Herr Prof. Meisterernst, zunächst einmal möchten wir Ihnen herzlich zu Ihrer neuen Position als Präsident des Bayerischen Anwaltsgerichtshofes gratulieren. Die Liste Ihres Wirkungskreises ist sehr lang – Sie sind Rechtsanwalt, Hochschulprofessor, Richter am Bayerischen Anwaltsgerichtshof und nun auch dessen Präsident. Was haben Sie sich speziell für Ihr Amt am BayAGH vorgenommen?
Man kann und muss in so einem Amt glücklicherweise das Rad nicht neu erfinden. In erster Linie möchte ich die hervorragende Arbeit meiner Vorgängerin, Frau Irina Lindenberg-Lange, fortsetzen, die den Bayerischen Anwaltsgerichtshof in ihrer Amtszeit organisatorisch sehr gut aufgestellt hat. Ich habe mir vorgenommen, ihrem Vorbild zu folgen und dann, wenn es soweit sein wird, auch meinem Nachfolger ein gut bestelltes Haus zu hinterlassen. Mit dem Amt des Präsidenten ist zugleich der Vorsitz im 4. Senat verbunden, der sich nicht mit Disziplinarsachen, sondern mit Verwaltungsangelegenheiten befasst. Der Anwaltsgerichtshof ist insoweit einem Oberverwaltungsgericht gleichgestellt. Dabei sehe ich meine Aufgabe als Vorsitzender und Fachanwalt für Verwaltungsrecht auch darin, anwaltliche Erfahrungen und Sichtweisen in die Rechtsprechung des Senats einzubringen. Nicht zuletzt würde ich mich auch freuen, wenn es mir gelingt, das sich gegenseitig bereichernde Miteinander von Rechtsanwälten und Richtern in der Rechtsprechung zu fördern. Ein letztes, aber nicht unwichtiges, Ziel: Ich möchte als Präsident des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs für die Unabhängigkeit der Berufsgerichtsbarkeit eintreten, um die elementare Rolle der Rechtsanwaltschaft als Organ der Rechtspflege zu verteidigen. Dazu gehört es auch, die Aufgaben des AGH effektiv wahrzunehmen und fachlich hochwertig zu erfüllen.
Die Anwaltsgerichtsbarkeit agiert – anders als beispielsweise die Berufsgerichtsbarkeit der Steuerberater – eigenständig. Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Anwaltsgerichtsbarkeit zukommen und worin begründet sich diese Art der Organisation?
Ich bin ja schon eine Weile in der Anwaltsgerichtsbarkeit tätig. Anfang 2008 habe ich beim Anwaltsgericht für die RAK München als Beisitzer angefangen, bevor ich Ende 2011 an den AGH gewechselt bin. Ich kenne somit beide Aufgabenbereiche des AGH, sowohl die Ahndung von Pflichtverletzungen, bei denen der AGH Berufungsinstanz für die bayerischen Anwaltsgerichte ist, als auch die verwaltungsrechtliche Zuständigkeit für Amtshandlungen der bayerischen Rechtsanwaltskammern. Die Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft, zu der auch die Durchsetzung des Berufsrechts gegenüber den Mitgliedern gehört, trägt wesentlich zur Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft und zu ihrer einzigartigen Stellung bei. Deswegen ist es mir sehr wichtig, auch im Bereich der Anwaltsgerichtsbarkeit mit Augenmaß die übertragenen Aufgaben so wahrzunehmen, dass die Belange der Rechtsanwaltschaft gewahrt werden und das Selbstverwaltungsrecht gestärkt wird. Dabei nehme ich im Bereich der Anwaltsgerichtsbarkeit keine Erosion der Aufgaben wahr. In den letzten Jahren waren wir im verwaltungsrechtlichen Bereich z. B. mit vielen Verfahren auf Zulassung von Syndikusrechtsanwälten befasst, die der AGH aufgrund einer neuen Zuständigkeit auch mit verbindlicher Wirkung gegenüber der Deutschen Rentenversicherung entschieden hat. Insgesamt sehe ich daher keine Schwächung der anwaltsgerichtlichen Selbstverwaltung. Man könnte sich durchaus überlegen – aber dies sind rechtspolitische Fragen – der Anwaltsgerichtsbarkeit noch weitere Aufgaben zu übertragen. Die Berufsgerichtsbarkeit der Steuerberater kommt dementgegen natürlich aus einer ganz anderen Tradition und beschränkt sich auf die Verfolgung von Pflichtverstößen. Verwaltungsangelegenheiten der Steuerberaterkammern werden vor den Verwaltungsgerichten ausgestritten.
Wie sehen Sie hierbei das Nebeneinander von ehrenamtlichen Richtern und Berufsrichtern?
Das Zusammenspiel von Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern aus der Rechtsanwaltschaft gibt es erst am AGH. Bei den Anwaltsgerichten der bayerischen Rechtsanwaltskammern entscheiden die Anwaltsgerichte noch in einer Besetzung mit drei Rechtsanwälten, am Verfahren ist allerdings die Generalanwaltschaft beteiligt. Insoweit liegt die Verantwortung in erster Instanz allein bei den ehrenamtlichen Richtern. Beim AGH stellen die anwaltlichen Mitglieder in den Senaten zwar die Mehrheit, doch wirkt sich dies meiner Erfahrung nach nicht entscheidend aus. Die unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen aller mit der Entscheidung befassten Richter sind es, die einen Mehrwert schaffen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Zusammenwirken von Berufsrichtern und Rechtsanwälten die Garantie dafür ist, sowohl rechtlich ausgewogene als auch praxisnahe Entscheidungen zu treffen. Die Zusammenarbeit in der Anwaltsgerichtsbarkeit ist offen, kollegial sowie rechtlich und fachlich auf hohem Niveau und – wie mir auch von berufsrichterlichen Mitgliedern bestätigt wurde – für beide Seiten äußerst fruchtbar.
Als Jurist, der in so unterschiedlichen Fachbereichen agiert und mit so andersgearteten Mandaten und Zielgruppen zu tun hat – was sind für Sie die entscheidenden Fähigkeiten, die ein guter und erfolgreicher Rechtsanwalt benötigt?
Über diese Frage ist ja schon viel philosophiert worden. Ich denke, es gibt nicht nur einen Weg, erfolgreich zu sein und jeder muss für sich selber auch definieren, was er unter Erfolg versteht. Die einschlägigen Empfehlungen gehen ja von dem Rat für Abiturienten: „Man sollte gut in Deutsch und Mathematik sein“, bis zu dem oft nach Ludwig Thoma gebrachten Zitat: „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand“. Ob man tatsächlich mit mäßigem Verstand ein guter Rechtsanwalt wird, wage ich zu bezweifeln. Auch sollte man das juristische Handwerk beherrschen. Daneben ist meiner Meinung nach eine wesentliche Eigenschaft die Neugier, nicht im Sinne des Suchens nach Sensation und Überraschung, sondern im Sinne des platonischen Staunens. Bei all den unterschiedlichen Dingen, die ich parallel betreibe, reizt mich der Perspektivwechsel, das Aufbrechen von Selbstverständlichkeiten und das Wahrnehmen eines Sachverhalts aus verschiedenen Blickwinkeln. Ich denke, dass diese Neugier für einen Rechtsanwalt eine gute Voraussetzung ist, weil ein wesentlicher Teil unserer Tätigkeit darin liegt, sich in unterschiedliche Positionen und Sichtweisen hineinzuversetzen und so zu möglichst realitätsnahen und interessengerechten Einschätzungen einer Sach- und Rechtslage zu gelangen.
Welche Herausforderung sehen Sie auf die Anwaltschaft in Zukunft zukommen? Und wie sollten die Kolleginnen und Kollegen diesen Ihrer Einschätzung nach begegnen?
Die Anwaltschaft stand eigentlich immer vor Herausforderungen. Wie ich in den 90er-Jahren angefangen habe, war die Rede von der Anwaltsschwemme und dass alle Studierenden der Rechtswissenschaften vermutlich gescheiterte Existenzen werden würden. Heute werden wir von Legal Tech und anderen Neuerungen „bedroht“. Ich glaube fest daran, dass die Anwaltschaft nicht totzukriegen ist. Solange wir unsere Kernkompetenzen, den unabhängigen Rechtsrat und die selbständige professionelle Interessenvertretung von Mandanten nicht preisgeben, wird die Rechtsanwaltschaft meiner festen Überzeugung nach auch alle Herausforderungen der Zukunft meistern. Für das, was ein guter Anwalt leisten kann, wird es meiner Meinung nach keinen Ersatz geben. Viele Herausforderungen betreffen auch nicht nur die Anwaltschaft, sondern die gesamte Gesellschaft. Flexibilität, Fortbildung, Anpassung an den technischen Fortschritt, das wird alles auch von der Anwaltschaft verlangt.
Neben allem beruflichen Engagement – wie verschaffen Sie sich privat Entspannung und wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Das ist eine interessante Frage, über die ich mich kürzlich einen ganzen Abend lang unterhalten habe, Stichwort „Work-Life-Balance“. Mein Gesprächspartner und ich waren am Ende der Meinung, dass wir mit diesem Gegensatzpaar gar nicht so viel anfangen können, weil – zumindest für uns – die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen verwoben und fließend sind. Die Arbeit ist eben auch Teil des Lebens. Also wenn man in der Arbeit nur Stress hat, hilft es vielleicht auch nicht, wenn man die Freizeit strikt getrennt hält, aber dort nicht abschalten kann. Ich habe vier erwachsene Kinder, um die ich mich zwar nicht mehr kümmern muss, aber manchmal darf, am liebsten dann, wenn ich sie gemeinsam mit meiner Frau bekoche. Kochen würde ich durchaus als ein Hobby bezeichnen, ebenso meine beiden Hunde, wobei wir seit einem Jahr einen französischen Schäferhund haben, der uns ganz schön auf Trab hält. Auch würde ich gerne einmal wieder in die Oper gehen. Und das Letzte und Beste habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben: Im September letzten Jahres bin ich zum ersten Mal Großvater geworden, auf den Job als Opa freue ich mich von ganzem Herzen.
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