Sehr viele Kolleginnen und Kollegen, insbesondere in den Kammern und in der Satzungsversammlung, meinen „ja“. Ich meine „nein“.
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Fachanwaltschaften ein „Erfolgsmodell“ sind. Das beruht zum einen auf der hohen Akzeptanz in der Anwaltschaft. Zum anderen haben mehrere Untersuchungen, sowohl des Soldan-Institutes der Anwaltschaft, als auch des Institutes für Freie Berufe (IFB) in Nürnberg, statistisch belegt, dass der Erwerb einer Fachanwaltschaft zu signifikant höheren Umsätzen führt. Das wiederum liegt daran, dass „der Fachanwalt“ ein ebenso etabliertes wie das einzige durch die Kammer qualitätsgeprüfte Werbemittel ist. Es hebt sich damit deutlich von der Vielzahl der selbst gewählten und häufig weniger vertrauensbildenden Werbeaussagen und auf Anwaltshomepages zu findenden Anpreisungen ab. Dadurch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Publikum herumgesprochen, dass Fachanwälte in ihrem Gebiet sehr oft mehr Erfahrungen haben als andere Rechtsanwälte. Die höheren Umsätze dürften aber auch darauf zurückzuführen sein, dass mit intensiverer Tätigkeit in einem bestimmten Rechtsgebiet die Mandatsbearbeitung leichter von der Hand geht und damit die Produktivität und Qualität der Mandatsbetreuung typischerweise steigt. Und wenn das so ist, spricht sich auch das herum und führt zu noch mehr Umsatz usw. Man kann diesen bisweilen als „Staubsaugereffekt“ bezeichneten Trend zur Spezialisierung mehr oder weniger gut finden. Im Interesse der Qualitätssteigerung ist er zu begrüßen. Insbesondere außerhalb der Ballungsräume kann er sich jedoch für Allgemeinkanzleien als problematisch darstellen, ohne dass sich derzeit hier ein „Königsausweg“ anbietet.
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Fachanwaltschaften ein "Erfolgsmodell" sind.
... für Rechtsuchende ist es schwer, sich im Dschungel zurecht zu finden.
Und genau hier liegt das Problem: Weder aus der Sicht der in einem nicht fachanwaltsfähigen Gebiet tätigen Kolleginnen und Kollegen, noch aus der Sicht der potentiellen Mandanten ist es einzusehen, dass es für die meisten Rechtsgebiete (noch?) keine Fachanwaltsbezeichnung gibt und den dort tätigen Kolleginnen und Kollegen die damit verbundenen Chancen versagt bleiben. Das gilt insbesondere für „Nischengebiete“. In diesen ist es für Rechtsuchende oftmals sehr schwer, sich im Dschungel der selbstgestrickten und vielfach bezahlten Google-Werbung zurecht zu finden und unseriös aufgemachte von sachbezogener Qualitätswerbung zu unterscheiden. Für Rechtsanwälte kann es entsprechend ebenso schwer sein, sachbezogen und mit geprüfter Qualität auf sich aufmerksam zu machen.
Dabei sollte es doch eigentlich für die Satzungsversammlung als sogenanntes „Anwaltsparlament“ naheliegen, unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten möglichst vielen Kollegen möglichst gleiche Chancen zu eröffnen. Und es sollte auch naheliegen, der Berufsausübungsfreiheit und Selbstverantwortung des einzelnen Rechtsanwaltes den gebotenen Respekt zu zollen. Das bedeutet: Wenn es seitens des Recht suchenden Publikums eine Nachfrage nach Spezialisierung gibt, sollte es auch ein Angebot, d.h. eine Fachanwaltschaft geben.
Für die Einführung neuer Fachanwaltsbezeichnungen sind die in jedem Kammerbezirk unmittelbar von den Kolleginnen und Kollegen gewählten Mitglieder der Satzungsversammlung zuständig. Das Plenum hat zur Vorbereitung seiner Entscheidungen einen Ausschuss „Fachanwaltschaften“ gebildet, der auch über die Einführung neuer Fachanwaltsgebiete berät. Meistens folgt das Plenum dem Ausschussvotum (ein Ausreißer war die Fachanwaltschaft für Opferrechte).
Die meisten Fachanwaltsbezeichnungen gehen auf Initiativen aus der Anwaltschaft zurück. Häufig, so zuletzt beim "Fachanwalt für Sportrecht", war eine Arbeitsgemeinschaft des DAV beteiligt.
Die Politik ist zwar nicht untätig gewesen, ihre Anregungen blieben aber - aus meiner Sicht – leider erfolglos. Sowohl bei der Diskussion um den „Fachanwalt für Opferrechte“, als auch beim „Fachanwalt für Verbraucherrecht“ gab es Schreiben aus Landesjustizministerien, die die Einführung dieser Fachanwaltschaften im Hinblick auf die Interessenlage der potentiellen Mandanten und die in den Ministerien wahrgenommene Nachfrage befürworteten. Um die Einführung des „Fachanwalt für Opferrechte“ wurde in dem Ausschuss lange gerungen, bis sich schließlich eine Mehrheit für ihn aussprach. Auch im Plenum gab es eine Mehrheit. Die erforderliche qualifizierte Mehrheit für eine Satzungsänderung wurde aber um zwei Stimmen verfehlt. Die „Fachanwaltschaft für Verbraucherrecht“ ist schon im Ausschuss gescheitert.
Die Politik ist nicht untätig gewesen... - leider erfolglos.
Welche Gründe gab es für die Ablehnung? Nach Auffassung vieler Mitglieder des Ausschusses und des Plenums sprachen „systematische Gründe“ gegen die beiden weiteren Fachanwaltsgebiete. Es würde zu weit führen, diese Gründe hier im Einzelnen darzustellen. Im Kern war es der Einwand, dass beide Gebiete nicht genügend klar konturiert und abgrenzbar seien. Das mag sein. Die Nachfrage der Mandanten richtet sich aber nicht nach solchen eher juristischen Überlegungen, sondern nach den Lebenssachverhalten. In keinem der beiden Gebiete gab es die Besorgnis fehlender Nachfrage von Mandanten oder fehlende Anregungen von Rechtsanwälten. Für das Verbraucherrecht ist es besonders schwer verständlich, warum sich hier nichts bewegt. Im Internet gibt es mehr und mehr Rechtsberatungsportale von nichtanwaltlichen Interessenvertretern, von den Verbraucherzentralen ganz zu schweigen. Dass die Satzungsversammlung auf diesem Feld denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die in diesem schwierigen Markt aktiv sein wollen, kein werbewirksames Label zur Verfügung stellt, verstehe ich nicht.
Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ob es „den Fachanwalt“ noch für weitere Gebiete geben wird, dürfte maßgeblich davon abhängen, wie nachdrücklich dieser Wunsch aus den Kreisen der Kolleginnen und Kollegen vorgetragen wird. Neben den von Ihnen gewählten Vertretern sind auch die Kammerpräsidenten Mitglieder des „Anwaltsparlamentes“ und können dort Anregungen einbringen. Zahlreiche Mitglieder sind auch im DAV bzw. den örtlichen Anwaltsvereinen. Nutzen Sie die Organisationen der Anwaltschaft als Ihre Interessenvertreter.
Welchen Adressaten Sie dabei für den Wunsch nach einer weiteren Fachanwaltsbezeichnung wählen, ist eine zweitrangige Frage.
Ob noch etwas nachkommt, hängt also auch von Ihrer Initiative ab. Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg.
Rechtsanwalt Hartmut Scharmer
Rechtsanwalt Hartmut Scharmer ist seit 1977 in Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen.
Von 1993 bis 2016 war Hartmut Scharmer schwerpunktmäßig als Hauptgeschäftsführer der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer in Hamburg tätig. Rechtsanwalt Scharmer ist gewähltes Mitglied der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer. Er ist Autor und Mitherausgeber eines umfangreichen Standardkommentars zum anwaltlichen Berufsrecht.
Seit 1988 ist Hartmut Scharmer Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er hat in dieser Zeit vor allem Mandate aus den Kernbereichen des Arbeitsrechts, einschließlich des Betriebsverfassungsrechts und des dazu gehörenden Sozialversicherungsrechts bearbeitet. Rechtsanwalt Scharmer ist auch im Bereich der Fortbildung für Fachanwälte für Arbeitsrecht für die „Hamburger Fachanwaltsseminare Arbeitsrecht (HFA)“ aktiv.
Ausbildung und beruflicher Werdegang:
Studium an den Universitäten Frankfurt/Main und Hamburg 1968 bis 1974
Referendariat in Hamburg 1975 bis 1977
Zulassung als Rechtsanwalt 1977
Hanseatische Rechtsanwaltskammer: 1989 bis 1993 Vorstandsmitglied, 1993 bis 2016 Mitglied der Geschäftsführung, zuletzt als Hauptgeschäftsführer.
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