Herr Schwarz, wir möchten Ihnen zu Beginn unseres Interviews zunächst einmal herzlich zu Ihrer Wiederwahl am 14.07.2021 als Präsident des Verbandes Freier Berufe in Bayern e. V. (VFB) gratulieren. Sie wurden mit einer sehr großen Mehrheit wiedergewählt und vertreten erneut für vier Jahre die Interessen von fast einer Million selbstständiger und angestellter Freiberufler in Bayern in einem Verband mit 34 Mitgliedsorganisationen. Aus Ihrer Vita geht hervor, dass Sie nicht nur Präsident des Verbandes Freier Berufe in Bayern e. V. (VFB) sind, sondern auch Zahnarzt, ehemaliger Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer, Vizepräsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und jüngst zum Vorsitzenden des Vorstandes des Instituts für Freie Berufe (IFB) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg e. V. ernannt wurden. Was haben Sie sich für Ihr erneutes Engagement als Präsident des Verbandes Freier Berufe in Bayern vorgenommen?
Zunächst einmal vielen Dank für die Glückwünsche. Ich habe mich über das eindeutige Votum sehr gefreut, zeigt es doch, dass man in der vergangenen Amtsperiode einiges richtig gemacht hat. Mit dem bestätigten Vertrauen habe ich einen guten Rückhalt für die bevorstehenden Aufgaben. Den Verband Freier Berufe in Bayern zeichnet ein starker Zusammenhalt aus. Einen solchen braucht es gerade in diesen schrecklichen Pandemie-Zeiten, in welchen die Freien Berufe Verantwortung übernehmen.
Als größte Herausforderung sehe ich nach wie vor den Wandel der Berufsstände. Seit etlichen Jahren ist auch in den Freien Berufen, die eigentlich zumeist von selbstständiger Berufsausübung in eigenen Unternehmen geprägt waren, ein starker Trend zur Angestelltentätigkeit zu beobachten. Viele Berufseinsteiger*innen scheuen offensichtlich den frühen Weg in die Selbstständigkeit oder diesen überhaupt. Diesen Trend zum Angestelltenverhältnis müssen wir unbedingt brechen. Die Niederlassung stärkt das Vertrauen in unsere Berufsstände. Deshalb werde ich mich weiterhin stark für den Erhalt freiberuflicher Strukturen einsetzen. Hierzu ist ein lebendiger und dynamischer Markt an niedergelassenen Freiberuflern enorm wichtig. Nur so können wir unsere bewährten kleinteiligen Berufsstrukturen (Selbstverwaltung mit Fachaufsicht, Gebührenordnungen, Berufsordnungen etc.) erhalten, das in uns gesetzte Vertrauen schützen und der Kommerzialisierung unserer Berufsstände Einhalt gebieten. Unser Markt darf nicht zum Zweck eines Anlage-Investments in die Hände (ausländischer) fachfremder Kapitalgeber fallen. Diese üben zur Gewinnmaximierung einen Verkaufsdruck auf unsere jungen und auch älteren Berufsträger*innen aus und gefährden die flächendeckende Versorgung, weil sie sich in Ballungsräumen festfressen und sich nicht für die Versorgung auf dem Land verantwortlich fühlen. Junge Berufsträger*innen sollten wieder mehr Mut zur Selbstständigkeit haben – auch dem Berufsstand zuliebe!
Die Corona-Epidemie macht allen zu schaffen, vor allem aber Freiberuflern, Solo-Selbständigen und kleinen Unternehmen – teilweise sind sie in ihrer Existenz bedroht. Welche Folgen hat die Pandemie für die Freiberufler? Inwiefern hat sich Ihr Verband in der Pandemie für die Freien Berufe eingesetzt?
Gerade in der aktuellen Corona-Krise ist die Bedeutung der Freien Berufe für unsere Gesellschaft in Stadt und Land deutlich sichtbar geworden. Die Freien Berufe zeigen tagtäglich überragende Leistungen. Als Krisenmanager, Helfer und Berater stehen sie in erster Reihe und nehmen den Kampf gegen Corona und dessen Folgen selbstlos auf. Zusammen mit ihrer beruflichen Selbstverwaltung haben sie schnelle, gezielte, aber gleichzeitig auch unbürokratische Lösungen gefunden.
Aber so vielfältig die Freien Berufe sind, so verschieden sind auch ihre einzelnen Probleme, die differenziert betrachtet werden müssen. Zieht man Bilanz für das vergangene Jahr, zeigt sich, dass für jeden zehnten Freiberufler der bisher entstandene wirtschaftliche Schaden existenzbedrohend war. Andere Teile der Freiberufler arbeiteten an der Grenze des Möglichen, um die Folgen der Pandemie abzuwehren. Doch je länger das Fortbestehen der Krise andauert, umso fragiler wird die Marktlage auch derer, die gut oder eben noch gut durch die Krise kommen. Es drohen mögliche Insolvenzen der Auftraggeber und Auftragsrückgänge, wobei angesparte Rücklagen bzw. die Altersvorsorge aufgebraucht werden. Hinzu kommt ein Anstieg bei den Mitarbeiter-Fehlzeiten. So verzeichnete jeder Dritte höhere Fehlzeiten im Team. Rund jeder zehnte Freiberufler war 2020 gezwungen, Stellen abzubauen. Dies zeigte eine vom Bundesverband der Freien Berufe (BFB) veröffentlichte repräsentative Umfrage des IFB zu den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und abschließenden Bilanz des Corona-Jahres 2020. Auch 2021 bleibt die Lage bei Teilen der Freien Berufe, wie Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern, leider weiter angespannt. Die angeschlagenen Unternehmen der Freien Berufe sind inzwischen mehr als zermürbt, durch die unzureichenden strategischen Maßnahmen der politischen Entscheidungsträger und die weitere Zunahme an Bürokratie, die auch und gerade die Pandemiebekämpfung in unterschiedlichsten Ebenen zusätzlich stark erschwert.
Deshalb ist der Verband Freier Berufe in Bayern (VFB) zusammen mit seinen Mitgliedsorganisationen sozusagen zu einem Umschlagplatz für Informationen geworden. Als Dachverband haben wir stets versucht, die Informationen unserer Mitglieder, aber auch von Dritten (IHK, Vereinigung der bayerischen Wirtschaft) zu bündeln und weiterzuverbreiten. Wir haben uns ziemlich früh in die Taskforce-Sitzungen des Wirtschaftsministeriums eingeklinkt und können bis heute die Interessen und Nöte der Freien Berufe einbringen. Daneben haben wir uns ein Netzwerk aufgebaut, um die Politik für unsere Forderungen zu sensibilisieren. Unser Ziel ist es, die Kompetenz der Freien Berufe noch deutlicher in die Politik einzubringen und der Politik deutlich zu machen, dass die Freien Berufe in der Lage sind, noch wesentlich mehr Informationen und Kompetenzen in fachlicher Hinsicht zu Entscheidungen beizusteuern. Dafür haben wir ein Strukturpaket erarbeitet. Wir müssen uns zukünftig nachhaltiger aufstellen und uns deutlich mehr Gedanken darüber machen, wie wir mit unseren Ressourcen in der Zukunft umgehen und wir verhindern können, dass solche Pandemien uns so umfassend aus der Bahn werfen, und zwar weltweit. Daran sollten sich auch die Freien Berufe im Kleinen beteiligen.
„Die Freien Berufe sind in der Mitte der Gesellschaft verankert.“ Dieses Zitat ging aus einer Pressemitteilung des Verbands hervor. Die Politik darf auf keinen Fall die „Mitte der Gesellschaft“ vernachlässigen, wie könnte Ihrer Meinung nach diese Mitte stärker miteinbezogen werden?
Politik sollte künftig die Expertise und Fachkompetenz der Freien Berufe noch stärker als bisher in Entscheidungsprozesse einbeziehen. In der Vergangenheit wurden Entscheidungen getroffen, die dann letztlich auf den Goodwill einzelner Berufsgruppen angewiesen waren. Beispielsweise funktioniert die Auszahlung von finanziellen Corona-Hilfen nur, weil Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer dabei essenziell mitwirken.
Daher sollten nicht nur Infektiologen, Virologen und Kliniker zu Rate gezogen werden, sondern niedergelassene, selbstständige Praktiker mit Erfahrung aus dem täglichen Berufsalltag. Keine andere Branche arbeitet so Nah am Menschen und kennt deren Ängste, Nöte und Probleme besser als die Freien Berufe. Dies würde beiläufig auch weniger Bürokratie bedeuten, weil Vorschläge bereits im Vorfeld schnell auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden könnten.
Wie setzen Sie den seit 2016 angekündigten und eingeschlagenen Kurs, Frauen und die junge Generation mehr für die Arbeit der Freien Berufe zu begeistern und einzubinden, um?
Diese Frage möchte ich gerne aus zwei Perspektiven beantworten. Für den Verband Freier Berufe in Bayern freut es mich sehr, dass in unser Präsidium gleich zwei Frauen gewählt wurden. Diesen Kurs wollen wir unbedingt weiterverfolgen. Nicht nur die Vielfältigkeit der Freien Berufe, sondern auch der Frauenanteil unter den Freien Berufen sollte sich in unserem Präsidium abbilden. Immer noch ist der Frauenanteil in unseren Standesvertretungen geringer als der Männeranteil. Die Work-Life-Balance darf kein Ausschlusskriterium darstellen für ein Ehrenamt. Ehrenamt macht Spaß! Das müssen wir unserer jungen Generation wieder bewusst machen und aktiv dafür werben. Wer, wenn nicht wir selbst, sollte für seinen Berufsstand besser einstehen können?! Es liegt in unseren Händen.
Andererseits wollen wir natürlich weiterhin Frauen und die junge Generation mehr für die Arbeit der Freien Berufe begeistern. In vielen Bereichen haben wir dies bereits erfolgreich umgesetzt. Etwa steigt die Zahl der Studienabsolventinnen jedes Jahr weiter an. Die junge Generation interessiert sich auch für ein Studium der Freien Berufe. Doch verzeichnen wir leider nach erfolgreichem Studienabschluss einen Trend zum Angestelltenverhältnis. Der Fokus unserer Arbeit muss also darin liegen, die Selbstständigkeit als echte Alternative zum Angestelltenverhältnis zu bewerben. Auch wenn die Arbeitsbedingungen im Angestelltenverhältnis attraktiver und angenehmer werden, würde ich persönlich den Weg in die Selbstständigkeit auch heute noch bevorzugen. Selbstbestimmtheit, Unabhängigkeit, die Verwirklichung eigener Potenziale sind Werte, die in einem Angestelltenverhältnis kaum Platz finden. Deshalb sollten die Berufsträger*innen selbst auch ihr Berufsbild stärker bewerben. Daneben haben wir dann noch das Problem, dass unser Nachwuchs sein Berufsleben meist in der Stadt sieht und nicht auf dem Land. Dies hat auch mit der Infrastruktur vor Ort zu tun. Wenn wir weiter unsere Freiberufler-Büros, -Kanzleien, -Praxen und -Apotheken auf dem Land halten wollen, und das müssen wir, um die wohnortnahe Versorgung aufrechtzuerhalten, dann braucht es attraktive Lebensbedingungen, die der Stadt in nichts nachstehen. Darauf machen wir die Politik in unseren Gespräche immer wieder aufmerksam.
Schwerpunkt dieses Mitteilungsblattes ist der Fachkräftemangel. Wir möchten mit diesem Thema an Kanzleien appellieren, selbst auszubilden und sich so die Mitarbeiter von morgen zu sichern. Welche Probleme sehen Sie auf die „Freien Berufe“ durch den Fachkräftemangel zukommen? Wie kann man aus Ihrer Sicht diesem Phänomen wirksam begegnen?
Wir Freien Berufe sichern die wohnortnahe Versorgung. Durch den Fachkräftemangel sehen wir unsere, in kleinen und vielen Unternehmen und Einheiten organisierten Strukturen gefährdet. Denn der Fachkräftemangel verstärkt den Wettbewerb mit großen Unternehmen, die sich meist in Ballungsräumen niederlassen. Kleine Einheiten können dann oft nicht mehr mithalten und verschwinden zusehends. Auch die Nachfolge unserer Unternehmen kann oft nicht geplant werden, weil Bewerber*innen fehlen.
Daneben sind die Freien Berufe eine Zukunftsbranche und eine sichere Bank für junge Menschen, die in ihr Berufsleben starten. Doch gerade auch in diesem Bereich der Assistenzberufe bereitet uns der Fachkräftemangel Sorge. Die betriebliche Ausbildung muss wieder eine gleichwertige Alternative zur akademischen Bildung werden, damit sich qualifizierte Bewerber*innen überhaupt vorstellen. Gemeinsam müssen wir die duale Ausbildung in unseren Assistenzberufen bewerben und Attraktivität, Qualität, Leistungsfähigkeit und Integrationskraft der dualen Ausbildung stärken. Gerade weil die Freien Berufe keinen Jugendlichen verloren geben wollen, ist unser Bundesverband Teil der Allianz für Aus- und Weiterbildung. So flankiert der Bundesverband der Freien Berufe als einer der Partner die gemeinsame Aktion der Allianz für Aus- und Weiterbildung mit einer eigenen Kampagne zu Ausbildungsbereitschaft und -angeboten der Freien Berufe, mit den Zielen, das Interesse für eine Ausbildung bei den Freien Berufen zu wecken und deren Wert herauszustellen.
Ihr Beruf und Ihr Ehrenamt fordern sicher viel Zeit und Engagement. Was hilft Ihnen zu entspannen und welche Tipps haben Sie, wie man sich in diesen Zeiten am besten fit hält?
Die Zeit mit meiner Familie ist mir schon mein ganzes Leben sehr wichtig und der größte Entspannungsfaktor überhaupt. Inzwischen bedeutet das auch Zeit mit dem Enkelkind zu verbringen, wann immer eine Reise an den Niederrhein möglich ist. In der aktuellen Situation sind die Arbeit im eigenen großen Garten, Fitnesstraining und ausgedehnte Wanderungen im Chiemgau eine hervorragende Art, um sich fit zu halten – und ein Winter zum Skifahren kündigt sich ja auch gerade an. Für den Abend nach Praxis und Standespolitik haben die Gespräche mit meiner Frau über Kunst und Literatur sowie das Kochen für Familie und Freunde einen festen Platz, als Balsam für Seele und Leib.
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