Unsere Welt wird immer digitaler. Dies führt auch im Rechtsbereich zu neuen Möglichkeiten und Herausforderungen. Die bayerische Justiz möchte die Chancen der Digitalisierung nutzen.
Die Justiz steht in der Mitte der Gesellschaft. Unser Motto in Bayern: Die Justiz ist für die Menschen da. Deshalb muss der Zugang zu den Gerichten und Staatsanwaltschaften modern, bürgerfreundlich und serviceorientiert gestaltet sein. Das erwarten Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und die Verfahrensbeteiligten zu Recht. Auch deshalb treibt das Bayerische Staatsministerium der Justiz die Digitalisierung und Modernisierung mit großem Nachdruck voran.
Im Mittelpunkt der aktuellen Digitalisierungsprojekte der Justiz stehen die Einführung der elektronischen Akte und die Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs (E-Justice). Die Potenziale der elektronischen Kommunikation und Informationsverarbeitung können nur mit einem durchgängigen elektronischen Workflow effizient genutzt werden – vom elektronischen Eingang über die elektronische Bearbeitung bis zur elektronischen Zustellung. E-Justice bringt viele Vorteile: Die Justiz ist ganztägig elektronisch erreichbar. Transportwege und -zeiten fallen weg. Akten sind für das Gerichtspersonal auch außerhalb der Büroräume verfügbar und ermöglichen das Arbeiten im Homeoffice. Die Digitalisierung spart Papier, Porto, wertvollen Archivraum, und sie beschleunigt die Bearbeitung der Fälle.
Die bayerischen Gerichte empfangen und versenden bereits heute auf das Jahr gerechnet mehr als zehn Millionen elektronische Nachrichten.
In den vergangenen Jahren wurde bereits viel erreicht. Der elektronische Rechtsverkehr hat sich zwischenzeitlich etablieren können und ist nicht mehr aus dem Justizalltag wegzudenken. Die bayerischen Gerichte empfangen und versenden bereits heute auf das Jahr gerechnet mehr als zehn Millionen elektronische Nachrichten. Damit hat sich die Anzahl der mit den Verfahrensbeteiligten ausgetauschten elektronischen Nachrichten in den vergangenen drei Jahren verzwölffacht. Da seit 1. Januar 2022 alle professionellen Verfahrensbeteiligten verpflichtet sind, Schriftsätze elektronisch einzureichen, ist mit einer weiteren Zunahme zu rechnen.
Der größte Teil des elektronischen Nachrichtenaustauschs erfolgt aktuell mit den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Organisationen, Verbände sowie andere am Prozessgeschehen Beteiligte, beispielsweise Sachverständige, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, Dolmetscherinnen und Dolmetscher stehen aktuell noch keine adäquaten elektronischen Übermittlungswege zur Verfügung. Um das Potenzial und die Chancen der Digitalisierung für die Rechtsdienstleister und die Justiz noch besser als bisher nutzen zu können, müssen alle Akteure auf elektronischem Weg kommunizieren können. Dafür wurden mit dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften zwei neue sichere Übermittlungswege geschaffen: das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) sowie die elektronische Kommunikation mit Verfahrensbeteiligten über die Nutzerkonten der Verwaltung gemäß dem Onlinezugangsgesetz (OZG).
Die von privaten Softwareanbietern für das eBO benötigte Clientsoftware wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2022 auf dem Markt verfügbar sein. Ab dann werden insbesondere Unternehmen, Organisationen, Verbände sowie Sachverständige, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, Dolmetscherinnen und Dolmetscher über einen zusätzlichen sicheren Übermittlungsweg mit der Justiz kommunizieren können.
Für die elektronische Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern setzt die bayerische Justiz auf die Anbindung der Justiz an das OZG-Nutzerkonto der bayerischen Verwaltung, die BayernID. Bereits seit Anfang des Jahres können beispielsweise Klagen oder Strafanzeigen digital an die Gerichte oder Staatsanwaltschaften übermittelt werden. Eine Antwortmöglichkeit soll bis Ende des Jahres eingerichtet werden.
Auch bei der Einführung der elektronischen Akte geht es zügig voran. Die elektronische Akte ist bereits an 14 der 22 bayerischen Landgerichte in erstinstanzlichen Zivilsachen regulär im Einsatz. Darüber hinaus wird die elektronische Akte am Oberlandesgericht München sowie an den Amtsgerichten Straubing, Dachau und Regensburg in Zivil- und Familiensachen, am Amtsgericht Kelheim in Grundbuchsachen, am Amtsgericht Erlangen in Betreuungssachen, am Amtsgericht Regensburg in Immobiliarvollstreckungssachen und am Amtsgericht Ingolstadt in Insolvenzsachen erfolgreich pilotiert. Mehr als 70.000 Verfahren wurden bereits rein elektronisch geführt.
Neben der elektronischen Akte kommt auch der Videotechnik eine wichtige Rolle bei der Digitalisierung der bayerischen Justiz zu. Die bayerische Justiz setzt dabei auf ein Zwei-Säulen-Konzept. Es kommen mobile Videokonferenzanlagen sowie das Videokonferenztool Microsoft Teams zum Einsatz.
Die Videokonferenzen, an denen das Gericht mit einer Videokonferenzanlage teilnimmt, finden über das Videokonferenz-Vermittlungssystem des IT-Dienstleistungszentrums des Freistaats Bayern statt. Eine Einwahl in die dort bereitgestellten virtuellen Videokonferenzräume ist per Browser sowie mit einer SIP-fähigen Videokonferenzanlage möglich. Seit Juli 2021 hat jedes der 99 ordentlichen Gerichte in Bayern Zugang zu mindestens einer Videokonferenzanlage. Um die große Nachfrage nach Videoverhandlungen decken zu können, werden die Gerichte und Staatsanwaltschaften mit zusätzlichen Videokonferenzanlagen ausgestattet. Dieses Jahr sollen 50 weitere Anlagen beschafft werden.
Um die große Nachfrage nach Videoverhandlungen decken zu können, werden die Gerichte und Staatsanwaltschaften mit zusätzlichen Videokonferenzanlagen ausgestattet.
Die zweite Säule ist der Einsatz von Microsoft Teams. Videoverhandlungen, die per Microsoft Teams durchgeführt werden, finden derzeit zumeist über die Laptops der Richterinnen und Richter statt. Für die Verfahrensbeteiligten ist neben der Teilnahme über die Microsoft Teams App auch eine Einwahl über den Browser möglich. Perspektivisch sollen Gerichtssäle zudem mit Microsoft Teams lizensierter Hardware ausgestattet werden.
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz geht davon aus, dass im Jahr 2021 bereits etwa 10.000 Videoverhandlungen an den bayerischen Gerichten durchgeführt wurden. Die Vorteile von Videoverhandlungen für die Anwaltschaft liegen vor allem in der Zeit- und Kostenersparnis. Termine, die nur der Erörterung des Sach- und Streitstands oder der Stellung von Anträgen dienen, eignen sich nach den Berichten der gerichtlichen Praxis besonders gut für eine virtuelle Gerichtsverhandlung.
Darüber hinaus verfolgt das Bayerische Staatsministerium der Justiz noch eine Reihe weiterer zukunftsweisender IT-Projekte, wie etwa das gemeinsame Forschungsvorhaben mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur automatisierten Anonymisierung und Pseudonymisierung gerichtlicher Urteile. Ziel der automatisierten Anonymisierung ist es, in Zukunft in geeigneten Fachbereichen eine große Anzahl von Urteilen veröffentlichen zu können.
Im März 2018 wurde die „Denkfabrik Legal Tech“ gegründet, die etwa 250 Juristen aus Justiz, Anwaltschaft, Wirtschaft und Forschung vernetzt. Gemeinsames Ziel ist es, die Kenntnisse über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Legal Tech zu vertiefen.
Gemeinsam mit der Bundesnotarkammer erprobt die bayerische Justiz bereits seit 2020 ein digitales Gültigkeitsregister. Auf Basis der Blockchain-Technologie zeigt das Register jederzeit fälschungssicher, ob z. B. ein Erbschein noch gültig ist – ein zweifach preisgekröntes Pilotprojekt und die erste Blockchain-Kooperation der deutschen Justiz.
Auf dem Weg zu einem modernen Prozessrecht sieht die bayerische Justiz auch rechtspolitisch noch erheblichen Handlungsbedarf.
Auf dem Weg zu einem modernen Prozessrecht sieht die bayerische Justiz auch rechtspolitisch noch erheblichen Handlungsbedarf. Umfassende Vorschläge zur Modernisierung des Zivilprozesses liegen bereits seit längerer Zeit vor und wurden der Bundesregierung übermittelt. Die Prozessordnungen sind für die Papierakte gemacht, nicht für die elektronische Akte und den elektronischen Rechtsverkehr. Eine Modernisierung des Prozessrechts ist daher dringend notwendig. Die vom Bundesministerium der Justiz initiierten Projekte zur „Einführung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens“ und zur „Entwicklung eines Chatbots für die Aufnahme von Anträgen in den Rechtsantragstellen“ werden mit Interesse verfolgt. Wenige punktuelle Verbesserungen genügen aber nicht. Notwendig ist eine auch inhaltlich breit geführte Diskussion, die alle Akteure einbezieht: die Anwaltschaft, die Wissenschaft, die Wirtschaft, die Verbraucherverbände und die Justiz.
Bildquelle: geralt/Pixabay