Rechtliche Fallstricke in der Corona-Pandemie

Was muss die Anwaltschaft beachten?
TEXT: Philipp Martin, Syndikusrechtsanwalt, Referent Allianz Versicherungs-AG

Die Corona-Pandemie hat die anwaltliche Berufsausübung in vielfältiger Hinsicht beeinflusst. Vieles, was noch vor einem Jahr exotisch oder kaum vorstellbar war, ist heute Alltag: Verhandlungstermine per Video-Call, Mandantengespräche durch Plexiglasscheiben oder ganze Kanzleien im Homeoffice. Darüber hinaus sind auch die Mandanten mit einer Vielzahl neuartiger Probleme konfrontiert und benötigen anwaltliche Unterstützung, ob bei der Beantragung staatlicher Leistungen, beim Verständnis der diversen behördlichen Anordnungen sowie bei aus der Pandemie resultierenden Rechtsstreitigkeiten, in denen teils neue Rechtsfragen aufgeworfen werden oder bekannte Probleme in neuem Gewand auftreten. In einer derartigen Situation liegen für die Anwaltschaft Chancen, aber auch (haftungsrechtliche) Risiken. Letztere kristallisieren sich nach gut einem Jahr in der Pandemie vor allem in den folgenden Bereichen heraus.

Anwaltliche Tätigkeit aus dem (unfreiwilligen) Homeoffice

 

Arbeitet ein Anwalt oder eine gesamte Kanzlei aus dem Homeoffice, stellen sich zunächst verschiedene ganz praktische Probleme. So ist unter anderem sicherzustellen, dass Schriftsätze rechtswirksam (also korrekt unterzeichnet, elektronisch signiert etc.) versendet werden. Ebenfalls muss die Führung und anwaltliche Kontrolle des Fristenkalenders aus dem Homeoffice gewährleistet sein. Treten hierbei Fehler auf, die zu Fristversäumnissen führen, gilt die bekannte Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung: ein anwaltliches Organisationsverschulden ist kein Wiedereinsetzungsgrund.

Selbiges gilt für den Rechtsanwalt, der sich gezwungenermaßen ins Homeoffice begibt. Wie auch andere Erkrankungen, stellen weder eine angeordnete Quarantäne aufgrund von Corona, noch eine Erkrankung des Anwaltes für sich genommen erfolgversprechende Wiedereinsetzungsgründe dar (vgl. hierzu etwa OLG München, Az. 4 UF 1417/20). Ausnahmen sind hier unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsprechung lediglich bei einer schwerwiegenden unvorhergesehenen Erkrankung denkbar. Mit Blick auf die bereits ein Jahr andauernde Pandemie dürfte mittlerweile die Frage der (Un-)Vorhersehbarkeit einer Corona-Erkrankung im Zweifel kaum zugunsten des Anwaltes entschieden werden.

Ebenfalls besteht kein grundsätzlicher Anspruch auf Verlegung eines Gerichtstermins aufgrund der Pandemie-Situation im Allgemeinen oder einer konkret angeordneten Quarantäne/Erkrankung des Prozessbevollmächtigten, da diese Fälle nicht per se einen erheblichen Grund i.S.d. § 227 Abs. 1 ZPO darstellen. Zwar kommen Gerichte entsprechenden Bitten in der Regel nach oder verlegen Termine auf eigene Initiative, ist ein Gericht hierzu jedoch nicht gewillt, ist es Aufgabe des Anwalts eine Vertretung seiner Mandantschaft im Termin sicherzustellen. Mit Blick auf § 53 Abs. 1 BRAO dürften die zu Beginn der Pandemie hiervon zu machenden Ausnahmen (vgl. etwa OLG Zweibrücken, Az. 3 W 41/20) mittlerweile wohl nur in besonderen Konstellationen möglich sein. Sowohl die konkrete Quarantäne/Erkrankung des Rechtsanwaltes wie auch die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe sind in der Regel auch hier Fälle einer vorhersehbaren Verhinderung. Aus Sicht des Anwalts können in einem derartigen Fall jedoch die Möglichkeiten des § 128a ZPO in Betracht gezogen werden.

Anwaltliche Beratung im Arbeitsrecht

 

Erste Erfahrungen aus dem Bereich der Anwaltshaftung zeigen, dass insbesondere im Zusammenhang mit Kurzarbeitergeld verschiedene Fallstricke vom befassten Rechtsanwalt zu beachten sind. Neben der sich aus § 99 Abs. 2 SGB III ergebenden zeitlichen Vorgabe zur Anzeige des Arbeitsausfalls ist vor allem das Erfordernis der Anzeige des erneuten Arbeitsausfalls gemäß §§ 104 Abs. 3, 95 S.1 Ziff. 4 SGB III zu beachten, dass zum Tragen kommt, wenn über mindestens drei Monate kein Kurzarbeitergeld bezogen wurde. Letztere Voraussetzung war vor allem zu Beginn des „2. Lockdowns“ im November erfüllt, dürfte je nach weiterem Verlauf der Pandemie jedoch weiterhin zumindest in Einzelfällen Bedeutung erlangen.

Ebenfalls zu beachten, ist die Antragsfrist gemäß §§ 323 Abs. 2, 325 Abs. 3 SGB III. Mit Blick auf letztgenannte Frist ist jedoch dringende Vorsicht geboten, da Antragstellung und Anzeige des Arbeitsausfalles streng zu unterscheiden sind. Erfolgt die Anzeige des Arbeitsausfalles erst im Rahmen der (fristgemäßen) Antragstellung, sind mangels rechtzeitiger Anzeige des Arbeitsausfalles die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ggf. bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt. Da es sich bei § 99 Abs. 2 SGB III um keine Frist, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung handelt, ist eine Wiedereinsetzung gemäß § 27 SGB X nicht möglich (für eine analoge Anwendung Bieback in Gagel, SGB II / SGB III, 80. EL Februar 2021, § 99 SGB III, RN. 30 ff).

Weitere Fallstricke bestehen insbesondere bei der Abfassung von Betriebs- oder Individualvereinbarungen zum Kurzarbeitergeld (Sozialversicherungsbeiträge, Feiertagslohn, Ankündigungsfrist etc.) sowie bei der Durchführung (betriebsbedingter) Kündigungen.

Anwaltliche Beratung zum Insolvenzrecht

 

Trotz der Folgen der Corona-Pandemie sind die Insolvenzen in Deutschland im Jahr 2020 um 13,4 % gesunken. Ein wesentlicher Grund dieser auf den ersten Blick überraschenden Entwicklung ist die Aussetzung der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Dieses ist aktuell bis zum 30.04.2021 befristet. Unabhängig von einer möglichen erneuten Verlängerung des COVInsAG ist nach dessen Auslauf mit einer Insolvenzwelle zu rechnen. Hat ein Anwalt im Zusammenhang mit der Pandemie (vermeintlich) falsch beraten, droht die Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter. Im Rahmen dieser Beratung ist ggf. auch der erleichterte Zugang zum Schutzschirmverfahren gemäß § 6 COVInsAG als Handlungsoption zu prüfen.

Mit Blick auf das COVInsAG ist zu beachten, dass die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages nicht generell ausgesetzt ist, sondern nur, wenn eine coronabedingte Insolvenzreife vorliegt und Aussichten bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 COVInsAG. Insbesondere bei Mandanten, die aus kaum von der Pandemie betroffenen Branchen stammen, sollte dies mit Blick auf sonst drohende Konsequenzen gewissenhaft geprüft werden.

Weitere Bereiche

 

Auch im Miet-/Wohnungseigentumsrecht gilt es zu beachten, dass die Corona-Pandemie zwar eine Ausnahmesituation darstellt, zwingende rechtliche Vorgaben dennoch bestehen bleiben. Dies zeigt sich bisher insbesondere im WEG-Recht, wo Eigentümerversammlungen nicht in Präsenzform abgehalten oder Eigentümern vom Verwalter die Teilnahme gar gänzlich untersagt wurde. Ersteres ist mit Blick auf § 23 Abs. 1 S. 2 WEG grundsätzlich möglich, letzteres führt jedoch zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse gemäß § 23 Abs. 4 S. 1 WEG (vgl. AG Lemgo, Az. 16 C 10/20). Da die Abgrenzung von zulässigen Einschränkungen/Hinweisen des Verwalters zu einer faktischen Untersagung der Teilnahme im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen ist (vgl. etwa LG Frankfurt a. M., Az. 2-13 S 108/20), ist bei der Durchführung von Wohnungseigentümerversammlungen Vorsicht geboten.

Bei der Beantragung staatlicher Leistungen durch den Anwalt stellt sich neben potentiellen Problemen aufgrund falscher/unzureichender Angaben im Antrag hauptsächlich ein Haftungsrisiko mit Blick auf bestehende bzw. bereits verstrichene Fristen für die Beantragung von November- bzw. Dezemberhilfe (30.04.2021), Überbrückungshilfe (09.10.2020 Phase I, 31.03.2021 Phase II, 31.08.2021 Phase III) oder anderer staatliche Leistungen sowie entsprechender Anzeigefristen (etwa § 150 SGB XI).

Ebenfalls stellt sich die Frage, inwieweit der Anwalt, der im Rahmen der Beantragung dieser Leistungen als (für diese in der Regel erforderlicher) prüfender Dritter (führt Plausibilitätsprüfung durch und reicht Antrag ein) agiert, einem Haftungsrisiko ausgesetzt ist. Grundsätzlich sind die allgemeinen anwaltlichen Berufspflichten zu beachten, eine über diese hinausgehende Haftung gegenüber den Ländern ist ausgeschlossen (vgl. etwa Ziff. 6.5 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 21.12.2020, Az. PGÜ-3560-3/2/251). Abgesehen von Ausnahmefällen liegt das Haftungsrisiko mithin im Mandatsverhältnis. Da im Falle falscher oder unvollständiger Angaben bei der Antragstellung ein Rückerstattungsanspruch des Staates gegeben ist (vgl. etwa § 4 Abs. 6 der Regelung zur vorübergehenden Gewährung einer außerordentlichen Wirtschaftshilfe zugunsten von Unternehmen, deren Betrieb aufgrund der zur Bewältigung der Pandemie erforderlichen Maßnahmen temporär im November und/oder Dezember 2020 geschlossen wird), sind die vom Mandanten zur Verfügung gestellten Angaben/Nachweise gewissenhaft zu prüfen und im Zweifel gemäß dem Prinzip des sichersten Weges weitere Angaben/Nachweise anzufordern, statt mit Blick auf den für viele Mandanten bestehenden finanziellen Druck einen fehlerhaften Antrag zu stellen.

Fazit

 

Sowohl fachlich als auch praktisch steht die Anwaltschaft im Rahmen der Pandemie neuen Herausforderungen gegenüber. Diese folgen teilweise aus der Arbeit mit neuen Rechtsgrundlagen (staatliche Unterstützungsleistungen, COVInsAG u. a.), stellen sich jedoch auch oftmals als bekannte Probleme im neuen Gewand dar (Kanzleiorganisation, Krankheits-/Abwesenheitsvertretung, Kurzarbeitergeld). In beiden Fällen gilt: Die Corona-Pandemie stellt eine gesellschaftliche Ausnahmesituation dar, wo jedoch der Gesetzgeber keine rechtlichen Ausnahmen geschaffen hat, kann sich der einzelne Anwalt bzw. sein Mandant nicht auf solche berufen.

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