Auf ein Wort, Herr Ministerialdirigent Dr. Dickert!

Herr Dr. Dickert, Sie sind Ministerialdirigent im Bayerischen Staatsministerium der Justiz. Welche Aufgaben und Verantwortungen gehen mit diesem Amt einher? Und was steht zu Beginn des Tages ganz oben auf Ihrer To-do-Liste?


Seit dem Jahr 2011 leite ich die Abteilung Haushalt und Bau, Organisation, IT, Geschäftsstatistik, Kosten- und Kassenwesen. Wenn Sie so wollen, bin ich der „Finanzchef“ der bayerischen Justiz. Meine Abteilung besteht aus einer Kernmannschaft von 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Außerdem gehören dazu die Inneren Dienste des Ministeriums wie Offizianten, Drucker, Dienstkraftwagenfahrer und Reinemachefrauen; das sind nochmal 16 Personen.

Als Abteilungsleiter muss ich mein Team führen, Ziele und Projekte entwickeln, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anleiten, die Hausspitze über wichtige Vorgänge unterrichten und Dienstbesprechungen leiten. Jeden Montag findet ein Jour fixe mit den sechs Referatsleitern der Abteilung und einmal im Monat eine Besprechung mit sämtlichen Mitarbeitern statt. Daneben gibt es regelmäßige Besprechungen mit dem Direktor und den Referatsleitern des IT-Servicezentrums der bayerischen Justiz sowie jährliche Dienstbesprechungen mit den Organisationsreferenten und -beratern.


Unsere täglichen Topthemen sind die großen Bauvorhaben, wie das neue Strafjustizzentrum in München, die laufende Optimierung der Sicherheit in den Justizgebäuden, Organisationsprojekte wie die Neugestaltung des gerichtsärztlichen Dienstes oder die Einrichtung von Bürgerservicezentren bei den Amtsgerichten und – last, but not least – die Digitalisierung mit dem Leuchtturmprojekt E-Justice. Dessen Schwerpunkte sind die Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs und die Entwicklung sowie Pilotierung der elektronischen Verfahrensakte.

"Dann wurde ich Präsident des Landgerichts Ingolstadt - eine Verwendung, von der ich sehr stark profitiert habe, weil ich viele praktische Erfahrungen in der Gerichtsverwaltung sozusagen an der Basis sammeln konnte."

Welche beruflichen Stationen gab es vorher? Und was hat Sie an Ihrer jetzigen Position besonders gereizt?

Die Laufbahn als Ministerialbeamter in der bayerischen Justiz ist von einem fortwährenden Laufbahnwechsel geprägt: Ich habe 1990 meinen Dienst als Mitarbeiter in der Strafrechtsabteilung des Ministeriums angetreten, war dann Staatsanwalt und Richter, anschließend Mitarbeiter in der Personalabteilung, dann Richter am Oberlandesgericht in einem Zivilsenat. Meine bisher längste Verwendung war die Leitung eines Personalreferats im Ministerium, die ich sieben Jahre lang innehatte; da gehörte unter anderem das anwaltliche und notarielle Berufsrecht zu meinem Aufgabenspektrum. Dann wurde ich Präsident des Landgerichts Ingolstadt – eine Verwendung, von der ich sehr stark profitiert habe, weil ich viele praktische Erfahrungen in der Gerichtsverwaltung sozusagen an der Basis sammeln konnte. 2008 hat mich Frau Staatsministerin Dr. Beate Merk als Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und Verbraucherschutz wieder ins Ministerium geholt. Seit 2011 bin ich – wie gesagt – Leiter der Haushaltsabteilung. Und ab dem 01.04.2018 wird mich mein beruflicher Weg nach Nürnberg führen; zu diesem Zeitpunkt hat mir der Bayerische Ministerrat das Amt des Präsidenten des dortigen Oberlandesgerichts übertragen.

Die Digitalisierung weitet sich mit großen Schritten auf all unsere Lebensbereiche aus und ist – insbesondere in Form des elektronischen Rechtsverkehrs – nunmehr auch in der Justiz angekommen. Wie „schafft“ man diesen digitalen Wandel im Hinblick auf die zur Verfügung gestellte Technik?


Die Herausforderungen der Digitalisierung der Justiz sind riesig. Das betrifft zum einen die Software. Mit dem elektronischen Integrationsportal – eIP – haben wir eine Lösung für die elektronische Gerichtsakte entwickelt, die in den Zivilkammern der Landgerichte Landshut, Regensburg und Coburg bereits im täglichen Einsatz ist und dort von den Richterinnen, Richtern, Rechtspflegerinnen, Rechtspflegern und Servicekräften gut angenommen wird. Im nächsten Jahr werden weitere Gerichte, Instanzen und Verfahrensbereiche einbezogen. Daneben entwickeln wir in einem 16-Länder-Verbund ein neues Fachverfahren, das mittelfristig das bisherige Programm „forumSTAR“ ablösen soll; Bayern hat hier die Federführung inne. Ferner haben sich 14 Länder zusammengeschlossen, um ein elektronisches Datenbankgrundbuch zu entwickeln; auch dieser Verbund wird von Bayern angeführt.

Die Entwicklung moderner Software ist aber nur die eine Seite der Medaille. Darüber hinaus müssen wir uns um eine reibungslose Kommunikation mit der „Außenwelt“ sowie um die sichere und hochverfügbare Speicherung der Verfahrensdaten und Gerichtsakten kümmern. Da die Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte, Notarinnen und Notare unsere wichtigsten Kommunikationspartner sind, stehen wir mit deren Standesorganisationen in einem sehr engen und intensiven Austausch. Die reibungslose Kommunikation und sichere Speicherung erfordern erhebliche Investitionen in die IT-Infrastruktur, wie Datenleitungen und Server. Und schließlich müssen wir die Gerichtssäle mit entsprechend moderner und ergonomischer Hardware ausstatten.

Und wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Gestaltung von Gerichtssälen aus? Welche baulichen Herausforderungen ergeben sich hier?


Wir haben in der bayerischen Justiz etwa 1.000 Gerichtssäle, die alle schrittweise als E-Gerichtssäle ausgerüstet werden müssen. Dazu gehört auch die Technik für Videokonferenzen und Videovernehmungen, die ja vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung zunehmend vorausgesetzt werden. Zur Vorbereitung müssen Leitungen gelegt und auch die Möblierungen angepasst werden. Das ist vor allem dann schwierig und aufwendig, wenn es sich um denkmalgeschützte Säle handelt, was nicht selten der Fall ist. In enger Zusammenarbeit mit den Denkmalschutzbehörden und den Staatlichen Bauämtern haben wir aber bisher stets gute und passgenaue Lösungen gefunden.

Gibt es einen verbindlichen Zeitplan?


Ja, den Zeitplan hat uns der Bundesgesetzgeber klar vorgegeben. Der elektronische Rechtsverkehr ist bis zum 01.01.2018 bei allen Gerichten und Staatsanwaltschaften zu eröffnen. Wir sind dabei in Schritten vorgegangen und haben im Laufe des Jahres 2017 zunächst alle Gerichte so ausgestattet, dass sie eingehende elektronische Nachrichten empfangen können. Ab dem 01.01.2018 gilt das auch für die Staatsanwaltschaften. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften können nun selbst entscheiden, ab wann sie den weiteren Schritt gehen und elektronisch, etwa an Rechtsanwälte, zustellen wollen. Dieser zweite Schritt erfordert aufwendige Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Serviceeinheiten und gewisse technische und organisatorische Vorbereitungen. Die großstädtischen Gerichte haben bereits beantragt, dass sie die elektronische Zustellfunktion möglichst bald bekommen möchten. An der Umsetzung wird gearbeitet.

"Lediglich in einem Bereich, nämlich bei den Bußgeldverfahren, haben wir von der gesetzlichen Möglichkeit eines Opt-out Gebrauch gemacht"

Lediglich in einem Bereich, nämlich bei den Bußgeldverfahren, haben wir von der gesetzlichen Möglichkeit eines Opt-out Gebrauch gemacht; hier verschieben wir die Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs auf den 01.01.2019. Grund hierfür ist, dass die vielen Kommunen, die alle auch Bußgeldbehörden sind, teilweise technisch noch nicht so weit sind, etwa Einsprüche gegen Bußgeldbescheide elektronisch zu empfangen.

Was die elektronische Verfahrensakte angeht, hat uns der Bundesgesetzgeber zur flächendeckenden Einführung bis zum 01.01.2026 verpflichtet. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen wir in Schritten vorgehen. Da ab Anfang 2022 alle Rechtsanwälte und Behörden verpflichtet sind, Schriftsätze nur noch elektronisch an die Gerichte zu übersenden, wollen wir bis dahin auch in weiten Bereichen die elektronische Akte eingeführt haben. Denn anderenfalls müssten wir alles, was elektronisch eingeht, ausdrucken und die gerichtlichen Entscheidungen dann wieder für die Zustellung einscannen. Solche Medienbrüche sind sehr arbeitsaufwendig. Die Potenziale von E-Justice würden mit einem solchen Vorgehen nicht genutzt, sondern sogar konterkariert.

Das Wort „Übergangsphase“ ist im Zusammenhang mit dem elektronischen Rechtsverkehr zu einem gängigen Begriff geworden. Was bedeutet diese Phase für die Justiz?


Auf dem Weg in die digitale Justiz befinden wir uns tatsächlich in einer „Übergangsphase“, wobei noch nicht einmal die halbe Wegstrecke zurückgelegt ist. Wir wissen zwar inzwischen ziemlich genau, wo es hingeht. Aber mit 73 Amtsgerichten, 22 Landgerichten, ebenso vielen Staatsanwaltschaften, je drei Oberlandesgerichten und Generalstaatsanwaltschaften und neun unterschiedlichen Fachverfahren ist der Weg durchaus beschwerlich. Technik muss entwickelt, getestet, erprobt und eingeführt werden; Beschaffungen müssen getätigt werden; Schulungen müssen für insgesamt 15.000 Anwenderinnen und Anwender durchgeführt werden; die Abläufe müssen vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten angepasst werden.


Das ist aber noch nicht alles: Wir müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen, den Weg in die digitale Zukunft mitzugehen. Dies erfordert gute Informationen aus erster Hand und eine intensive Einbindung der künftigen Anwenderinnen und Anwender in die Softwareentwicklungen und Arbeitsplatzausstattungen. Hierzu haben wir einen Praxisbeirat eingerichtet, der sich aus interessierten Kolleginnen und Kollegen aller Funktionsgruppen zusammensetzt und unsere IT-Mannschaften berät. Daneben habe ich im Jahr 2017 gemeinsam mit dem Direktor des IT-Servicezentrums, Herrn Wolfgang Gründler, bei 17 Regionalveranstaltungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort aus erster Hand informiert und mit diesen diskutiert. Wir investieren sehr viel Zeit und Aufwand in dieses Akzeptanzmanagement und werden das auch in Zukunft tun. Und ich kann nur sagen: Es lohnt sich!

Fest steht: Der digitale Wandel bringt eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich. Wie erleben Sie diese aufregende Zeit des Umbruchs?


Persönlich reizen mich Wandel und Veränderung sehr. Wandel und Veränderung zu gestalten und voranzubringen sind Aufgaben, die mir liegen und Freude machen. Walter Scheel hat es einmal treffend so formuliert: „Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts!“ Ich weiß aber zugleich auch, dass nicht alle Menschen so eingestellt sind. Es gibt viele, auch in der Justiz, denen Veränderung Angst macht und die vom rasanten Wandel beunruhigt werden. Denn natürlich wird der digitale Wandel den Arbeitsalltag unserer Kolleginnen und Kollegen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften, gleich in welchen Bereichen sie eingesetzt sind, ganz erheblich beeinflussen. Darauf muss sich jede und jeder einlassen. Man muss sich einstellen auf das Arbeiten am Bildschirm; man muss der Verfügbarkeit von Akten vertrauen, die auf Servern gespeichert sind; man muss sich von langjährig eingespielten Abläufen verabschieden. Und ich muss zugeben, dass in der Vergangenheit unsere IT-Systeme nicht immer so reibungslos funktioniert haben, dass damit grenzenloses Vertrauen bei den Anwenderinnen und Anwendern geschaffen worden wäre.


Um hier Überzeugungsarbeit zu leisten, hilft nur eines: Hard- und Software so gut wie möglich machen! Sorgfalt und Gründlichkeit gehen klar vor Schnelligkeit! Und wir müssen alle Kolleginnen und Kollegen auf der Reise in die digitale Welt mitnehmen – durch gute Information, Einbeziehung der Praxis und die Bereitschaft, Sorgen und Kritik ernst zu nehmen.

Welche weiteren Möglichkeiten birgt die Digitalisierung für die Justiz?


Während wir am elektronischen Rechtsverkehr, an der elektronischen Verfahrensakte, dem Datenbankgrundbuch und dem neuen Fachverfahren arbeiten, ist schon wieder eine neue Runde in der Digitalisierung des Arbeitslebens und der Gesellschaft eingeläutet worden. Das Stichwort heißt: „Legal Tech“. Hier geht es – etwas vereinfacht – darum, dass intelligente, selbstlernende Algorithmen Aufgaben in der Rechtsberatung und Rechtsanwendung übernehmen, die bisher von Menschen wahrgenommen werden. Dies betrifft zunächst in erster Linie den Rechtsberatungsmarkt, wo technische Systeme wie janolaw.de komplexe Vertragswerke generieren oder Anbieter wie flightright.de automatisch Ansprüche wegen Flugverspätungen prüfen und geltend machen. Wir müssen uns als Justiz einerseits fragen, welche Auswirkungen solche Angebote auf die Rechtspflege haben können und ob rechtspolitisch Regulierungen angebracht sind.


Andererseits stellt sich die Frage, wo solche intelligenten Systeme innerhalb der Justiz sinnvoll eingesetzt werden können, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ja stets unter knappen Ressourcen leiden, sinnvoll entlasten zu können. Hierzu prüfen wir, ob intelligente Systeme helfen können, Umfangsakten auszuwerten und für Staatsanwälte und Richter zu strukturieren, oder ob sie in der Lage sein können, aus eingehenden Schriftsätzen automatisch sogenannte Strukturdaten auszulesen, die wir für unsere Fachverfahren und die weitere Bearbeitung benötigen. Noch darf man sich hier nicht zu viel erwarten, aber die Programme werden besser und besser und die Technik wird immer leistungsfähiger.


Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass intelligente Systeme oder Roboter niemals in der Lage sein werden, den rechtsanwendenden Menschen – sei er Anwalt, Notar, Staatsanwalt, Rechtspfleger oder Richter – zu ersetzen. Aber es wird möglich sein, dass der Rechtsanwender von Maschinen mehr als bisher sinnvoll unterstützt wird. Um die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken, ist auch das Justizministerium gefordert.

Bildquellen: whyframestudio/iStock/Thinkstock