Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit einem Jahreswechsel verbinden sich immer Rückblick und Ausblick. Rechtspolitisch kam das Jahr 2019 mit dem Amtswechsel im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wieder etwas in Schwung: Endlich wurden die Gespräche zum RVG eröffnet, wenn auch holprig. Das Ministerium legte zu den Berufsausübungsgesellschaften ein Eckpunktepapier vor und beendet damit den Stillstand in Politik und Ministerium.
"Wir werden uns weiter für strukturelle Änderungen im RVG einsetzen."
Zur Kostenrechtsmodernisierung wurden und werden Gespräche mit der von der Justizministerkonferenz beauftragten Länderkommission, bestehend aus den Justizministerinnen und –ministern der Länder Hamburg, Schleswig-Holstein und Hessen, geführt; leider sind die letzten Gespräche wegen Terminüberschneidungen am Vormittag abgesagt worden, zwei Ministerinnen waren verhindert. Nun hoffen wir, dass am 20. Dezember 2019 weiter verhandelt werden konnte und wir vorankommen und dass wir verhindern können, dass das unsägliche Junktim zwischen Erhöhung von Anwaltsgebühren und Erhöhung von Gerichtsgebühren weiterbestehen bleibt (auch wenn dies derzeit nicht den Anschein hat). Selbst wenn linear die Gebühren um (nur) 8 % erhöht werden würden, darf dies nicht mit einer Erhöhung der Gerichtskosten im selben Umfange einhergehen, das wäre ja sonst so, als wären die Gerichtskosten nur dazu da, PKH- und VKH-Gebühren zu finanzieren! Wir werden uns weiter für strukturelle Änderungen im RVG einsetzen.
Das laufende Jahr hat das Eckpunktepapier zu den Berufsausübungsgesellschaften zur Diskussion gestellt. Die Öffnung der sozietätsfähigen Berufe wird vom Vorstand nicht grundsätzlich abgelehnt, allerdings sollte sie auf diejenigen Berufe beschränkt werden, deren Struktur vergleichbar mit der unseres Berufsstandes ist, also deren Verschwiegenheitsverpflichtungen sich aus dem Berufsbild, aus den Berufsordnungen und den Strafgesetzen ergeben; einer allgemeinen Öffnung, wie dies das BMJV vorschlägt, steht der Vorstand der Kammer München in seiner Mehrheit ablehnend gegenüber. Kritisch beobachtet wird im Großteil der Anwaltschaft auch die Lockerung des Verbots, die Einbringung von Wagniskapital über Gesellschaftsformen in die Berufsausübungsgesellschaften zu ermöglichen.
"Die Öffnung der sozietätsfähigen Berufe sollte auf diejenigen Berufe beschränkt werden, deren Struktur vergleichbar mit der unseres Berufsstandes ist."
„Legal Tech“ bewegt die Diskussion: Als Überbegriff für viele sinnvolle, notwendige, zeitgemäße und strukturelle Änderungen kann damit gut gelebt werden. Die Entwicklung ist Prüfstand für unsere bestehenden anwaltlichen Normen, die ihren guten Grund haben – auch in der Zukunft. Wenn eine Inkasso-Erlaubnis dazu dient, allgemeine Rechtsberatung gewerblich anzubieten, ohne den Verbrauchern, den Rechtsuchenden den Schutz und die Core Values der Anwälte zur Verfügung zu stellen, dann beginnt der Rechtsdienstleistungsmarkt zu zerfleddern und auseinanderzudriften. Die Gefahr besteht, dass damit der Rechtsmarkt neu vermessen wird; wir sind in diesem Thema am Ball: So hatte die Bundesrechtsanwaltskammer in einem Arbeitskreis und anschließend in der Hauptversammlung sich zu den aus Legal Tech ergebenden Fragestellungen positioniert, nachdem zuvor analysiert und der Ist-Zustand festgestellt wurde. Das Jahr 2020 muss dazu dienen, aktiv in die Gestaltung und Bewertung der Entwicklung einzutreten, auch und gerade nach der Entscheidung des BGH vom 27.11.2019. Und weiterhin werden wir ein starkes Augenmerk auf die Angriffe auf die Verschwiegenheit der Rechtsanwaltschaft haben, um diese zu verteidigen: Wenn das zwischen Anwalt und Mandant gesprochene Wort nicht mehr geschützt wird, dann gibt es einen Bruch in unserem Rechtsstaat, der nicht mehr geheilt werden kann. Wenn im Rahmen von Beratungen Offenbarungspflichten (wie bei Steuervermeidungsmodellen) begründet werden, wenn wir im Rahmen der Geldwäsche nicht nur die anlassunabhängige Überprüfung zum Schutze des Missbrauchs der Anwaltschaft für Geldwäsche einführen mussten und gegebenenfalls Informationen an Ministerien weitergeben müssen, dann müssen wir gegen jeden Eingriff in die Verschwiegenheit und das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, gerade auch durch Sicherheitsgesetze, gegensteuern: Bei den Steuervermeidungsfällen ist dies ja bereits gelungen.
"Dass die Glaubhaftigkeit unserer ehrenamtlichen Tätigkeit ein besonders hoher Wert ist, kann nicht oft genug betont und unterstrichen werden."
So wollen wir uns in dem offenen Markt weiter berufspolitisch in allen ehrenamtlichen Aufgabenbereichen in entsprechenden Arbeitskreisen und öffentlichen Gesprächen dafür stark machen, dass unsere Werte aufrecht erhalten bleiben. Dass die Glaubhaftigkeit unserer ehrenamtlichen Tätigkeit ein besonders hoher Wert ist, kann nicht oft genug betont und unterstrichen werden; das ist nicht traditionell rückwärts gewandt, sondern aktuell wie noch nie, um die Wahrung des Rechtsstaats mit der grundlegenden Voraussetzung der Gewährung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Anwalt sicherzustellen. Deshalb möchte ich auch an dieser Stelle allen, die ehrenamtlich für die Kammer tätig sind, für ihr Engagement im Jahre 2019 danken. Ich bitte Sie: Bleiben Sie weiterhin so engagiert, denn anders lässt sich die Selbstverwaltung nicht durchführen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen erfreulichen Abschluss des Jahres 2019, ein friedliches Weihnachtsfest und einen guten Übergang in das Jahr 2020, das uns in vielen rechtspolitischen Punkten weiterbringen wird.
Beste Grüße, bleiben Sie gesund
Ihr Michael Then, Präsident