Auf ein Wort, Herr Prof. Dr. Gaier!

Herr Prof. Dr. Gaier, Sie waren Richter des Bundesverfassungsgerichts und gehörten dem Ersten Senat an. Ihr Dezernat umfasste u.a. das Recht der freien Berufe. Vor Ihrer Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht waren Sie Richter am Bundesgerichtshof.

Seit dem 01.09.2019 sind Sie nun neuer Schlichter der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Amt. Welche Herausforderungen bringt es mit sich?

Vielen Dank für den Glückwunsch! Es ist für mich sicher eine Herausforderung, eine neue berufliche Tätigkeit in einem Umfeld zu beginnen, in dem ich noch keine Erfahrungen sammeln konnte. Vieles erinnert zwar an richterliche Tätigkeit, völlig neu ist aber die Erfahrung, für den erfolgreichen Abschluss des Verfahrens auf die Kooperation aller Beteiligten angewiesen zu sein. Zu meinem Glück ist die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft aber nicht nur perfekt organisiert, sondern ich darf dort auch mit einem hochmotivierten und bestens qualifizierten Team zusammenarbeiten. Das stimmt mich sehr optimistisch, die Herausforderung bewältigen zu können.   

Wie sehen Sie Ihre neue Position im Vergleich zu Ihrer langjährigen Tätigkeit als Richter?

Es ist eine interessante neue Erfahrung. Zwar beginnen wir in der Schlichtungsstelle wie bei Gericht jede Fallbearbeitung mit einer exakten rechtlichen Prüfung. Dann gilt es aber, auf dieser rechtlichen Grundlage ohne die Möglichkeit, den Sachverhalt durch eine Beweisaufnahme zu klären, einen Lösungsvorschlag zu entwickeln und so überzeugend zu begründen, dass beide Seiten zustimmen können. Wer glaubt, die Schlichtungsstelle mache reihenweise ins Blaue hinein lediglich „Halbe-Halbe“- Vergleichsvorschläge, unterliegt einem großen Irrtum.

Wo sehen Sie, verglichen mit den Gerichten, Vorteile bei der Bemühung einer Schlichtungsstelle?

Es sind vor allem zwei Vorteile: das Schlichtungsverfahren wird – erstens – zügig geführt und schneller abgeschlossen als typischerweise ein Gerichtsverfahren und es ist – zweitens – völlig kostenfrei. Die Beteiligten erhalten in kurzer Zeit einen Vorschlag, über dessen Annahme sie frei entscheiden und damit eine rechtliche Auseinandersetzung umgehend beenden können – und dabei vermeiden sie noch jedes Kostenrisiko. Das rationale Desinteresse, das Viele vom Gang zu den Gerichten abhält, sollte daher nicht zur Passivität führen, sondern den Weg zur Schlichtungsstelle weisen.

Haben Sie das Gefühl, dass das Vertrauensverhältnis von Mandanten zu ihren Anwälten in den letzten Jahren schlechter geworden ist? Was denken Sie, kann man tun, um dieses wieder zu stärken?

Soweit ich es als Außenstehender überschauen kann, gibt es im Allgemeinen eine unverändert gute und stabile Vertrauensbasis. Aber spätestens seit Voltaire wissen wir, dass das Bessere der Feind des Guten ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt weiter zu stärken, es noch mehr zu festigen, kann nie ein Schaden, sondern immer nur von Nutzen sein. Hierzu kann die Schlichtungsstelle einen Beitrag leisten und damit ihre aus Sicht der Anwaltschaft und im Interesse des Rechtsstaats wichtigste Aufgabe erfüllen.

Mit nur 46 Jahren wurden Sie Richter am Bundesgerichtshof. War das schon Ihr Traum, als Sie Ihr Jurastudium aufnahmen?

Mein Interesse am Richterberuf wurde erst während der Referendarzeit geweckt – recht spät also, aber umso entschiedener: Nach der ersten Station beim Amtsgericht war für mich die Berufswahl getroffen. Zuvor waren die juristischen Berufe für mich ein völlig fremdes Terrain; in meiner Familie und meinem persönlichen Umfeld gab es zu meiner Jugend keine Juristinnen und Juristen. So habe ich das Jurastudium auch mit ganz anderen beruflichen Plänen begonnen: Ich stellte mir eine berufliche Perspektive in der Politik vor und wollte wissen und verstehen, nach welchen Regeln unser Staat funktioniert. Allerdings merkte ich dann sehr schnell, dass ich bei allem Interesse an Politik für eine Tätigkeit in diesem Bereich doch nicht tauge. Gleichzeitig begann ich mich für die Rechtswissenschaft ernsthaft zu interessieren. Ich war neugierig geworden und gespannt auf die juristische Welt – und die Entscheidung über die Berufswahl stellte ich kurzerhand zurück.

Im Anschluss waren Sie zwölf Jahre lang Richter des Bundesverfassungsgerichts, engagierten sich als Honorarprofessor an der Universität Hannover, im Verfassungsforum mit der China University of Political Science and Law und als Gastprofessor am dortigen Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaft. Was treibt Sie an und worin finden Sie Ausgleich?

Ich bin in einem Handwerkerhaushalt groß geworden und habe früh erfahren können, wie hart viele Menschen – so wie meine Eltern – für etwas Wohlstand und etwas sozialen Aufstieg arbeiten müssen. Deshalb habe ich großen Respekt vor allen Frauen und Männern, die egal mit welcher Qualifikation und egal an welcher Stelle ihr Bestes geben, nicht unter ihren Möglichkeiten bleiben und alle ihre Talente einbringen. Das bringt den Einzelnen voran und, wenn man Solidarität nicht vergisst, auch unsere Gesellschaft. Solange ich mit meinen Kenntnissen und Erfahrungen noch etwas Nützliches leisten kann, bin ich daher gerne dabei. Ausgleich verschafft mir in erster Linie Sport – einmal täglich versuche ich konsequent durchzuhalten. Außerdem bemühe ich mich, in diesen turbulenten Zeiten nicht alle neuen Entwicklungen zu verpassen: Auch wenn ich dieser Karriere abgeschworen habe, bin ich an Politik noch immer sehr interessiert, außerdem an Geschichte, Architektur, Malerei, Technik und Wissenschaft. Manchmal ist auch einfach nur Entspannung angesagt, dann helfen großes Hollywood-Kino, eine Serie wie „The Americans“ oder ein Konzert – am besten von Metallica.  

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