Frau Kollegin Kindermann, Sie sind Vizepräsidentin und Vorsitzende des Ausschusses für „RVG und Gerichtskosten“ des Deutschen Anwaltvereins e.V. Mit welcher Motivation haben Sie sich für diese Positionen bzw. ganz allgemein für ein Ehrenamt entschieden?
Es kommen verschiedene glückliche Fügungen meines Lebens zusammen. Mein Klassenlehrer der 10. Klasse hat mir mit auf den Weg gegeben, offen zu bleiben für die Anforderungen des Lebens. Zudem bin ich im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung in Bielefeld bereits früh mit dem anwaltlichen und notariellen Berufsrecht in der Theorie, durch die Chance der Mitarbeit ab meinem 23. Lebensjahr in einer Kanzlei mit den praktischen Fragen der Berufsausübung und schließlich durch die Mitarbeit beim Bielefelder Kompaktkurs als Zusatzausbildung für Referendare und Assessoren in der anwaltlichen und notariellen Tätigkeit mit vielen Facetten der Anwaltspraxis in Berührung gekommen. Ich hatte so die Chance, ein Fundament für spätere Tätigkeiten in theoretischer und praktischer Hinsicht zu legen. Als dann die Anfragen nach der Übernahme verschiedener ehrenamtlicher Aufgaben, einschließlich des Vorsitzes des DAV-Ausschusses „RVG und Gerichtskosten“ bei mir eingingen, habe ich mich diesen Aufgaben gern gestellt. Vor jeder Kandidatur frage ich mich allerdings erneut, ob meine Kenntnisse und Fähigkeiten sowie die Kraft ausreichen, für die Kolleginnen und Kollegen einerseits sowie für die Rechtspflege andererseits Positives zu bewirken.
Und warum liegt Ihnen das Thema „Rechtsanwaltsvergütung“ so am Herzen?
Die Rechtsanwaltsvergütung liegt mir am Herzen, da Sie zum einen für die Kolleginnen und Kollegen die Grundlage einer wirtschaftlichen auskömmlichen, unabhängigen beruflichen Tätigkeit bietet. Mit dem System einer gesetzlichen Gebührenordnung schafft sie zugleich und zum anderen Transparenz und Berechenbarkeit für diejenigen, die anwaltliche Leistungen in Anspruch nehmen. Mit dem darauf aufbauenden System des Kostenerstattungsrechts auf verfahrensrechtlicher und/oder materiell-rechtlicher Basis in Deutschland verfügen wir über eines der weltweit effektivsten Rechtsschutzsysteme. Dieses System zu bewahren und dabei durch die Strukturen des Vergütungsrechts praktikable Lösungen für den anwaltlichen Alltag bei einem gleichzeitig auskömmlichen Einkommen zu sichern, ist eine Herausforderung, der nicht nur ich, sondern der gesamte Ausschuss sich gern stellt.
Die Reform des anwaltlichen Gebührenrechts ist ein wichtiges Thema für die Anwaltschaft. Wie wichtig, wird vor allem durch die Zusammenarbeit von BRAK und DAV deutlich. Deren gemeinsamer Forderungskatalog, der bereits beim Bundesjustizministerium eingereicht wurde, bringt die Diskussion rund um eine weitere Gebührenreform wieder ins Rollen. Was sagen Sie als Vorsitzende des RVG-Ausschusses zur aktuellen Gebührensituation der Rechtsanwälte in Deutschland? Und wo gibt es Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf?
Die aktuelle Gebührensituation der Rechtsanwälte in Deutschland ist uneinheitlich. Die in den vergangenen Jahren immer stärker geforderte Spezialisierung führt dazu, dass Änderungen im Vergütungsrecht nicht mehr zwingend alle Anwältinnen und Anwälte gleichermaßen betreffen. Die Herausforderung liegt daher darin, ein System einer gesetzlichen Gebührenordnung zu schaffen, das an denjenigen Stellen, an denen mit den Mandanten die Vergütung vertraglich vereinbart werden kann, hinreichende Liberalität aufweist und zugleich ein auskömmliches Einkommen sichert. Die Mehrzahl der Anwältinnen und Anwälte rechnet nach wie vor auf der Grundlage der gesetzlichen Gebührenordnung ab.
Für diejenigen, die mit ihrer Tätigkeit für unbemittelte Mandanten auf der Basis von PKH, VKH bzw. BerH den Zugang zum Recht sichern, ist es wichtig, dass der Staat sich nicht aus der Verantwortung für einen Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zum Recht zurückzieht. Einschränkungen in der Bewilligungs- und/oder Abrechnungspraxis sind daher entgegenzutreten.
Sonderanpassungsbedarf besteht nach wie vor hinsichtlich der Anwaltsvergütung für die im Sozialrecht tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.
Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, dass auch diejenigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die bisher nicht oder nur in geringem Umfang mit einer vereinbarten Vergütung gearbeitet haben, für sich und ihre Auftraggeber prüfen, ob vom Gesetz abweichende Vergütungsmodelle ihren beiderseitigen Vorstellungen im konkreten Fall eher entsprechen.
Blickt man auf die letzten Jahre zurück, so kann man in vielen Bereichen von einer deutlichen Kostensteigerung sprechen. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch in der kommenden Zeit noch für die Anwaltschaft?
Den Kostensteigerungen der letzten Jahre stehen ersparte Kosten an anderer Stelle gegenüber. Ob sich die Kostensteigerungen einerseits mit den Ersparnissen an anderer Stelle aufheben oder in welche Richtung der Zeiger neigt, hängt von der Ausrichtung der Kanzlei ab.
Ich habe aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen auch die Erfahrung gewonnen, dass diejenigen, die die bereits bestehenden Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, etwa im Bereich des mobilen Arbeitens, des Wissensmanagements, aber auch der Strukturierung und Effektivierung der Arbeitsabläufe, davon berichten, dass sie mehr Zeit für die kreative Arbeit im Mandat haben und hierdurch zufriedener geworden sind. Diese berichten zudem, dass die Kostenquote gesenkt werden konnte.
Die Herausforderungen für die Anwaltschaft werden darin liegen, die Grenzen des technisch Machbaren mit Blick auf die besondere Verantwortung des Rechtsanwalts zu definieren und gleichzeitig die Möglichkeit der Technik zu nutzen. Es wird daher für Jeden und Jede darum gehen, die eigenen Arbeitsabläufe in den Blick zu nehmen und hierbei insbesondere in arbeitsteiligen Organisationen Zeit für die inhaltliche Arbeit zu gewinnen.
Welche Themen werden Sie – unabhängig von der Gebührenreform – in den nächsten Monaten außerdem angehen?
Als Mitglied des Ausschusses Versicherungsrecht im DAV beschäftigen mich vor allem auch Fragen des Haftpflichtversicherungsschutzes. Insbesondere die auf der gegenwärtigen gesetzlichen Grundlage unzureichende Situation des Pflichtversicherungsschutzes in interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaften bedarf einer Lösung. Insoweit dürfen wir gespannt sein auf die Änderungen im anwaltlichen Gesellschaftsrecht.
Darüber hinaus treiben mich die Aufrechterhaltung der Rechtspflege in der Fläche und der Zugang der Bürgerinnen und Bürger zum Recht um.
Die Arbeit als Juristin und Ehrenämtlerin in 3 Worten:
Hören, Denken, Reden.
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