Auf ein Wort, Frau Prof. Dr. med. Alena Buyx!

Prof. Dr. med. Alena Buyx ist voll approbierte Ärztin mit weiteren Abschlüssen in Philosophie und Soziologie, Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München (TUM) und Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien. Seit 2016 ist sie Mitglied des Deutschen Ethikrats (DER) und seit 2020 dessen Vorsitzende. Auf Twitter ist sie unter @alena_buyx zu finden. Die Rechtsanwaltskammer München freut sich, sie am 07.10.2022 als Referentin auf der „Kammer-Biennale“ – einem Netzwerktreffen von Vertretern aus Anwaltschaft, Justiz, Politik und befreundeten Kammern – begrüßen zu dürfen.

Sehr geehrte Frau Prof. Buyx, der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hat unser aller Leben – teils drastisch – verändert. Sie wurden quasi mit Start der Pandemie zur Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates gewählt. Welche Herausforderungen hatten Sie in dieser Funktion zu bewältigen?

Es ist ein tolles Amt und ich habe mich sehr über meine Wahl gefreut. Man arbeitet mit vielen wunderbaren Kolleginnnen und Kollegen zusammen, an sehr spannenden Themen. Aber auch wir waren natürlich in der Pandemie. Uns war rasch klar, dass wir in der größten Gesundheitskrise seit dem 2. Weltkrieg als Ethikrat, der sich qua gesetzlichem Auftrag insbesondere mit Fragen der Medizin und Lebenswissenschaften beschäftigen soll, etwas beitragen müssen – und wir hatten ja auch einiges zu sagen. Aber höchst kontroverse ethische Fragen zu diskutieren mit 24 Mann über Zoom, virtuell gemeinsam Texte zu schreiben in tagelangen Videokonferenzen, auf ständig neue Anfragen zu reagieren – das war schon teils sehr herausfordernd. Neben den üblichen inhaltlichen Impulsen als Mitglied ist meine Rolle als Vorsitzende, das Ganze zusammenzuhalten, zu moderieren, und die Ergebnisse nach außen zu repräsentieren. Dabei bin ich natürlich nicht alleine, aber ich will offen zugeben, dass die Taktzahl der Fragestellungen – die war so nie dagewesen – und auch die Intensität der öffentlichen Aufmerksamkeit ab und zu nicht ohne waren. Insbesondere, weil wir alle, mich eingeschlossen, ja im Ehrenamt arbeiten und noch einen Vollzeitjob hatten und haben.

Neben Ihrem Engagement im DER waren und sind Sie Mitglied in zahlreichen nationalen, internationalen und universitären Gremien und Expertenräten, z. B. Mitglied des Corona-Expertenrats zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie in Deutschland oder Mitglied des Bayerischen KI-Rats. Warum engagieren Sie sich in diesen Gremien, was ist Ihre Motivation?

Es hat mich schon immer fasziniert, wie wissenschaftliche Erkenntnis ihren Weg in die Umsetzung finden – nicht nur in der praxis-orientierten Medizin, sondern auch in der ja vielfach theoretisch orientierten Philosophie. Und Umsetzung, das bedeutet in meinem Fach entweder Umsetzung am Patienten – also klinische Ethik, etwa in der Beratung schwieriger Fälle am Lebensende – oder eben die Veränderung oder sogar neue Formulierung rechtlicher bzw. gesellschaftlicher Regeln im Kontext biomedizin- oder forschungsethischer Fragen. Für diese bietet die medizinethische Analyse und Debatte Vorarbeiten, Impulse und Anstöße; aber wenn das Ganze in die Umsetzung kommen soll, braucht es die interdisziplinäre Analyse, die dann in Politikberatung mündet, und die findet eben oft in solchen Gremien statt. In meiner Ausbildungszeit war da de lege ferenda unheimlich was los, da konnte man viel beobachten – Stammzellforschung, PID, Transplantation, und so weiter und so fort. Und das hört nicht auf, gegenwärtig spannend und drängend sind Fragen, ob, was und wie mit Blick auf datenreiche Medizin, maschinelles Lernen und KI im Gesundheitsbereich anders, besser oder neu reguliert werden sollte. Mir macht es Spaß, in der Diskussion mit vielen anderen, fachlichen Perspektiven daran mitzuarbeiten, zu diesen komplizierten Fragestellungen etwas für die gesellschaftliche Gestaltung beizutragen.

Während der Pandemie wurde immer wieder der Einfluss der Wissenschaft auf politische Entscheidungsfindung diskutiert. Dadurch sind der Deutsche Ethikrat und andere Institutionen mehr und mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Wie bewerten Sie die Beratung und Einflussnahme durch die Wissenschaft auf politische Entscheidungen? Welche Veränderungen hat die Pandemie diesbezüglich mit sich gebracht? Wünschen Sie sich ein offeneres Ohr von Seiten der Politik gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Das ist ein wichtiges und komplexes Thema, und ich antworte jetzt hier arg verkürzt. Ich glaube, es ist deutlich geworden, was diejenigen von uns, die schon länger in der wissenschaftlichen Politikberatung waren, immer betont haben: Politik und Wissenschaft sind unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Logiken. Das muss man anerkennen. Ich habe es teils als problematisch empfunden, wie wissenschaftliche Gremien oder auch einzelne Wissenschaftler politisiert wurden und ich freue mich, dass im Zuge der erhöhten Aufmerksamkeit für wissenschaftliche Politikberatung jetzt eine stärkere öffentliche Debatte dazu stattfindet, wie man das Verhältnis noch weiter verbessern kann. Das im Auge des Orkans zu machen, ist schwierig, aber man kann lernen und dazu wird auch international gerade intensiv debattiert. Ich glaube, wir können in Deutschland durchaus noch professionalisieren, was auch der Qualität und Unabhängigkeit zugutekommen würde. Insgesamt ist in meiner Wahrnehmung viel an Beratung von der Politik gehört worden – aber es gehört zur unterschiedlichen Logik der Systeme, dass Politik Beratung oder Empfehlung annehmen kann, aber nicht muss. Das muss man aushalten. Dafür liegt ja auch die Verantwortung für die letztliche Entscheidung bei der Politik, und nicht bei den beratenden Wissenschaftlern.

Wenden wir uns Themen jenseits der Pandemie zu, mit denen Sie sich auch beschäftigen: Schwerpunktthema dieses Mitteilungsblattes sind Fachanwaltschaften, die Spezialisierung eines Anwaltes oder einer Anwältin auf ein oder mehrere bestimmte/s Fachgebiet/e. Wie haben Sie zu Ihren Forschungsgebieten gefunden?

Im Gymnasium gab es, erstmals in NRW seit 25 Jahren, einen Leistungskurs Philosophie. Da habe ich Feuer gefangen. Und als ich zu Beginn meines Medizinstudiums einen Dozenten traf, der einen Magister Philosophie mit der Medizin kombinierte, marschierte ich zum Prüfungsamt und schrieb mich ein. Dann habe ich das parallel studiert und immer stärker gemerkt, dass mich die Schnittstelle zwischen Medizin und Philosophie fasziniert. Dass daraus ein Beruf wird, war damals völlig unklar, promoviert habe ich noch in der Medizin. Dann kam eine bekannte Medizinethikerin an meine Uni und bot mir eine Habilstelle in der Medizinethik an. Und dann ging es so langsam in die Richtung Wissenschaft, mit vielen Zufällen. Die ersten Forschungsthemen kamen zunächst meist noch aus der Klinik – Verteilung knapper Ressourcen, gesundheitliche Eigenverantwortung, Organspende – alles Dinge, mit denen ich auf Station direkt zu tun hatte.

Sie verfolgen im Bereich der biomedizinischen Ethik einen interdisziplinären Ansatz und arbeiten mit Ärzten, Juristen, Sozialwissenschaftlern, Philosophen, Gesundheitsökonomen und Theologen zusammen. Auch der Bereich „Künstliche Intelligenz“ und Robotics gehört zu Ihrem Forschungsfeld. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Personen aus dem juristischen Bereich aus? 

Ich habe immer sehr gern mit juristischen Kolleginnen und Kollegen gearbeitet, etwa im Rahmen von interdisziplinären Forschungskonsortien. Konkretes Beispiel von der TUM: Gegenwärtig kollaboriere ich mit einem juristischen Kollegen zu den daten(schutz)rechtlichen und -ethischen Grundlagen von KI und datenreicher Medizin. Wir halten Vorträge, bei denen wir eine Fragestellung aus ethischer und juristischer Perspektive beleuchten oder schreiben gemeinsame Publikationen. Kürzlich hatten wir eine Interviewstudie zur Erlaubnisklausel der DSGVO für medizinische Forschung und der Kollege hat im Artikel die Interpretation und Diskussion der Interview-Daten aus juristischer Perspektive übernommen und wir haben dann einen gemeinsamen Lösungsvorschlag entwickelt. Das macht Spaß und ist hoffentlich auch konkret hilfreich.

Welche juristischen Fragen müssten aus Ihrer Sicht in diesen Themengebieten am dringendsten geklärt werden?

Wie man das Dickicht der verschiedenen datenschutzrechtlichen Regelungen ausdünnen bzw. harmonisieren kann und insbesondere, wie man die teils sehr ängstliche und sehr restriktive Auslegungspraxis in diesem Bereich der Datennutzung verbessern kann. Denn sonst müssen wir uns von vielen Chancen und Fortschritten für die Behandlung von Patienten und die medizinische Wissenschaft verabschieden. Ich hoffe da auf die Juristinnen und Juristen – ethisch ist der Fall nämlich inzwischen ziemlich klar.

Neben allem beruflichen und ehrenamtlichen Engagement – wie verschaffen Sie sich privat Entspannung, und wie verbringen Sie Ihre Freizeit?

Familie, da schaltet man sofort ab. Und Sport – ohne den geht’s nicht. Zeit für Hobbys habe ich keine, aber mein Mann und ich versuchen, noch ein kulturelles und soziales Leben zu haben, das klappt mal schlechter, mal besser.

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