Die Fachanwaltschaft – auch zukünftig eine Erfolgsgeschichte?

Bis heute ist die Fachanwaltschaft eine Erfolgsgeschichte. Wir müssen nun die Weichen stellen, dass sie auch zukünftig ihre hohe Attraktivität für die Anwaltschaft und das rechtsuchende Publikum behält.
TEXT: RAin und Notarin Silvia C. Groppler

Bis heute ist die Fachanwaltschaft eine Erfolgsgeschichte. Wir müssen nun die Weichen stellen, dass sie auch zukünftig ihre hohe Attraktivität für die Anwaltschaft und das rechtsuchende Publikum behält. Änderungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt, gesellschaftliche Veränderungen, die Bedürfnisse der Rechtssuchenden und die Entwicklung des Berufs der Anwältin und des Anwalts verlangen nach einer Prüfung und Diskussion über die Fachanwaltschaft und deren Modernisierung.

Tatsache ist, dass die Fachanwaltschaften weiterhin eine hohe Bedeutung haben und Beachtung erfahren. Fachanwältinnen und Fachanwälte erzielen höhere Gebühren, das rechtssuchende Publikum sucht gezielt nach Fachanwaltschaften, was sich durch die Suchmaschinen im Internet noch verstärkt hat. Die Fachanwaltschaft ist die Spezialisierung bzw. Qualifikation, die im Markt am meisten bekannt ist.

Das System der Fachanwaltschaft funktioniert allerdings nur, wenn zwei wesentliche Faktoren beachtet werden:

  • Der eine Faktor ist die Qualitätssicherung. Die Rechtssuchenden müssen sich darauf verlassen können, dass hinter dem Titel der Fachanwaltschaft eine besondere fachliche Qualität steht, die sich aus theoretischen Kenntnissen und praktischen Erfahrungen zusammensetzt. 
  • Der andere Faktor ist die Nachwuchssicherung. Die Fachanwaltschaft darf kein „closed shop“ sein, sondern muss auch den jüngeren Kolleginnen und Kollegen offen stehen. Das ist kein Widerspruch, sondern zeigt uns, dass wir verstärkt auf gewisse Mechanismen setzen müssen, um zu gewährleisten, dass die Anforderungen an den Erwerb eines Fachanwaltstitels erfüllbar bleiben.

Diese beinhalten nach der Fachanwaltsordnung (FAO) vor allem 

  • eine dreijährige anwaltliche Zulassung und Tätigkeit innerhalb der letzten sechs Jahre vor Antragstellung, 
  • den Nachweis hinreichender theoretischer Kenntnisse, in der Regel durch einen Fachanwaltslehrgang von 120 Stunden und mindestens drei Aufsichtsarbeiten 
  • sowie den Nachweis praktischer Erfahrungen durch die persönliche und weisungsfreie Bearbeitung von Fällen, die durch Falllisten und ggf. Stichproben dargelegt werden.

Es besteht die Möglichkeit, die Falllisten und die festgelegten Quoren einer Fachanwaltschaft auf den Prüfstand zu stellen, wenn zu wenige Kolleginnen und Kollegen die erforderlichen Fälle erbringen können. Eine andere Alternative können Kompensationsmechanismen für fehlende Fälle sein. Bisher fokussiert sich die Diskussion auf das Fachgespräch, aber auch andere Kompensationen wären zu prüfen. 

Eine vollkommen andere Möglichkeit wäre ein Mentoringsystem zum Erwerb einer Fachanwaltschaft.

Eine vollkommen andere Möglichkeit wäre ein Mentoringsystem zum Erwerb einer Fachanwaltschaft. Hierbei könnten Kolleginnen und Kollegen, die aus Kapazitätsgründen in ihren Rechtsgebieten Mandate nicht annehmen können oder wollen, jüngere Kolleginnen und Kollegen empfehlen, die in eben diesen Rechtsgebieten die Fachanwaltschaft erwerben wollen.

Durch ein Vorgespräch und eine (zumindest anfängliche) Begleitung der Mentees, die keineswegs zeitaufwendig sein muss, kann auch eine zusätzliche Unterstützung erfolgen. Denn es versteht sich von selbst, dass man den Mandantinnen und Mandanten Empfehlungen geben will, von denen man selbst überzeugt ist. Probieren Sie es aus! Der Nachwuchs ist dann in der Lage, die notwendigen praktischen Erfahrungen zu sammeln und die Fallquoren zu erfüllen. Nicht zu verkennen ist, dass ein Mentoring bei einigen der Fachanwaltschaften schwieriger ist als zum Beispiel im Familienrecht oder im Miet- und WEG-Recht.

Eine wichtige Klarstellung hat der BGH am 19.04.2022 – AnwZ (Brfg) 1/22 – vorgenommen. Demnach ist es bei den Falllisten für die persönliche Bearbeitung nicht erforderlich, dass ein verantwortliches Auftreten nach außen in jedem einzelnen der bearbeiteten Fälle vorliegen muss. Maßgeblich ist vielmehr die interne Verantwortung der Anwältin oder des Anwalts für die Fallbearbeitung. Der Nachweis der eigenständigen persönlichen Bearbeitung der Fälle kann durch anwaltliche Versicherung erbracht werden. Dies stellt eine erhebliche Erleichterung bei der Fallsammlung für die Fachanwaltschaft besonders für jüngere Kolleginnen und Kollegen dar, die Fälle eigenverantwortlich bearbeiten, aber nicht die Kommunikation nach außen führen (dürfen), die ihren Vorgesetzten vorbehalten ist.

Demnach ist es bei den Falllisten für die persönliche Bearbeitung nicht erforderlich, dass ein verantwortliches Auftreten nach außen in jedem einzelnen der bearbeiteten Fälle vorliegen muss.

Die Veränderungen im Rechtsdienstleistungsmarkt und im anwaltlichen Beruf verlangen jedoch nach einer neuen Debatte.

In der Vergangenheit wurde wiederholt darüber diskutiert, ob es eine Qualifikationsbezeichnung unterhalb oder neben der Fachanwaltschaft geben soll. Dies wurde mit gewichtigen Gründen abgelehnt. Die Veränderungen im Rechtsdienstleistungsmarkt und im anwaltlichen Beruf verlangen jedoch nach einer neuen Debatte. Der Ausschuss 1 der Satzungsversammlung (Fachanwaltschaften) hat in diesem Jahr deshalb einen Unterausschuss ins Leben gerufen, der sich intensiv zur Vorbereitung der Debatte auf breiter Ebene mit dem Thema der Spezialisierung unterhalb bzw. neben der Fachanwaltschaft befassen wird. Die Frage nach Qualifikationsbezeichnungen neben einer Fachanwaltschaft stellt sich vor allem bei den Fachanwaltschaften, die einen weiten Rechtsbereich abdecken, z. B. im Verwaltungsrecht, Familienrecht oder Arbeitsrecht.

Eine andere Überlegung wird sein, ob eine solche Qualifikationsbezeichnung in den Bereichen ermöglicht werden sollte, für die keine Fachanwaltschaft besteht. Ferner wäre zu erörtern, wie eine Qualitätssicherung im Falle einer solchen „Spezialisierung“ aussehen könnte und welche Überprüfungen, Fortbildungen und Nachweise zu erbringen wären. Bei allen diesen Überlegungen sollte allerdings vermieden werden, dass eine anderweitige Qualitätsbezeichnung zu einer Irreführung oder zu einer Zersplitterung führt, die dem anerkannten und transparenten Erfolgsmodell der Fachanwaltschaften zuwiderläuft. Fachanwältinnen oder Fachanwälte sind nicht „nur“ in einem Nischenbereich der Fachanwaltschaft spezialisiert, denn sie verfügen über weit darüber hinausgehende theoretische Rechtskenntnisse und praktische Erfahrungen in den für ihre Fachanwaltschaft vorgesehenen Bereichen.

Im Rahmen der Qualitätssicherung stellt sich die Frage, ob die Aufrechterhaltung der Qualität allein durch die jährliche 15-stündige Fortbildung gemäß     § 15 FAO gewährleistet ist oder ob auch eine fortgesetzte praktische Tätigkeit Voraussetzung für die Beibehaltung einer Fachanwaltschaft sein sollte. Diese Forderung ist kritisch zu sehen. Wer eine Fachanwaltschaft führt und die Fortbildungspflicht erfüllt, muss im Rahmen seiner freien Berufsausübung berechtigt sein, die zu bearbeitenden Mandate nach eigenen Maßstäben, sei es der Wirtschaftlichkeit oder des eigenen rechtlichen Interesses auszuwählen, ohne erneut verpflichtet zu sein, Fallnachweise zu erbringen. Es ist kaum vorstellbar, dass angesichts der Vielzahl von inzwischen verliehenen Fachanwaltschaften die Kammern zu solch einer Prüfung in der Lage wären.

Im Rahmen der Qualitätssicherung stellt sich die Frage, ob die Aufrechterhaltung der Qualität allein durch die jährliche 15-stündige Fortbildung gemäß      § 15 FAO gewährleistet ist.

Seit 2007 wurden „nur“ fünf neue Fachanwaltschaften eingeführt.

Auch in Zukunft wird es Anträge geben, weitere Fachanwaltschaften einzuführen. Diese werden durch den Ausschuss 1 der Satzungsversammlung anhand eines dort entwickelten Kritierienkatalogs geprüft. Im Rahmen einer Modernisierung könnte überlegt werden, die Kriterien einer erneuten Prüfung zu unterziehen oder sie im Rahmen der Satzungsversammlung verbindlich festzulegen.  Davon wird auch abhängen, in welchem Umfang die Anzahl neuer Fachanwaltschaften zunehmen wird. Seit 2007 wurden „nur“ fünf neue Fachanwaltschaften eingeführt, die letzte im Jahr 2019 (Sportrecht).

Coronabedingt fanden allerdings deutlich weniger Sitzungen der Satzungsversammlung und des Ausschusses statt. In den letzten Jahren ging es bei den Anträgen zum einen um Teilbereiche einer bestehenden Fachanwaltschaft, z. B. Jagdrecht, zum anderen um Fachanwaltschaften zu weitgefassten Rechtsbereichen, z. B. Verbraucherrecht oder Allgemeinrecht (in Anlehnung an den Facharzt für Allgemeinmedizin), oder um Fachanwaltschaften, die auf einen Lebenssachverhalt abstellen und mehrere Fachanwaltschaften – aus meiner Sicht untergeordnet – tangieren, z. B. Opferrecht. Der Ausschuss trägt u. a. der Nachfrage und den Bedürfnissen des rechtssuchenden Publikums dadurch Rechnung, dass nicht nur auf Rechtsgebiete, sondern auch auf Lebenssachverhalte und Zielgruppen abgestellt wird, so dass sich das Anliegen auf eine Fachanwältin oder einen Fachanwalt konzentrieren kann.

Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass sich die Anzahl von Anträgen zum Erwerb bestehender Fachanwaltschaften in den letzten Jahren zunehmend verringert. Die Kolleginnen und Kollegen treffen immer häufiger auf das Problem, dass es an Angeboten von Fachanwaltslehrgängen fehlt. Während dies bei größeren Fachanwaltschaften nur den Wegfall regionaler Angebote betreffen mag, leiden kleine Fachanwaltschaften darunter, dass auch bundesweit nur in geringem Umfang und zeitlich vereinzelt Lehrgänge angeboten werden. Das setzt sich bei dem späteren Angebot von Fortbildungen gemäß § 15 FAO (kalenderjährlich 15 h) fort, kann dort aber durch die flexiblen Fortbildungsmöglichkeiten und durch Eigeninitiative, z. B. durch eigenständige Einrichtung von Fortbildungsgruppen mit Gleichgesinnten, aufgefangen werden.

Die Kolleginnen und Kollegen treffen immer häufiger auf das Problem, dass es an Angeboten von Fachanwaltslehrgängen fehlt.

Der Nachweis des Erwerbs der besonderen theoretischen Kenntnisse ist jedoch nicht möglich, wenn entsprechende Fachanwaltslehrgänge nicht angeboten oder mangels hinreichender Anzahl von Teilnehmenden abgesagt werden. Auch hier ist der Gefahr entgegenzuwirken, dass die fehlenden Möglichkeiten, eine Fachanwaltschaft zu erwerben, nicht zu einem closed shop führen dürfen. Lösungsmöglichkeiten bestehen in Online-Lehrgängen und einer möglichen Selbstverpflichtung der Lehrgangsanbieter, auch in Nischenfachanwaltschaften regelmäßig Lehrgänge anzubieten. Hier könnten Lehrgangsanbieter zusammenwirken. In der Vergangenheit wurde diskutiert, ob Lehrgangsanbieter zertifiziert werden sollten. Sofern diese Überlegung wieder aufgenommen werden sollte, könnte ein breites Angebot ein zusätzlicher Zertifizierungsaspekt sein.

Die geringe Anzahl von Anträgen zur Fachanwaltschaft führt dazu, dass die in den Kammern für die derzeitigen 24 Fachanwaltschaften gebildeten Fachanwaltsausschüsse bzw. Vorprüfungsausschüsse immer weniger Anträge bearbeiten. Gemäß § 17 Abs. 1, 3 FAO bildet der Vorstand der Rechtsanwaltskammer für jedes Fachgebiet mindestens einen Ausschuss mit einer Mindestzahl von drei Mitgliedern sowie stellvertretenden Mitgliedern. Einige Kammern verringern bei neuen Ausschussbesetzungen die Anzahl der Mitglieder auf das vorgesehene Minimum. § 17 Abs. 2 FAO gibt zudem die Möglichkeit, dass mehrere Rechtsanwaltskammern gemeinsame Ausschüsse bilden und sieht eine Soll-Regelung vor, wonach jede Rechtsanwaltskammer in jedem Ausschuss mit mindestens einem Mitglied vertreten sein soll. Bei den Fachanwaltschaften, bei denen nur in geringem Umfang Anträge eingehen, empfiehlt es sich zur Einsparung von Ressourcen, dass einzelne Kammern von dieser Regelung Gebrauch machen und zunehmend mehr gemeinsame Ausschüsse als bisher bilden.

Zur Zukunft der Fachanwaltschaft gehört auch eine sprachliche Modernisierung der Fachanwaltsordnung und die Vermeidung sprachlicher Diskriminierung.

Zur Zukunft der Fachanwaltschaft gehört auch eine sprachliche Modernisierung der Fachanwaltsordnung und die Vermeidung sprachlicher Diskriminierung. So wurde der Antrag, die FAO und die BORA gendergerecht zu überarbeiten, am 29.04.2022 in der Satzungsversammlung mit ganz überwiegender Mehrheit (4 Gegenstimmen) angenommen und bei nur einer Gegenstimme ein entsprechender Unterausschuss im neuen Ausschuss 8 eingerichtet. Dieser wird zeitnah seine Ergebnisse vorlegen. Damit kann endlich der unhaltbare Zustand beseitigt werden, dass Kolleginnen mit dem Beruf der „Rechtsanwältin“ zugelassen sind, sich diese Bezeichnung aber nicht in den entsprechenden Rechtsgrundlagen der Berufsausübung wiederfindet.

Es gibt noch viele weitere Themen im Zusammenhang mit der Zukunft der Fachanwaltschaft. Wichtig ist ein breiter Diskurs, der wie in der Vergangenheit auch außerhalb der Satzungsversammlung durch den DAV, die BRAK und die regionalen Anwaltsvereine und Kammern in Veranstaltungen und miteinander zu führen ist. Lassen Sie uns dort, wo es nötig ist, die Fachanwaltschaft modernisieren und ihre Erfolgsgeschichte fortführen!

Silvia C. Groppler ist Rechtsanwältin und Notarin, Fachanwältin für Familienrecht, Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Seit 2019 ist sie stellvertretende Vorsitzende und seit September 2022 Vorsitzende des Ausschuss 1/Fachanwaltschaften der 7. Satzungsversammlung bei der BRAK. Sie ist zudem Mitglied des Unterausschusses 8 B Überarbeiter der FAO zur Vermeidung sprachlicher Diskriminierung. Der Satzungsversammlung gehört sie bereits seit 2007 an. Seit 2019 ist sie außerdem Mitglied des Vorstands des Deutschen Anwaltvereins.

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