PKH im Strafverfahren

Rechtsanwältin Stefanie Fremuth, stv. Geschäftsführerin der RAK München

Die Richtlinie [EU] 2016/1919 betreffend Prozesskostenhilfe für Verdächtige und Beschuldigte im Strafverfahren verpflichtet den deutschen Gesetzgeber europarechtlich, das Recht der notwendigen Verteidigung (§§140 ff. StPO, §§ 40, 53, 83j IRG, 31ff. IStGH) bis zum 25.05.2019 an europarechtliche Vorgaben anzupassen.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz legte daher Ende des Jahres 2018 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vor.

Durch den Referentenentwurf sollen sowohl die zwingenden Vorgaben der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR umgesetzt als auch bisheriges Richterrecht in der StPO normiert werden, um eine systematisch klarere Strukturierung herbeizuführen.

Bei grundsätzlicher Beibehaltung des bewährten Systems der notwendigen Verteidigung soll u. a. die Pflichtverteidigerbestellung transparenter gestaltet werden. Die bestellbaren Pflichtverteidiger können, dem Entwurf folgend, einer Liste der Rechtsanwaltskammern entnommen werden. In dieser werden Rechtsanwälte vermerkt, die das Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungsmandaten bekundet haben. Außerhalb der Liste dürfen alleine Fachanwälte für Strafrecht als Pflichtverteidiger bestellt werden oder Rechtsanwälte, die gegenüber der Rechtsanwaltskammer ihr Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt haben und für die Übernahme der Verteidigung geeignet sind (§ 142 Absatz 4 StPO-E).

Den Anforderungen der Richtlinie entsprechend soll bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren die Pflichtverteidigerbeiordnung erfolgen. Dieser Vorgabe wird auch dadurch Rechnung getragen, dass die Perspektive grundsätzlich weg vom Hauptverfahren, hin zum Ermittlungsverfahren gelenkt wird. Die in der Richtlinie enthaltenen Zeitpunkte für die Verteidigerbestellung bei Vernehmungen, Gegenüberstellungen und Haftvorführungen sollen ausdrücklich festgeschrieben werden.

Gegen die Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung werden darüber hinaus, zur zügigen Herstellung von Rechtssicherheit, Rechtsmittel eröffnet.

Der Referentenentwurf enthält u. a. folgende weitere Regelungen:

  • Ausweitung der notwendigen Verteidigung auf alle Schöffensachen (§ 140 Absatz 1 Nummer 1 StPO-E);
  • einheitliche Festsetzung der Grenze, ab der ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, auf ein Jahr Straferwartung (§ 140 Absatz 1 Nummer 3 StPO-E);
  • Vorliegen eines Falls der notwendigen Verteidigung bereits bei Vorführung vor einen Richter zur Entscheidung über Haft oder vorläufige Unterbringung (§ 140 Absatz 1 Nummer 4 StPO-E);
  • Vorliegen eines Falls der notwendigen Verteidigung bei jedem Vollzug von Haft oder Unterbringung, unabhängig von deren Dauer (§ 140 Absatz 1 Nummer 5 StPO-E);
  • Einführung eines Antragsrechts des Beschuldigten auf Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (§ 141 Absatz 1 Satz 1 StPO-E);
  • Konkretisierung der Zeitpunkte, ab denen ein Pflichtverteidiger – insbesondere bei Vernehmungen und Gegenüberstellungen sowie Haftvorführungen – auch ohne Antrag von Amts wegen zu bestellen ist (§ 141 Absatz 1 Satz 2 StPO-E);
  • Regelung zur Zulässigkeit von Vernehmungen und Gegenüberstellungen auch ohne Verteidiger bei dringender Gefahr für Leib oder Leben oder für die Freiheit einer Person sowie bei erheblicher Gefährdung eines Strafverfahrens (§ 141 Absatz 2 StPO-E);
  • Einführung einer Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft für Fälle, in denen – etwa bei nächtlichen Vernehmungen – kein Richter erreichbar ist (§ 142 Absatz 2 StPO-E);

Die Rechtsanwaltskammer München hat in einer Stellungnahme gegenüber dem Bayerisches Staatsministerium der Justiz darauf hingewiesen, dass gerade die frühzeitige Beiordnung eines Verteidigers wesentlich dazu beiträgt, dass falsche Geständnisse unter dem Druck der Vernehmungssituation und damit falsche Weichenstellungen zu Beginn des Ermittlungsverfahrens vermieden werden können. Dies dient nicht nur dem Schutz des Beschuldigten, sondern auch der Vermeidung erheblichen Aufwandes für die Gerichte.

In den letzten Jahren wurden Aufsehen erregende Fehlurteile im Rahmen von Wiederaufnahmeverfahren korrigiert. Die Belastung der Justiz in diesen langwierigen Verfahren sowie die drastischen Folgen für die zu Unrecht Verurteilten hätten in der Regel durch die frühzeitige Beiordnung von Verteidigern verhindert werden können.

Die frühzeitige Beiordnung von Verteidigern führt zudem nicht zu einer nachhaltigen Kostensteigerung. Zwar wäre die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch für vermögende, nicht nur für wirtschaftlich bedürftige Beschuldigte, erforderlich. Die Kosten des Verfahrens trägt nach einer Verurteilung jedoch gem. § 465 StPO der Verurteilte. Zu diesen Kosten gehören auch die Pflichtverteidigerkosten. Gerade bei vermögenden Verurteilten ist zu erwarten, dass diese Kosten durch die Justiz beigetrieben werden können.