Akzente setzen für die Zukunft – Reformideen für eine moderne Juristenausbildung

Rechtsanwältin Kristina Trierweiler, LL.M., Geschäftsführerin Bundesrechtsanwaltskammer

"Die Anwaltszahlen stagnieren."

Mehrere Bundesländer haben kürzlich vor den Folgen des demographischen Wandels im Justizwesen gewarnt. In den kommenden Jahren werde eine gewaltige Pensionierungswelle auf Gerichte und Staatsanwaltschaften zurollen. Die Anwaltszahlen stagnieren. Auch die Notare plagen Nachwuchssorgen. Demgegenüber nehmen die Bachelor- und Masterstudiengänge im Fachgebiet Jura – ohne die beschwerliche erste und zweite juristische Prüfung – an Bedeutung zu. Die Zahl der Referendare geht zurück. Von einer Juristenschwemme, von der in den 90er Jahren die Rede war, kann heute keineswegs mehr gesprochen werden.

Wie kann es gelingen, das Studium der Rechtswissenschaften attraktiv zu halten und in hinreichender Zahl guten juristischen Nachwuchs auszubilden? Welche Rolle spielen dabei technische Entwicklungen?

Vor nunmehr 16 Jahren ist das Jurastudium letztmalig reformiert worden. Durch die seinerzeitige Einführung der universitären Schwerpunktbereichsprüfung und die Erweiterung um Schlüssel- und Fremdsprachenqualifikationen ist die Studiendauer seither kontinuierlich gestiegen. Seit dem Inkrafttreten der Reform 2003 gibt es bundesweit eine große Vielzahl verschiedenster Schwerpunkte, die nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Universität zu Universität unterschiedliche Anforderungen an die Studierenden stellen und zu einer noch größeren zu bewältigenden Stofffülle geführt haben. Dies ist von den Ländern erkannt worden und die Justizministerkonferenz hat einen Koordinierungsausschuss zur Reform des Jurastudiums gebildet, der Reformvorschläge erarbeiten sollte. In dem im November 2016 veröffentlichten Bericht wurde u. a. vorgeschlagen, das Schwerpunktbereichsstudium auf 16 Wochenstunden bzw. 3 Prüfungsleistungen zu reduzieren. Auch soll die Note nur noch zu 20 statt wie bislang mit 30 Prozent in das Ergebnis der ersten juristischen Prüfung einfließen.

Die vorgeschlagenen Reformideen werden nun wiederum durch eine Arbeitsgruppe untersucht und konkretisiert. Die Justizministerkonferenz hat mit Beschluss vom 09.11.2017 einen weiteren Bericht zur universitären Schwerpunktbereichsprüfung in Auftrag gegeben. Es soll ermittelt werden, wie der bislang unzureichenden Vergleichbarkeit der Schwerpunktbereiche entgegengewirkt werden kann. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz führt den Vorsitz der dafür eingerichteten Arbeitsgruppe.

Wann es tatsächlich zu einer Umsetzung kommen wird, und vor allem in welchem Rahmen, ist nicht abzusehen. Zwingend jedenfalls ist, dass die Schwerpunktbereiche die Studierenden nicht dazu animieren dürfen, grundlegende Fähigkeiten in den Fächern Bürgerliches Recht, Öffentliches Recht und Strafrecht zu vernachlässigen. So wäre zur Herstellung der Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit denkbar, konkrete Vorgaben zu den Schwerpunktbereichen im Deutschen Richtergesetz zu machen. Eine solche Beschränkung der Inhalte könnte sich beispielsweise an den Rechtsgebieten orientieren, in denen es Fachanwaltschaften gibt.

Ursprünglich bei Einführung des Schwerpunkts war vorgesehen, dass dieser vor der staatlichen Pflichtfachprüfung zu absolvieren ist. Für viele Studierende hat es sich dagegen als sinnvoller erwiesen, zunächst die staatliche Pflichtfachprüfung zu durchlaufen und im Anschluss den Schwerpunkt zu belegen. Denkbar wäre daher, die Struktur des Studiums zu verändern: Das Grundstudium ist im 1. bis 4. Semester zu absolvieren. Daran schließt sich eine zweisemestrige Vertiefung an. Im 7. Semester finden die Prüfungsvorbereitung und die staatliche Pflichtfachprüfung statt. Das Studium endet schließlich mit der zweisemestrigen Schwerpunktbereichsausbildung einschließlich einer Prüfung. Die Studierenden würden sich damit in den ersten sieben Semestern auf die staatliche Pflichtfachprüfung konzentrieren und könnten sich anschließend ganz der Schwerpunktbereichsausbildung widmen. Ein engagiert betriebenes Schwerpunktbereichsstudium würde nicht mehr die Phase der Vorbereitung auf die Pflichtfachprüfung zerreißen.

"Das Grundstudium ist im 1. bis 4. Semester zu absolvieren."

Zudem sollte vorgegeben werden, welche Prüfungsleistungen für den Schwerpunkt erbracht werden müssen, d. h. die Anzahl der erfolgreich absolvierten Klausuren und/oder Seminar- bzw. Studienarbeiten etc. Zudem sollte der Qualitäts- und Prüfungsmaßstab für diese Leistungen bundesweit vereinheitlicht werden.

Die erste juristische Prüfung ist erst mit dem Bestehen der Prüfung im Schwerpunktbereich bestanden und daher ist weiterhin der erfolgreiche Abschluss auch dieses Teils des Studiums Voraussetzung für die Zulassung zum Referendariat.

Um den besonderen Anforderungen im Examen gewappnet zu sein, ist es auch hilfreich, auf die Erfahrungen aus einem Praktikum zurückgreifen zu können. An den Universitäten erfolgt die Wissensvermittlung in aller Regel durch Lösung von vorgegebenen Rechtsproblemen. Im Praktikum dagegen kann man lernen, aus einem umfassenden Lebenssachverhalt die relevanten Informationen herauszufiltern. Die Studierenden haben damit die Möglichkeit, einen ersten Einblick in die Praxis zu erhalten und sich frühzeitig beruflich zu orientieren. Wird das Praktikum ernst genommen, ist es mit einem großen Lerneffekt verbunden. Optimal wäre es, wenn das Praktikum in das Studium integriert und den Studierenden ein begleitendes Programm zur Vor- und Nachbereitung des Praktikums geboten würde. Damit der Praktikant nicht zur Last fällt, sondern der Arbeitgeber auch einen Nutzen hat, sollte das Praktikum erst dann stattfinden, wenn ausreichend juristische Grundkenntnisse vorhanden sind – beispielsweise nach dem Grundstudium.

Bei allen Reformideen sollte nicht vernachlässigt werden, dass – auch wenn die Befähigung zum Richteramt erlangt wird – nach wie vor die meisten Absolventen den Beruf des Rechtsanwalts ergreifen. Die Vorbereitung auf die vielfältigen Anforderungen an einen Rechtsanwalt ist äußerst wichtig.

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als überfällig, das anwaltliche Berufs- und Gebührenrecht im Prüfungskanon des zweiten Examens zu verankern. Auch die Berücksichtigung der rechtsberatenden Praxis in den Prüfungen, wie es § 5d Abs. 1 Satz 1 DRiG normiert, ist sehr zu begrüßen. Es ist gut, wenn künftig die anwaltliche Tätigkeit und Sichtweise im Zivilprozess, in der Zwangsvollstreckung, im Strafverfahren sowie im Verwaltungs- beziehungsweise verwaltungsgerichtlichen Verfahren und die rechtsgestaltende Tätigkeit von Rechtsanwälten Gegenstände der zweiten Staatsprüfung sein sollen.

"Anwaltsorientierte Themen werden noch immer in zu geringem Maße geprüft."

Denn die Anwaltsorientierung nimmt aktuell noch immer zu wenig Raum ein. Es werden zu wenige Klausuren aus anwaltlicher Sicht gestellt, die mündlichen Prüfungen beider Examina werden zu selten von anwaltlichen Prüfern abgenommen. Anwaltsorientierte Themen werden noch immer in zu geringem Maße geprüft. Es genügt nicht, die rechtsberatende Praxis in den Prüfungskatalog aufzunehmen, wenn sie faktisch nicht oder nur äußerst selten geprüft wird. Entscheidend ist, dass das Wissen in den Prüfungen auch tatsächlich abgefragt wird. Da die Examenskandidaten erfahrungsgemäß nur lernen, was auch geprüft wird, ist das Anwaltsrecht bisher im Wesentlichen dem "Lernen auf Lücke" zum Opfer gefallen. Das Interesse der Studierenden und Referendare wird durch prüfungsrelevanten Lernstoff geweckt.

Erfreulich ist, dass seitens des Koordinierungsausschusses empfohlen wurde, bei der Teilnahme an einem Moot Court oder an einer Rechtsberatung im Rahmen einer Law Clinic ein Semester unberücksichtigt zu lassen. Beides sind Modelle, die Theorie und Praxis wunderbar miteinander verzahnen. Die Studierenden können bereits in einem frühen Stadium anhand "echter Fälle" das theoretisch erlangte Wissen durch Praxiserfahrung anreichern und sich in strategischem Denken, Gesprächsführung und Problembewusstsein üben.

Erfreulich ist die kürzlich gestartete Gesetzesinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen, in der vorgeschlagen wird, das Deutsche Richtergesetz dahingehend abzuändern, die Regelstudienzeit für Rechtswissenschaften von 9 auf 10 Semester zu erhöhen. Die tatsächliche Studiendauer einschließlich Prüfungszeit betrage faktisch durchschnittlich 11,3 Semester. Die derzeitige Festlegung auf 9 Semester für Rechtswissenschaften sei daher nicht ausreichend. Die Masterstudiengänge im Bereich Jura haben eine Regelstudienzeit von 10 Semestern und damit bestehe auch länger Anspruch auf BAföG-Leistungen. Hier sei dringend eine Angleichung vorzunehmen. Der Bundesrat hat den Antrag angenommen (vgl. Bundesrat-Drs. 616/18 (Beschluss) vom 15.02.2019). Er möchte so verhindern, dass der Studienerfolg von der finanziellen Situation und sozialen Herkunft der Betroffenen abhängt.

Die Juristenausbildung muss aber auch auf die Entwicklungen im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung reagieren und sich diesen Veränderungen stellen. Das gilt mit Blick auf Justiz, Verwaltung und Anwaltschaft gleichermaßen. Allein das juristische Denken wird künftig nicht mehr genügen. Gerade für die Anwaltschaft eröffnen sich ganz neue Geschäftsmodelle. So gibt es bereits zahlreiche Online-Plattformen oder Software, die anwaltliche Tätigkeit ersetzt oder optimiert. Dies führt in vielen Bereichen zu einer Beschleunigung und Vereinfachung. Die zunehmende Digitalisierung der Arbeitsprozesse und die Technisierung der Kommunikation führen schon heute zu einer Veränderung des Rechtsberatungsmarktes. Vorlesungen in Rechtsinformatik oder zu Legal Tech müssen daher in größerem Maße angeboten und auch besucht werden. Das setzt voraus, dass die Universitäten technisch entsprechend ausgestattet werden, um ihren Studenten ein grundlegendes Verständnis für diese Entwicklungen zu vermitteln.

"Die Juristenausbildung muss aber auch auf die Entwicklungen im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung reagieren und sich diesen Veränderungen stellen."

Festzuhalten bleibt, die juristische Ausbildung muss stets von dem Leitgedanken der Qualitätssicherung geprägt sein und sich Entwicklungen anpassen. Nur so werden die Absolventen bestmöglich auf den Berufseinstieg vorbereitet.


Rechtsanwältin Kristina Trierweiler, LL.M., ist Geschäftsführerin der Bundesrechtsanwaltskammer in Berlin. Sie ist neben der Juristenausbildung zuständig für die Bereiche Ausländer- und Asylrecht, Familien- und Erbrecht, Menschenrechte, Sozialrecht und Verwaltungsrecht.