Kanzlei der Zukunft

„Wer nicht über die Zukunft nachdenkt, wird nie eine haben“ (John Galsworthy) – welche Entwicklungen sollten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verfolgen und bedenken, um ihre Kanzlei fit für die Zukunft zu machen?
TEXT: RA Dr. Jens Günther und RA Dr. Matthias Böglmüller

Ein großer Innovationstreiber ist Legal Tech. Die Legal Tech-Szene sieht hierin den „Einsatz von modernen, computergestützten digitalen Technologien, um Rechtsfindung, -anwendung, -zugang- und -verwaltung durch Innovation zu automatisieren, zu vereinfachen und – und so die Hoffnung – zu verbessern" (Micha-Manuel Bues, Legal-Tech-Blog.de). In die Kategorie Office Tech lassen sich dagegen digitale Hilfsanwendungen für Kanzleien wie das digitale Diktieren, digitale Abrechnungssysteme („Fee-Monitoring“) und Datenmanagementsysteme (digitale Aktenverwaltung) einordnen. Die Auswirkungen dieser Technik auf die Kanzlei sind klar: Schnellere und schlankere Prozesse schaffen Effizienzen. Der Rechtsanwalt (gemeint ist stets auch die Rechtsanwältin) kann mehr Aufgaben selbst erledigen.

"Solche Plattformen senken die Barriere für Rechtssuchende."

Konkurrenz durch neue Geschäftsmodelle

Ein neues Geschäftsmodell haben Plattformen wie flightright.de oder wenigermiete.de verwirklicht. Softwaregestützt werden hier einfach strukturierte Ansprüche im Sinne einer „wenn-dann-Relation“ bearbeitet und z.B. Fluggastrechte durchgesetzt oder die Verteidigung gegen Mieterhöhungen übernommen. Die eingesetzte Software „lernt“ dabei mit jedem bearbeiteten Fall. Persönliche Beratungsgespräche finden in der Regel nicht statt. Solche Plattformen senken die Barriere für Rechtssuchende. Zugleich entstehen so neue Möglichkeiten der Mandantenakquise. Soweit ein solches Commodity-Geschäft bislang in einer „klassischen“ Kanzlei abgearbeitet wurde, bekommt diese eine nicht auf die leichte Schulter zu nehmende Konkurrenz.

Neue Akquise-Möglichkeiten

Frag-einen-Anwalt.de und Anwalt24.de sind Vermittlungsportale, auf denen potentielle Mandanten Rechtssuchende gezielt nach Experten zu bestimmten Rechtsfragen suchen können. Diese bieten als Einstieg in das Mandat Rechtsberatungsleistungen zum Festpreis an. Auch solche Portale senken die „Schwellenängste“ bei Rechtsuchenden. Es lässt sich leichter im Internet klicken als eine Kanzleitür durchschreiten. Vermittlungsportale ändern aber auch die Möglichkeiten zur Akquise. Der regionale Markt verliert an Bedeutung, wenn der Rechtsanwalt seine Dienste leicht bundesweit anbieten kann.

Legal Outsourcing und Spezialisierung

Andere Vermittlungsplattformen (z.B. Perconex, Edicted) richten sich dagegen an Rechtsanwälte und Rechtsabteilungen und vermitteln Projektjuristen für die Erledigung einzelner juristischer Tätigkeiten (Rechtsgutachten, Schriftsätze etc.) und erleichtern damit das sog. Legal Outsourcing. Ein solches Legal Outsourcing schafft nicht nur Effizienzen, indem Mandate in Arbeitspakete aufgeteilt und teilweise extern bearbeitet werden, sondern ermöglicht auch eine weitergehende Spezialisierung. Der „outsourcende“ Rechtsanwalt muss sich nicht ineffizient in für ihn möglicherweise neue Rechtsthemen einarbeiten, sondern kann entsprechende Teile von Mandaten zur Bearbeitung auslagern. Dies schafft Zeit und Raum, um sich auf die eigene Spezialisierung zu fokussieren. Der Rechtsanwalt, der seine Dienste auf solchen Plattformen anbietet, kann seine Spezialisierung besser vermarkten.

"Rechtsanwälte, die ihre Dienste auf solchen Plattformen anbieten, können ihre Spezialisierung besser vermarkten."

Digitale Formularbücher

„Digitale Formularbücher“ wie Smartlaw und Formblitz führen durch ein Frage- und Antwortprotokoll zu einem individualisierten Vertragsmuster. Dies ist nicht nur Konkurrenz für den Anwalt, sondern kann seine Tätigkeit erleichtern, wenn er selbst von entsprechenden Softwarelösungen Gebrauch macht. Bieten Kanzleien eigene Systeme – z.B. als Akquisetool – an, bedarf es geeigneten Personals, um das System inhaltlich und technisch zu pflegen.

Legal Tech als Beratungsgegenstand

Legal Tech kann auch Gegenstand einer anwaltlichen Beratung sein. Dies gilt z.B. für Smart Contracts, also technische Transaktionsprotokolle, die Bedingungen eines Vertrags kontrollieren und ausführen. So ließen sich z.B. digitale Gegenstände automatisch sperren, falls Ratenzahlungen nicht rechtzeitig geleistet wurden. Da Anwälte weniger in die konkrete Vertragsabwicklung eingebunden sind, besteht hier ein geringeres Risiko, dass anwaltliche Tätigkeit ersetzt wird. Vielmehr ist ein neues Beratungsfeld entstanden. Letztlich ließe sich darüber nachdenken, Smart Contracts auch bei der Kanzleiverwaltung einzusetzen. Das System könnte beispielsweise die ordnungsgemäße Durchführung von Mandatsvereinbarungen kontrollieren. Neben korrekt abgewickelten Rechnungsläufen könnte das System bei der Buchung von Transportmitteln für Dienstreisen z.B. prüfen, ob die vereinbarte Kategorie eingehalten wird.

e-Discovery

Kanzleien, die z.B. bei Unternehmenstransaktionen oder Compliance-Untersuchungen große Datenmengen sichten, setzen vermehrt auf den Einsatz von e-Discovery-Software wie Kira und RAVN. Diese Softwarelösungen sichten und filtern automatisch große Datenmengen und eine Vielzahl an Dokumenten. Sie können Verträge intelligent durchsuchen und z.B. risikoreiche Klauseln identifizieren. Die Software muss zwar trainiert und kontrolliert werden. Dennoch fällt echte anwaltliche Tätigkeit weg. Kanzleien, die ihren Schwerpunkt in diesem Bereich haben, streben oftmals eigene Entwicklungen oder jedenfalls individuell fortentwickelte Software an und erhoffen sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil.

Legal Tech Department

Der regelmäßige Einsatz von Softwarelösungen führt zur dauerhaften Kooperation von Kanzleien mit Legal Tech-Anbietern. Dabei lässt sich auch darüber nachdenken, entsprechende Experten gleich selbst – z.B. in einem Legal Tech-Department – anzustellen. Einheiten, für die ein solcher Schritt nicht angemessen ist, werden künftig verstärkt mit externen Legal Tech-Dienstleistern und -Beratern zusammenarbeiten. Ein Legal Tech-Consulter berät dabei, welche Legal Tech-Lösung für ein konkretes Mandat angemessen ist und unterstützt beim Projektmanagement. Generell lässt sich prognostizieren, dass für nicht-juristisches Personal in Kanzleien Kenntnisse in den Bereichen Business Development, IT- und Projektmanagement wichtiger werden.

"Affinität und Offenheit gegenüber technischen Lösungen werden hilfreich sein."

Anwalt der Zukunft

Der Anwalt der Zukunft muss sicherlich kein IT-Experte sein. Affinität und Offenheit gegenüber technischen Lösungen werden aber hilfreich sein. Ausbildungsansätze wie „Coding for Lawyers“ an der Bucerius Law School oder die Vorlesung Legal Tech an der Ludwig-Maximilians-Universität München sind bereits vorhanden. Anwälte, die mitten im Berufsleben stehen, sollten sich zum Thema Legal Tech informiert halten, um die für sie passende Kanzleistrategie entwickeln zu können. Rechtsanwälten wird (meist selbstverständlich zu Unrecht) nachgesagt, sie seien wenig innovationsfreudig. Durch die sich weiter entwickelnden technischen Möglichkeiten, die der Anwaltschaft und auch anderen Dienstleistern zur Verfügung stehen, gewinnt es jedenfalls aber auch für den einzelnen Rechtsanwalt an Bedeutung, sich verstärkt Gedanken um Business Development zu machen.

Strategie

Legal Tech gibt Kanzleien die Möglichkeit, bestehende Geschäftsmodelle anzupassen oder neu zu justieren. An erster Stelle steht dabei die Analyse: Welche anwaltlichen Tätigkeiten werden typischerweise erbracht? Wie viele dieser Tätigkeiten könnten durch Legal Tech übernommen werden? Daraus kann ein Technikbedarf abgeleitet werden. Die Anschaffung von Software sollte an der konkreten Strategie und dem bestehenden und angestrebten Kreis von Mandanten und Mandaten ausgerichtet sein und nicht nur deshalb erfolgen, weil diese gerade modern ist. Technik kann dabei genutzt werden, um eine (noch weitreichendere) Spezialisierung im bundesweiten Markt vorzunehmen oder gerade ein kostengünstiges Massenprodukt („mass for less“) anzubieten. Laut einer Umfrage des Soldan-Instituts (Berufsrechtsbarometer 2017) haben sich immerhin noch 33 % der befragten Anwälte noch nicht mit Legal Tech beschäftigt. Dabei ist es nun Zeit, die auf Basis aktueller technischer Möglichkeiten passende Strategie für die Kanzlei zu entwickeln.

Bildquellen: courtneyk/iStock