Mit einer Grundsatzentscheidung hat der BGH am 27.11.2019 (Az. VIII ZR 285/18) zu der bis zuletzt sehr umstrittenen Frage Stellung genommen, welche Tätigkeiten einem registrierten Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) erlaubt sind. Seit dem 09.12.2019 ist die nahezu 100-Seiten starke Urteilsbegründung des BGH veröffentlicht. Der Autor erläutert, worum es in dieser Entscheidung geht und nimmt eine erste Bewertung vor.
Umstrittenes Geschäftsmodell
Gegenstand der BGH-Entscheidung ist das Geschäftsmodell der LexFox GmbH (vormals Mietright GmbH), die unter www.wenigermiete.de eine Plattform zur Durchsetzung der sog. Mietpreisbremse nach §§ 556d ff. BGB zugunsten benachteiligter Mieter betreibt. Die Gesellschaft aus Berlin ist als Inkassodienstleister nach §§ 2 II, 10 I RDG registriert und somit berechtigt, die Einziehung fremder oder zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen als eigenes Geschäft zu betreiben. Gestützt auf diese Inkassoerlaubnis ermittelt sie für Mieter automatisiert die nach einem Mietpreisspiegel zu viel gezahlte Miete. Sie lässt sich die Forderungen nach einer Erfolgseinschätzung treuhänderisch abtreten und fordert vom Vermieter – nach vorherigem Auskunftsverlangen und Rüge gemäß § 556g II, III BGB – die zu viel gezahlte Miete zurück. Eine Gegenleistung verlangt die LexFox GmbH vom Mieter nur im Erfolgsfall.
Dieses Geschäftsmodell hat seit Sommer 2018 zu sehr kontroversen Entscheidungen verschiedener Kammern des Landgerichts Berlin geführt. Das kommt nicht häufig vor, zeigt aber, wie sehr umstritten das Geschäftsmodell ist. Gegenstand des vor dem BGH ausgetragenen Rechtsstreits ist ein Urteil des LG Berlin vom 28.08.2018 (Az. 63 S 1 /18), das einen RDG-Verstoß angenommen hat. Ähnliche Legal-Tech-Inkassomodelle gibt es auch für andere Bereiche, z.B. für den Widerruf von Lebensversicherungsverträgen mit anschließender Beitragsrückforderung oder – auch dies wird im Fall der Plattform www.myright.de sehr kontrovers und öffentlichkeitswirksam diskutiert – für die gesammelte Durchsetzung von Ansprüchen geschädigter Autokäufer gegen den Automobilhersteller VW im sog. Dieselskandal.
Umstritten sind im Wesentlichen vier Fragen, über die nunmehr auch der BGH entschieden hat: Ist die umfassende Tätigkeit der Legal-Tech-Inkassoanbieter vom Umfang der Inkassoerlaubnis nach § 2 II RDG gedeckt? Dürfen sie dabei auf Erfolgshonorarbasis tätig werden? Ist die Kombination mit einer Kostenübernahme mit § 4 RDG, der ähnlich wie § 43a IV BRAO Interessenkollisionen verhindern will, vereinbar? Ist die Abtretung der Ansprüche bei einem RDG-Verstoß nach §§ 3 RDG, 134 BGB nichtig, auch wenn der Zessionar als Inkassodienstleister registriert ist?
Zum Umfang der Inkassobefugnis und zu den Folgen eines RDG-Verstoßes
Nach Ansicht des BGH sind die plattformunterstützten Tätigkeiten der LexFox GmbH zur Durchsetzung der Forderungen noch von der Inkassobefugnis gedeckt. Dies gelte sowohl für den Einsatz des schon vor Beauftragung eingesetzten „Mietpreisrechners“ als auch für die Erhebung der Rüge gemäß § 556g II BGB sowie das Feststellungsbegehren bezüglich der höchstzulässigen Miete. Sämtliche Maßnahmen hingen mit der Einziehung der Forderung, nämlich der Rückforderung überzahlter Mieten, eng zusammen und dienten der Verwirklichung dieser Forderung. Dies ergebe sich laut BGH aus dem eher weiten Verständnis des Begriffs der Inkassodienstleistung in § 2 II RDG, von dem der Gesetzgeber im Rahmen des RDG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG in den Entscheidungen „Inkasso I“ (2002) und „Inkasso II“ (2004) ausgegangen sei. Das BVerfG hatte noch zum alten RBerG entschieden, dass ein Inkassounternehmen befugt ist, über Bestand und Durchsetzung der Forderung rechtlich zu beraten und rechtliche Erklärungen gegenüber der Gegenseite abzugeben. Anknüpfend an diese Rechtsprechung habe der Gesetzgeber laut BGH eine „an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichtete Neugestaltung“ des RDG verfolgt und dabei auch Deregulierungsbestrebungen auf europäischer Ebene Rechnung tragen sowie die Entwicklung neuer Berufsbilder erlauben und zukunftsfest ausgestalten wollen. Daraus ergebe sich die Befugnis zur umfassenden und vollwertigen substantiellen Beratung der Rechtsuchenden durch registrierte Inkassodienstleister, die eine weite Auslegung der Inkassodienstleistung in § 2 II RDG rechtfertige.
Der BGH betont allerdings auch, dass für die Zulässigkeit von Inkassodienstleistungen keine generellen Maßstäbe aufgestellt werden können und es daher – wie im vorliegenden Fall – auf eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalles ankomme. Daran gemessen sei das Geschäftsmodell der Plattform wenigermiete.de – dies wird in der Begründung mehrfach betont – (gerade) noch zulässig.
Wertungswidersprüche mit dem für uns Kolleginnen und Kollegen geltenden strengeren Berufsrecht sieht der BGH erstaunlicherweise nicht. Denn Rechtsanwälte seien – so die Begründung des BGH – im Gegensatz zu den registrierten Inkassodienstleistern Organe der Rechtspflege, was strengere berufsrechtliche Bindungen, wie etwa das Verbot des Erfolgshonorars und der Kostenübernahme in § 49b II BRAO, rechtfertige. Zudem habe der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, Inkassodienstleistern entsprechende Beschränkungen aufzuerlegen.
Der BGH bezieht auch klar Stellung zu der in letzter Zeit zunehmend umstrittenen Frage, ob ein RDG-Verstoß durch einen registrierten Inkassodienstleister die Nichtigkeit der Inkassovereinbarung sowie der Forderungsabtretung nach den §§ 3 RDG, 134 BGB zur Folge hat. Dies hat der BGH (z.B. Urteil v. 11.12.2013 – IV ZR 46/13) bisher nur für RDG-Verstöße durch nichtregistrierte Rechtsdienstleister bejaht. Laut Entscheidung vom 27.11.2019 gelte die Nichtigkeit der Forderungsabtretung regelmäßig auch im Falle eines registrierten Inkassodienstleisters, sofern ihm eine eindeutige und nicht nur geringfügige Überschreitung seiner Dienstleistungsbefugnis zur Last falle.
Diese Feststellung überrascht, weil es darauf nicht ankam. Denn die Inkassobefugnis wurde hier von der LexFox GmbH gerade nicht überschritten. Die sehr ausführliche Begründung dazu zeigt aber, dass der BGH insoweit eine Grundsatzentscheidung zu den strittigen Fragen herbeiführen wollte.
Der BGH stellt ferner klar, dass die Inkassobefugnis nicht zur Abwehr von Ansprüchen berechtigt, wie dies manche Geschäftsmodelle vorsehen.
Erfolgshonorar und Kostenübernahme
Der BGH bestätigt unter Berufung auf § 4 I und II RDGEG, dass Inkassounternehmen auf Erfolgshonorarbasis tätig werden dürfen, was zuletzt immer wieder angezweifelt wurde. Diese eher versteckt in einem Einführungsgesetz zum RDG verankerten Vorschriften sehen ein Verbot des Erfolgshonorars ausdrücklich nur für andere, praktisch wenig bedeutsame Rechtsdienstleister vor. Zuletzt hat der BGH die Bedeutung der Vorschrift aufgewertet, indem er das Verbot des Erfolgshonorars für – ebenfalls nicht ausdrücklich benannte – Versicherungsberater bejaht hat (BGH, Urt. v. 06.06.2019 – I ZR 67/19 – Erfolgshonorar für Versicherungsberater). Schon in dieser Entscheidung klang aber an, dass das Verbot für Inkassodienstleister nicht gilt. Mit der vorliegenden Entscheidung vom 27.11.2019 wird betont, dass in der Rechtsprechung bereits seit langem anerkannt sei, dass Inkassounternehmen mit ihren Kunden Erfolgshonorare vereinbaren dürfen. Damit dürften letzte Zweifel beseitigt sein.
Der BGH sieht auch keinen Verstoß gegen § 4 RDG, wenn die LexFox GmbH ein Erfolgshonorar mit einer Kostenübernahme kombiniert. Nach § 49b Abs. 2 Satz 2 BRAO ist Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Übernahme von Kosten Dritter verboten. Daraus leitet sich auch das Verbot der Prozesskostenfinanzierung, für die es bestimmte nichtanwaltliche Anbieter gibt, ab. Die Vorschrift des § 4 RDG, die in der Diskussion um die Zulässigkeit der Legal-Tech-Inkassomodelle eine deutliche Aufwertung erfahren hat, bezweckt zum Schutz der Rechtsuchenden die Unabhängigkeit der Rechtsdienstleistung. Ein Rechtsdienstleister darf danach nicht tätig werden, wenn er neben der Verpflichtung zur Rechtsdienstleistung noch eine weitere Leistung zu erbringen hat, die eine unabhängige, nur im Interesse der Rechtsuchenden ausgerichtete Rechtsdienstleistung gefährden kann.
Der BGH sieht in der vereinbarten Kostenübernahme in dem konkreten Fall durch die LexFox GmbH schon keine „andere Leistungspflicht“ i.S.v. § 4 RDG. Diese sei vielmehr Bestandteil der Inkassodienstleistung. Im Übrigen liege nach Ansicht des BGH – entgegen einer beachtlichen Literaturmeinung – kein Interessengegensatz zwischen dem vereinbarten Erfolgshonorar und der Kostenübernahme durch die LexFox GmbH. Ob sich dies verallgemeinern lässt und z.B. auch für das aktuell ebenfalls sehr umstrittene Inkassomodell beim Abgasskandal im Fall „myright“ gilt, ist unklar, weil der BGH auch insoweit auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abstellt. Der BGH führt insoweit nur aus, dass die LexFox GmbH aufgrund des Erfolgshonorars ein beträchtliches eigenes Interesse an einer erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche der Mieter habe. Daher seien die Interessen der LexFox GmbH und der Mieter „jedenfalls weitgehend“ gleichgerichtet.
Erste Bewertung und offene Fragen
Es kommt nicht häufig vor, dass ein u.a. für das Wohnraummietrecht zuständiger Senat des BGH zum RDG eine Grundsatzentscheidung trifft, die voraussichtlich auch weitreichende Auswirkungen für das anwaltliche Berufsrecht haben wird. Durch das Urteil droht das Gefüge zwischen RDG und BRAO auseinanderzureißen; das regulatorische Ungleichgewicht mit Legal-Tech-Inkassoanbietern wird weiter verstärkt. Denn mit dem BGH-Urteil hat sich der Tätigkeitsbereich der nichtanwaltlichen Inkassoanbieter auf dem Gebiet der außergerichtlichen Anspruchsverfolgung erheblich erweitert. Sie dringen in Bereiche vor, die bisher anwaltlicher Tätigkeit vorbehalten waren. Registrierte Inkassodienstleister unterliegen aber bei weitem nicht den strengen beruflichen Pflichten nach der BRAO. Dass der BGH insoweit keinen Wertungswiderspruch sieht, ist nicht nachvollziehbar. Nach dem BGH-Urteil ist jedenfalls zu erwarten, dass sich Legal-Tech-Anbieter verstärkt im Inkassobereich ausbreiten werden. Das dürfte den Druck in der aktuellen berufspolitischen Diskussion, das anwaltliche Berufsrecht zu liberalisieren, weiter erhöhen.
Die Ausweitung der Inkassobefugnis dürfte auch für anwaltliche Inkassodienstleistungen negative Auswirkungen haben. Denn für sie gelten nach § 43d BRAO bestimmte Darlegungs- und Informationspflichten. Für die Definition der Inkassodienstleistung in § 43d I BRAO gilt die Definition in § 2 II RDG. Ist deren Anwendungsbereich nunmehr nach der BGH-Entscheidung erweitert, gilt dies auch für § 43d BRAO. Es ist daher umso wichtiger, einer Ausweitung der Darlegungs- und Informationspflichten, wie im Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassowesen vom 16.09.2019 vorgesehen, entschlossen entgegenzutreten, wie dies die BRAK in ihrer Stellungnahme vom Oktober 2019 auch getan hat.
Eine mögliche Folge des Urteils könnte auch sein, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vermehrt dazu übergehen werden, eine Inkassolizenz nach §§ 2 II, 10 I RDG zu beantragen. Dies ist nach dem RDG zwar grundsätzlich möglich. Ob sie damit aber die strengen Regeln des Berufsrechts, insbesondere das Verbot des Erfolgshonorars, umgehen können, ist eine andere Frage.
Neben den berufspolitischen Konsequenzen verbleiben offene Fragen. Es stellt sich weiterhin das Problem nach dem genauen Umfang der Inkassoerlaubnis. Der BGH wird nicht müde zu betonen, dass die Tätigkeiten der LexFox GmbH noch von §§ 2 II, 10 I RDG gedeckt sind. Wo genau verläuft dann die Grenze? Es bleiben somit Rechtsunsicherheiten, insbesondere für andere Legal-Tech-Inkassomodelle.
Auch zu der seit dem „Smartlaw“-Urteil des LG Köln vom 08.10.2019 verstärkt diskutierten Frage, ab wann man bei automatisierten Entscheidungsabläufen wie insbesondere einem Rechtstextgenerator eine Rechtsdienstleistung nach § 2 I RDG annehmen muss, sagt der BGH nichts, weil das nicht entscheidungserheblich war. Im Gegensatz zu der – ebenfalls nicht entscheidungserheblichen – Frage nach den Rechtsfolgen eines RDG-Verstoßes durch registrierte Inkassodienstleister sah sich der Senat insoweit nicht veranlasst, eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob der von der LexFox GmbH im Vorfeld der Beauftragung eingesetzte „Mietpreisrechner“ – wie von der Vorinstanz angenommen – bereits als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren ist, weil dies noch von der Inkassolizenz erfasst werde. Der BGH deutet aber im gleichen Atemzug an, dass es eher fernliegend sei, in dem Mietpreisrechner bereits eine Rechtsdienstleistung zu erblicken.
Es gibt also noch einige offene Fragen, die einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen.