungsfrei) und fachkundig diese Stelle betreuen.
Kanzleien mit 50 oder mehr Beschäftigten müssen eine interne Meldestelle einrichten.
Es sind aber auch Hinweisgeber:innen geschützt, die Verstöße aus Kanzleien melden, die keine interne Meldestellen einrichten müssen. Diese Hinweisgeber:innen können sich nur direkt an externe Stellen wenden.
Der Gesetzgeber hat Informationen, die Pflichten zur Wahrung der Verschwiegenheit durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Verteidiger:innen in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Kammerrechtsbeistände, Patenanwältinnen und -anwälte sowie Notarinnen und Notare12 betreffen, vom sachlichen Anwendungsbereich des HinSchG ausgenommen (§ 5 Abs. 1 Ziffer 3).
Die anwaltliche Verschwiegenheit ist also vom HinSchG nicht betroffen.
Die anwaltliche Verschwiegenheit ist also vom HinSchG nicht betroffen. Es folgt ein großes Aber: Es gibt Fälle, die durchaus Kopfzerbrechen bereiten können. Denkbar ist, dass ein (geschützter) Hinweis auf Geldwäscheverdacht in einer Kanzlei abgegeben wird. Um diesen Verdacht zu belegen, müssen ggf. mandatsrelevante Informationen mitgeteilt werden, die wiederum der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegen. Oder ein angestellter Rechtsanwalt meldet einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz – dies wäre nach HinSchG ein geschützter Hinweis. Die Tätigkeitsnachweise, Stundenabrechnungen etc, die den Verstoß belegen können, unterliegen aber möglicherweise der anwaltlichen Schweigepflicht.
Ich bezweifle, dass potenzielle Hinweisgeber:innen in einer Kanzlei diese komplexe Unterscheidung zwischen zulässigen und geschützten Hinweisen und den unzulässigen Meldungen unter Verstoß gegen das Mandatsgeheimnis in jedem Fall korrekt treffen können.
Aus meiner Sicht ist es daher sehr ratsam, wenn die Anwaltschaft Beratungsangebote für potentielle Hinweisgeber:innen zur Verfügung stellt, um zum Umfang der anwaltlichen Verschwiegenheit zu beraten. Bei einer objektiven und fachkundigen Beratung wäre darin keine Verhinderung einer Meldung zu sehen, sondern eine zulässige Unterstützung der potenziellen Hinweisgeber:innen. Sicherlich ist es sinnvoll, die Mitarbeitenden der Kanzlei hierzu zu schulen und auch den Aspekt der zulässigen Hinweise nach HinSchG in der Belehrung zur Verschwiegenheitsverpflichtung von Mitarbeitenden auszuformulieren.
Fußnoten:
1Siehe die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 20/4909, sowie den Gesetzentwurf (Fassung der ersten Lesung) BT-Drs. 20/3442.
2Die Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937 hätte schon zum 17.12.2021 erfolgen müssen. Die EU hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
3Die Rechtstatsachenforschung zeigt ganz klar, dass es in Hinweisgebermeldesystemen nur zu einem sehr niedrigen einstelligen Prozentanteil an missbräuchlichen Meldungen kommt.
4Selbst die Bundestagsabgeordneten scheinen unsicher über die Reichweite des Gesetzes zu sein: Ein Entschließungsbeschluss des Bundestags verpflichtet die Bundesregierung zur Prüfung, ob Meldungen nach AGG und wegen erheblichen Fehlverhaltens, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt, ausreichend durch das HinSchG geschützt sind.
5 Der Rechtsausschuss hat dies in seiner ergänzenden Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/4909) bekräftigt.
6Stand Dezember 2022 haben 13 EU-Staaten ein nationales Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. In sieben Ländern befindet sich ein Gesetzentwurf im Parlament, in weiteren fünf Ländern gibt es Gesetzentwürfe (Belgien, Bulgarien, Luxemburg, Polen, Österreich). Nur Ungarn zeigt kaum Umsetzungsbemühungen. Eine aktuelle Übersicht findet sich hier.
7Der Gesetzgeber hat bewusst offengelassen, wie diese Anreize aussehen können.
8Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Das HinSchG könnte im Mai 2023 in Kraft treten.
9Diese Verlängerung gilt nicht für Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor, § 12 Abs. 3 i.V.m. § 42 S. 2 HinSchG.
10Nach dem neu eingefügten § 42 Abs. 2 HinSchG gilt „§ 16 Absatz 1 Satz 4 bis 6 und § 27 Absatz 1 Satz 3 bis 5 sind erst ab dem 1. Januar 2025 anzuwenden.“
11Es wird nach Headcount gezählt, nicht nach Vollzeitstellen oder Berufsträgern.
12 Steuerberater:innen sind nicht vom Anwendungsbereich des HinSchG ausgenommen. Die Bundesregierung wird dies noch einmal prüfen.