Das anwaltliche Berufsrecht in den USA bejaht diese Frage. Und es regelt ebenso, dass US-Rechtsanwälte keine sexuelle Beziehung zu ihren Mandanten unterhalten dürfen, es sei denn, diese bestand bereits vor Mandatserteilung. Andererseits müssen die amerikanischen Kollegen bei Berufsrechtsverstößen aber auch keine disziplinarrechtlichen Maßnahmen befürchten, sondern allenfalls den (finanziellen) Groll ihres Mandanten. Denn dieser kann etwa im Falle einer Mandatsannahme trotz nachweislich bestehender Interessenkollision zivilrechtlich gegen seinen Ex-Anwalt vorgehen und hier gehörige Summen als Entschädigung einfordern.
Dieser rechtsvergleichende und zahlreiche weitere Aspekte waren Gegenstand des berufsrechtlichen Symposiums des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität zu Köln, das kürzlich in 5. Auflage veranstaltet wurde. In diesem Jahr lag das Augenmerk auf den zahlreichen Fragen rund um eine mögliche Interessenkollision bei der Anwaltstätigkeit. Etwa 100 Teilnehmer aus ganz Deutschland und aus ganz unterschiedlichen Bereichen waren der Einladung gefolgt, die meisten davon Rechtsanwälte, aber auch einige Syndikusanwälte, die berufsrechtlich bekanntlich gleichgestellt sind (§ 46c Abs. 1 BRAO).
In mehreren Vorträgen wurde dargestellt, wie vielschichtig das Problem hier tagtäglich auftreten kann. Betroffen davon sind nicht nur Großkanzleien, die ganze Teams damit beschäftigen, etwaige Konfliktmandate insbesondere im Falle eines Kanzleiwechsels zu lokalisieren und zu managen; betroffen ist auch der Einzelanwalt, der immer noch gut daran tut, sich beispielweise bei der Annahme eines Verkehrsunfallmandats auch der berufsrechtlichen und strafrechtlichen Risiken bewusst zu sein, die mit der gleichzeitigen Vertretung von Fahrer und Beifahrer verbunden sind. Die jüngeren Entscheidungen des BGH1 jedenfalls – so der Leiter des gastgebenden Instituts Professor Dr. Martin Henssler – hätten hier eher zur Verunsicherung beigetragen2.
Auch die Rechtsanwaltskammern, deren Aufgabe es unter anderem ist, ihre Mitglieder zu beraten, werden täglich mit Anfragen zu problembehafteten Mandatskonstellationen konfrontiert. In aller Regel melde sich hier dann das „Bauchgefühl“ der Kolleginnen und Kollegen, so der Präsident der RAK Hamm RA Dr. Ulrich Wessels in seinem Vortrag. „Beratung der Kammermitglieder“ bedeute allerdings nicht die möglicherweise erhoffte Erteilung eines „behördlichen« Freibriefes“, zumal die Fragesteller meist nur einen – zudem auch subjektiv gefärbten – Sachverhaltsausschnitt schildern würden; eigenverantwortlich bei der Entscheidung, ob und welches Mandat man annehme, bleibe vielmehr das anfragende Kammermitglied selbst.
Häufig vergessen wird übrigens noch immer, dass sich das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nicht nur auf die eigenen Sozien, sondern auch auf alle Mitglieder einer bloßen Bürogemeinschaft erstreckt (§ 3 Abs. 2 BORA). Wer also in einer Bürogemeinschaft oder in einer sonstigen Berufsausübungsgemeinschaft tätig ist, der muss sicherstellen, dass die Kollegin oder der Kollege nebenan in derselben Rechtssache kein gegenläufiges Mandat annimmt. Anderenfalls haben beide ein Problem. Um hier eine wirksame Kontrolle praktizieren zu können, müsste man allerdings eine andere anwaltliche Kardinalspflicht verletzen, nämlich die der Verschwiegenheit. Dass die Verpflichtung zur Verschwiegenheit von den Regelungen jedoch völlig unberührt bleibt, daran lässt § 3 Abs. 5 BORA keinerlei Zweifel. Um diesem Dilemma zu entgehen und beiden Postulaten gleich gut gerecht zu werden, sollten sich die Mitglieder einer Bürogemeinschaft daher eine Entbindungserklärung von ihren Mandanten unterschreiben lassen, zumindest insoweit, als dass sie deren Namen und den Gegenstand des erteilten Mandates innerhalb der Bürogemeinschaft abklären dürfen. Besondere Herausforderungen stellen hier die Konstellationen dar, in denen verschiedene Kanzleien getrennt voneinander Räumlichkeiten und Personal von Dritten anmieten. Immer wieder fällt auf, dass Kolleginnen und Kollegen sich überhaupt keine Gedanken darüber machen, ob es berufsrechtlich möglicherweise problematisch ist, wenn Mandanten mit widerstreitenden Interessen von der gleichen Telefonistin am Empfang bedient werden.
Ob dagegen Syndikusanwälte des gleichen Betriebes deswegen keine Bürogemeinschaft bilden, weil sie nicht aufgrund eines gemeinsam vereinbarten Zweckes (§ 705 BGB), sondern weil ihr Arbeitgeber dies so wollte, Tür an Tür sitzen, wird notfalls die Rechtsprechung zu klären haben. Genauso die Frage, ob Syndici in einen berufsrechtlichen Konflikt geraten können, wenn sie die Tochtergesellschaft ihres Arbeitgebers in dessen und wider deren Interesse rechtlich beraten sollen.
Abgeschlossen wurde das Symposium mit einem Vortrag des Kollegen RA Dr. Jörg Meister, seines Zeichens Vorsitzender des Ausschusses „Anwaltsethik und Anwaltskultur“ im Deutschen AnwaltVerein. Er befasste sich mit der Frage, ob „unechte“ Interessenkonflikte einen Rechtsanwalt zumindest unter ethischen Gesichtspunkten veranlassen sollten, etwa freiwillig auf die Annahme eines Mandats gegen seinen Mandanten in anderer Sache zu verzichten, weil dies schlicht unanständig wäre.
Auch wenn es in unserem Berufsrecht sehr wohl zulässig ist (§ 52 BRAO), seine Haftung zu begrenzen, und keine Rechtsanwaltskammer hierzulande jemals auf die Idee käme, ein Mitglied wegen eines intimen Verhältnisses zu seinem Auftraggeber zu rügen, so sollte man den kostenlosen Beratungsservice der Regionalkammern dennoch lieber zu früh als zu spät in Anspruch nehmen. Zwar ist die Zahl der Strafverfahren gegen Rechtsanwälte wegen des Verdachts der vorsätzlichen Vertretung widerstreitender Interessen sehr gering; gleichwohl ist nicht zuletzt auch wegen des Ansehens unseres Berufsstandes (§ 43 S. 2 BRAO) jeder Fall eines Parteiverrats (§ 356 StGB) mit Sicherheit ein Fall zu viel.
1 BGH NJW 2012, S. 3039; BGH NJW 2013, S. 1247
2 Vgl. auch Henssler in: AnwBl. 2013, S. 668