Meldungen aus Justiz und Anwaltschaft

163. BRAK-HV in Stuttgart am 08./09.09.2022: Digitale und lineare (Heraus-)Forderungen

RVG-Anpassung, beA-Kartentausch und Digitalisierung der Justiz – zentrale Themen der Hauptversammlung

Eine Fülle von Themen hatten die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechtsanwaltskammern am 09.09.2022 anlässlich ihrer halbjährlichen Hauptversammlung (HV) zu diskutieren, zu der BRAK-Vizepräsidentin Ulrike Paul in ihrer Funktion als Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Stuttgart geladen hatte. 

Einen Schwerpunkt bildeten Fragen, die den gerichtlichen Zugang zum Recht betreffen und unter der Ägide von Präsidiumsmitglied und Schatzmeister Rechtsanwalt Michael Then, Präsident der RAK München, behandelt wurden. Dabei diskutierten die Teilnehmenden u. a. intensiv darüber, ob der Zuständigkeitsstreitwert für die Amtsgerichte angehoben werden soll. Das Thema ist auch Gegenstand eines ausführlichen Berichts in dieser Ausgabe. Die in der Hauptversammlung ausgetauschten Argumente reichten von Aspekten des Inflationsausgleichs und der Sinnhaftigkeit einer Sicherung und Stärkung der Amtsgerichte in der Fläche über mögliche personelle Auswirkungen bei den Landgerichten und die Sicherung eines funktionsfähigen Rechtsstaates bis hin zu erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen für die Anwaltschaft und der Frage des Postulationszwanges ab EUR 5.000,00. Die auf den ersten Blick lediglich zahlenmäßige Anpassung könnte zu einer tiefgreifenden systemischen Veränderung führen, die sich auf den Anwaltszwang auswirken würde. Insofern muss eine Anpassung nach Auffassung der HV sorgfältig mit klaren Zahlen durchdacht, mögliche Konsequenzen antizipiert und Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden.

Unter einem weiteren Tagesordnungspunkt berichtete die BRAK umfassend zu allen Aspekten des aktuellen Austauschprozesses der beA-Karten durch die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer (BNotK). Bei dessen Abwicklung hatten sich in den letzten Wochen sowohl beim Versand der Karten und PINs als auch hinsichtlich der Erreichbarkeit des Supports der BNotK Schwierigkeiten ergeben. Inzwischen seien unter anderem die Supportkapazitäten bei BNotK und BRAK erhöht worden. Auch die Schritt-für-Schritt-Anleitungen seien nochmals erheblich ausgebaut worden, insbesondere mit einer Ersten Hilfe bei abgelaufener beA-Karte. Nach ausführlicher und kritischer Besprechung des Themas wurde die Hauptversammlung auch über den Stand aktueller Weiterentwicklungsvorhaben in Bezug auf das beA informiert.

Anschließend erfolgte ein Austausch zu Entwicklungen im Bereich der Geldwäscheprävention, insbesondere zum EU-Geldwäschepaket und den aktuellen Überlegungen des Bundesfinanzministeriums. Auch dazu findet sich eine ausführliche Schilderung und Stellungnahme in dieser Ausgabe. Das Präsidium informierte die Hauptversammlung über seine Beschlussfassung vom 08.09.2022 zur Einrichtung eines BRAK-Ausschusses für Geldwäscheprävention.

Die Digitalisierung der Justiz, die weniger schnell als erhofft voranschreitet, war ebenfalls Gegenstand der Tagesordnung. Wie sich die Überlegungen des BMJ zu gerichtlichen Onlineverfahren weiterentwickeln werden und wann die Veröffentlichung des zu erwartenden Referentenentwurfs zu § 128a ZPO erfolgt, wird die BRAK aufmerksam beobachten und sich mit höchster Priorität aktiv für die Interessen der Anwaltschaft einbringen, so das zuständige Präsidiumsmitglied Rechtsanwalt Michael Then.

Geschlossene Zustimmung fand das Ansinnen der BRAK, den stetig wachsenden Kosten in den Kanzleien sowie der rasant steigenden Inflation etwas entgegenzusetzen. Die BRAK kündigte an, sich nachdrücklich für eine substanzielle lineare Anpassung der Anwaltsgebühren einzusetzen. Dies sei angesichts der extrem steigenden Energiepreise einerseits und wegen der im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz fehlenden Möglichkeit einer individuellen Preisanpassung andererseits dringend erforderlich.

Zum Abschluss eines konzentrierten und konstruktiven Sitzungstages erhielten die Teilnehmenden der BRAK-HV noch einen Bericht über die internationalen Aktivitäten der BRAK und einige ihrer Leuchtturmprojekte. Dabei wurde deutlich, dass die Expertise der BRAK zum Thema „law made in Germany“ inzwischen weltweit gefragt ist.

Die nächste BRAK-HV richtet die RAK Thüringen als Gastgeberin am 28.04.2023 in Erfurt aus.


80. Gebührenreferentenkonferenz am 02.04.2022 in Düsseldorf

Folgende Punke wurden bei der 80. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern besprochen: 

  • Überblick über gebührenrechtliche Entscheidungen und gesetzliche Neuerungen aus der jüngeren Vergangenheit
    Die Gebührenreferenten erörterten aktuelle Gerichtsentscheidungen, die von Relevanz für die Rechtsanwaltschaft sind. Das OLG Düsseldorf hat im Hinweisbeschluss vom 23.11.2021 (Az.: 24 U 355/20) auch den Betriebskostenaufwand als entscheidend für die Höhe des Stundensatzes angesehen. Die Angemessenheit eines anwaltlichen Stundensatzes hängt u. a. von der Kostenstruktur der jeweiligen Anwaltskanzlei ab. Darüber hinaus ist ein Gericht aus eigener Sachkunde unter Anwendung des § 287 ZPO in der Lage, den Zeitaufwand anwaltlicher Tätigkeit zu schätzen.
    Nach dem Beschluss des BGH vom 27.07.2021 (Az.: 6 StR 307/21) umfasst die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren. Der Beschluss v. 24.01.2022 des OLG Brandenburg (Az.: 1 Ws 108/21 (S) über die Erstattung der Gebühren des Wahlverteidigers für Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren aus der Staatskasse stand ebenfalls zur Diskussion.
    Für die Frage, ob bei einer vereinbarten Vergütung ein für Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, ist auch der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, der Umfang und der Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. (OLG München, Urt. v. 02.02.2022, Az.: 15 U 2738/21 Rae).
    Die Gebührenforderung eines Rechtsanwalts aus einer Erfolgshonorarvereinbarung kann bereits dann durch einen Arrest gesichert werden, wenn die Parteien über den Gegenstand des Rechtsstreits einen materiell-rechtlichen Vergleich geschlossen haben. Einer gerichtlichen Feststellung des Vergleichs durch Beschluss bedarf es nicht. Dass der Partei Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, steht einer Erfolgshonorarvereinbarung nicht entgegen. (OLG Dresden, Beschl. v. 01.03.2022 – 4 W 3/2022).
    Des Weiteren umfasste der Rechtsprechungsüberblick den Beschluss des OLG Düsseldorf v. 08.01.2019 – 24 U 84/18 (Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung), das Urteil des OLG München v. 05.06.2019 – 15 U 318/18 (Fünfzehnminutentaktklausel), das Urteil des BGH v. 13.02.2020 – IX ZR 140/19, AGS 2020, 161 (Unwirksamkeit von Vergütungsvereinbarungen), das Urteil des BGH v. 29.10.2020 – IX ZR 264/19, AnwBl. 2021, 47 (Begriff der „gebührenrechtlichen Angelegenheit“), das Urteil des OLG Düsseldorf. v. 16.12.2010 – I-24 U 96/10 (Verrechnungsvereinbarung als Vergleich oder selbstständiges Schuldanerkenntnis).
  • Erfolgshonorarvereinbarungen gem. § 4a RVG und die Folgen der vorzeitigen Mandatsbeendigung
    Die Gebührenreferenten befassten sich mit den Folgen der vorzeitigen Mandatsbeendigung bei Erfolgshonorarvereinbarungen gem. § 4a RVG und den Möglichkeiten der Geltendmachung eines entstandenen Honoraranspruchs. Dieser kann durch vertragliche Klauseln gesichert werden, wobei darauf zu achten ist, dass die freie Kündbarkeit des Mandats nicht dadurch vereitelt wird.
  • Bewertung von Inkassoabrechnungen
    Die Gebührenreferenten kritisierten die in Nr. 2300 VV RGV enthaltene Regelung, nach der eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ist Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft, kann eine Gebühr von mehr als 0,9 nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder besonders schwierig war. Dass eine Gebühr von 0,5 anfalle, wenn die Forderung auf die erste Zahlungsaufforderung hin beglichen wird, und der Schuldner durch die Zahlung auf die Gebühr Einfluss nehmen kann, wurde ebenfalls beanstandet. Es ist unklar, wie mit dieser Regelung in der Praxis umgegangen werden soll. Die Gebührenreferenten werden sich weiter mit dieser Regelung auseinandersetzen und die Entwicklung der Rechtsprechung dazu verfolgen.
  • Neuregelung der Anrechnung in § 58 Abs. 2 Satz 2 RVG
    § 58 Abs. 2 Satz 2 RVG wurde geändert. Vor der Änderung konnten Zahlungen des Mandanten in Prozesskostenhilfeangelegenheiten auf die Prozesskostenhilfegebühren verrechnet werden. Nach neuer Rechtslage werden Zahlungen, die der Rechtsanwalt nach § 9 des Beratungshilfegesetzes erhalten hat, auf die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung angerechnet.

Aufruf: Beteiligen Sie sich am Ausschuss Schuldrecht der BRAK!

Bei der Bundesrechtsanwaltskammer arbeiten mehr als 30 Fachausschüsse – vom Ausschuss für Arbeitsrecht bis zum Ausschuss für Zivilprozessrecht. Ihre Aufgabe ist es insbesondere, Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen und Gutachten zu einzelnen berufspolitischen Fragestellungen für das Präsidium vorzubereiten. Häufig nehmen Ausschussmitglieder als Experten an Anhörungen in Ministerien oder im Parlament teil. Die Ausschussmitglieder werden auf vier Jahre berufen und arbeiten ehrenamtlich.

Das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer hat in seiner 374. Präsidiumssitzung am 08.09.2022 beschlossen, den Ausschuss Schuldrecht für die Berufungsperiode bis zum 31.12.2023 personell um drei weitere Mitglieder zu verstärken.

Die Selbstverwaltung der Anwaltschaft lebt vom Engagement der Mitglieder, die sich im Rahmen der ehrenamtlichen Arbeit in vielen verschiedenen Bereichen einbringen. 
Wenn auch Sie sich dafür interessieren, ehrenamtlich tätig zu werden und im Ausschuss Schuldrecht der BRAK mitzuarbeiten, bitten wir Sie, Ihren Lebenslauf an die Rechtsanwaltskammer München zu senden – 
bis zum 14.10.2022 
an Frau Brigitte Doppler, Geschäftsführerin, E-Mail: doppler@rak-m.de.

Auch wenn Sie noch Fragen zur Tätigkeit haben, können Sie sich gerne mit uns in Verbindung setzen.

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen und Ihre Unterstützung!


Bildquelle: kontrastDesign/iStock