Weshalb sich die Ausbildung von Rechtsanwaltsfachangestellten für Kanzleien auszahlt

Ein Plädoyer für die Ausbildung
TEXT: RA Gerald Baumgartner, Kanzlei Taylor Wessing PartG mbB

Der Markt für Rechtsanwaltsfachangestellte ist härter umkämpft denn je, insbesondere im süddeutschen Raum, dem Bezirk der RAK München. Die Klagen vieler Kollegen über einen sich stetig verschärfenden Personalmangel werden immer lauter. Der Personalmangel betrifft längst nicht mehr nur Rechtsanwälte, sondern zunehmend auch die Rechtsanwaltsfachangestellten. Doch wie ist dem Problem beizukommen? Ich meine, dass wir es nur selbst lösen können, indem wir mit individuellen Ausbildungskonzepten Rechtsanwaltsfachangestellte wieder verstärkt selbst ausbilden.

Status Quo: wenige Rechtsanwaltsfachangestellte auf dem Markt und ein kaum bekannter Ausbildungsberuf

Die Ausbildungszahlen für Rechtsanwaltsfachangestellte sind seit Jahrzehnten kontinuierlich rückläufig. In den letzten vier Jahrzehnten hat sich die Zahl der Ausbildungsverträge in etwa gedrittelt, sodass bundesweit nur noch gute dreitausend jährlich unterschrieben werden. Dies dürfte auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein. Sicherlich sind die allgemeine demografische Entwicklung und der Trend zum Studium hierfür bedeutende Faktoren.

Allerdings ist das Problem trotz alledem auch hausgemacht: Viele Kanzleien bilden selbst keine Auszubildenden (mehr) aus, obwohl sie selbst unmittelbar unter dem Fachkräftemangel leiden. Als Grund wird angeführt, dass die Ausbildung arbeitgeberseitig zeit-, personal- und kostenintensiv sei und eher nur ab einer gewissen Größe in Betracht komme.

Gut ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte können zwischen einer Vielzahl von attraktiven Vakanzen wählen

Dabei liegt die dahinterstehende und sehr kurzsichtige Denkweise auf der Hand: Kanzleien, welche nicht selbst ausbilden, jedoch freilich Bedarf an Rechtsanwaltsfachangestellten haben, werben fertig ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte von anderen Kanzleien ab. Man verspricht sich davon, die mühsame Zeit der Ausbildung zu „überspringen“ und direkt mit einer qualifizierten Fachkraft arbeiten zu können. Doch dieses Konzept geht nur dann auf, wenn man sich sicher sein kann, dass man die Fachkräfte auch halten kann. Die Praxis auf dem Arbeitsmarkt lehrt dagegen seit Jahren das Gegenteil. Gut ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte können zwischen einer Vielzahl von attraktiven Vakanzen wählen, weil viele Kanzleien eben genauso denken. Offene Stellen lassen sich immer öfter nur noch durch einen regelrechten Überbietungswettbewerb beim Gehalt und teils unter Einsatz von Headhuntern besetzen.

Meines Erachtens zeigt sich daher folgendes Bild: Wer in seiner Kanzlei nicht selbst ausbildet, trägt selbst zur Personalnot unmittelbar bei.

Hinzu kommt noch, dass der Ausbildungsberuf der Rechtsanwaltsfachangestellten unter Schulabgängern teils kaum bekannt ist. Während die Ausbildung zur/zum Kauffrau/Kaufmann für Bürokommunikation zu den „Klassikern“ zählt, wissen viele Schulabgänger nicht einmal, dass es hierzu ein sicherlich ebenso attraktives Pendant in der Kanzleiwelt gibt. So wird es dort auch auf wenig Beachtung gestoßen sein, dass die Mindestsätze für die Ausbildungsvergütung von der RAK München in den letzten Jahren deutlich angehoben wurden.

Individuelles Ausbildungskonzept entwickeln

Die Kanzleien müssen die Ausbildung daher wieder selbst in die Hand nehmen, um sich qualifizierte Fachkräfte zu sichern. Kanzleien müssen sich hierbei bewusst sein, dass sie mit ihrem Ausbildungsangebot mit den alternativen Stellen in der Industrie und der weiteren freien Berufe in Konkurrenz treten. Weshalb also sollte ein junger Mensch nach der Schule gerade bei einer Kanzlei in Ausbildung gehen?

Obwohl sich die Ausbildung in erster Linie berufsschulorientiert und entlang des Ausbildungsrahmenplans der BRAK vollziehen wird, besteht bei der konkreten Ausgestaltung für ausbildende Kanzleien einiger Raum für Individualität. Ein individuell gestaltetes Ausbildungskonzept kann Kanzleien helfen, das Berufsbild der Rechtsanwaltsfachangestellten gegenüber anderen konkurrierenden Ausbildungsberufen wie der/dem Kauffrau/Kaufmann für Bürokommunikation als attraktive Alternative zu positionieren.

Außerdem kann der fachlichen Spezialisierung der eigenen Kanzlei ein besonderer Stellenwert beigemessen werden. Somit kann die Ausbildung in Teilen auch nach den Bedürfnissen der Kanzlei erfolgen, sodass nach einer erfolgreich absolvierten Ausbildung eine Fachkraft übernommen werden kann, die nicht nur breites Wissen erworben hat, sondern auch in der Tiefe über wertvolle Kenntnisse verfügt. Wer diese Fachkräfte nicht selbst ausbildet, wird auf dem Markt lange suchen müssen, um eine/n Rechtsanwaltsfachangestellte/n mit den gewünschten besonderen Fachkenntnissen zu finden.

... kann der fachlichen Spezialisierung der eigenen Kanzlei ein besonderer Stellenwert beigemessen werden.

Auch im direkten Wettbewerb mit anderen ausbildenden Kanzleien lohnt es sich, die Vorzüge der eigenen Kanzlei im Rahmen eines individuellen Ausbildungskonzepts zur Geltung zu bringen. Kanzleien mit mehreren Sekretariaten, Praxisgruppen und Standorten wird es in der Praxis sicherlich leichter fallen, ein facettenreicheres Programm anzubieten. Mit Kreativität können jedoch auch kleinere Einheiten bei den Bewerbern punkten.

Ein Ausbildungskonzept kann etwa folgende Bestandteile enthalten: Ausbildungsteam mit festen Ansprechpartnern, interne und externe Weiterbildungsangebote, z. B. Sprachkurse, Kommunikationstraining, Kurse zur Prüfungsvorbereitung.

Bei Taylor Wessing stellt es beispielsweise einen wesentlichen Baustein der Ausbildung dar, dass die Auszubildenden mindestens einmal jährlich, teilweise sogar halbjährlich, ihren Arbeitsplatz im Haus wechseln. Über dieses Rotationsprinzip haben sie die Gelegenheit, bereits während der Ausbildung in verschiedenen Praxisgruppen arbeiten zu können. Mit einem Wechsel der Praxisgruppe ist nicht nur ein anderes Rechtsgebiet verbunden, sondern auch eine jeweils neue personelle Besetzung der Sekretariate und der dort tätigen Berufsträger.

Das Ausbildungskonzept vermarkten

Doch kann das Ausbildungskonzept noch so individuell sein, es wird nicht den gewünschten Effekt haben, wenn es nicht entsprechend vermarktet wird.

Passende Bewerber können erstmals bereits über ein Schülerpraktikum mit der Kanzlei und dem Ausbildungskonzept bekannt gemacht werden. Immerhin finden auf diesem Weg ca. 20 % der Auszubildenden zu ihrer Ausbildungskanzlei. Es lohnt sich daher, Praktikumsplätze anzubieten und sich ggf. in die von der RAK München geführten Liste aufnehmen zu lassen.

Die im Ausbildungskonzept der Kanzlei verankerte Struktur kann Auszubildenden dann in der Phase der Lehrstellensuche wertvolle Orientierung bieten, da für sie so absehbar ist, was sie später in der Ausbildung erwartet. Wichtig ist, dass Interessenten bereits auf der Website der Kanzlei und spätestens in der Stellenausschreibung Konkretes zu den Inhalten des Ausbildungskonzepts finden können. Auf Jobmessen kann das Ausbildungskonzept zusätzlich im direkten Dialog erläutert werden.

... Sicherheit am Anfang ihres Berufsweges bieten, was zu einer gesteigerten Loyalität gegenüber der Ausbildungskanzlei führt.

Perspektiven nach der Ausbildung aufzeigen

Das Ausbildungskonzept kann potentiellen Bewerbern außerdem auch Sicherheit am Anfang ihres Berufsweges bieten, was zu einer gesteigerten Loyalität gegenüber der Ausbildungskanzlei führt. Wenn der Bewerber schon vor der Ausbildung weiß, dass er nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung (sehr) gute Chancen hat, übernommen zu werden, gibt ihm dies in der Ausbildung Sicherheit und Zuversicht. Gerade in diesem Aspekt können die Ausbildungsangebote der Kanzleien gegenüber denen im Handwerk und in der Industrie punkten: die Ausbildung jeder/s Einzelnen erfolgt mit dem Ziel der anschließenden Übernahme in Festanstellung. Dies muss schließlich im Ausbildungskonzept entsprechend hervorgehoben werden.

Auch die weiteren Perspektiven, die mit einer Übernahme in Festanstellungen verbunden sind, müssen von den Kanzleien mehr in den Vordergrund gestellt werden. Hierzu zählt vor allem im süddeutschen Raum sicherlich ein kompetitives Gehalt, welches es mit vielen Ausbildungsberufen bei anderen Freiberuflern und aus der Bank- und Versicherungsbranche aufnehmen kann. Aber auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein gewichtiger Pluspunkt, da bei der Kanzleiorganisation Teilzeitmodelle bis hin zu flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice in vielen Fällen leicht umsetzbar sind. Hinzu kommen Fortbildungsmöglichkeiten wie die Ausbildung zur/zum Geprüften Rechtsfachwirt/-in und kanzleispezifische „Benefits“ wie weitere interne und externe Weiterbildungsmöglichkeiten, Jobticket/Fahrtkostenzuschuss oder Menüschecks.

Fazit

Es liegt an uns Anwältinnen und Anwälten, in unseren Kanzleien selbst auszubilden. Wenn wir selbst ausbilden, haben wir die Chance, den Fachkräftemangel selbst in Angriff zu nehmen und uns qualifizierte Mitarbeiter aufzubauen, die vom ersten Tag an eine Unterstützung sind und am Ende der Ausbildung noch dazu über besondere Fachkenntnisse auf dem Spezialgebiet der eigenen Kanzlei verfügen. Gelingen kann dies mit einem individuellen Ausbildungskonzept, welches den Auszubildenden Struktur gibt und ihnen Perspektiven für die Zeit in der Ausbildung und danach aufzeigt.

Bildquelle: ibravery/Adobe Stock