Im Rahmen unserer Rubrik "Auf ein Wort" wollen wir neben Vertretern der Gerichtsbarkeit auch immer wieder die verschiedenen Berufsbilder aus der Anwaltschaft vorstellen. Frau Rechtsanwältin Sonja Hein-Schnieder wurde 2007 zur Anwaltschaft zugelassen und ist seit 2014 Fachanwältin für Sozialrecht. Frau Kollegin Hein-Schnieder, warum haben Sie sich gerade für diese Fachanwaltschaft entschieden?
Bereits in meinem Studium hatte ich mich auf dieses Fachgebiet spezialisiert. An der LMU hatte ich das Glück, Sozialrecht als Wahlfach belegen zu können, um die Grundlagen zu vertiefen. Später war ich als studentische Hilfskraft schwerpunktmäßig im SGB VI und SGB VII tätig. Die Entstehung des SGB IX konnte ich von Beginn an mit Spannung verfolgen.
Heute reizt mich die Abwechslung innerhalb dieses Fachbereichs besonders. Die Struktur des Sozialrechts, ausgehend vom Allgemeinen, Spezialisierung der einzelnen Bücher und Verästelung in einzelne Abschnitte, ist ein Schmaus für jeden Juristen. Vermutlich gibt es in kaum einem anderen Fachgebiet so viel Dynamik wie im Sozialrecht - und das ist ja nur das Werkzeug, dessen wir uns bedienen.
Die Fälle in der anwaltlichen Praxis sind kunterbunt, mal wunderschön, bitter ernst oder auch mal zum Haare raufen.
Bei meinen „Ausflügen“ in andere Rechtsgebiete fällt mir außerdem immer wieder auf, wie harmonisch die Zusammenarbeit mit Kollegen, Verwaltung und Gerichten ist.
Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in Zukunft in Ihrem Fachbereich? Gibt es hier Besonderheiten?
Es ist kein Geheimnis, dass wir erheblichen Mangel an Nachwuchs haben. Sozialrechtler fehlen an Gerichten, in der Verwaltung, in den Universitäten und natürlich auch bei den Rechtsanwälten. Zur „Arterhaltung“ war es mir immer wieder ein Anliegen, bei den Referendarinnen und Referendaren im Berufsfeld Anwaltschaft für den Fachbereich Sozialrecht zu werben. Bedauerlicherweise wurde diese Veranstaltung kürzlich neu organisiert, um den Stoff prüfungsrelevanter zu gestalten. Ich sehe dies äußerst kritisch als Schritt in die falsche Richtung.
Manche sprechen von einer Zeitbombe, wenn es um die sozialrechtliche Zukunft geht. Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landessozialgerichte hat letztes Jahr an die Konferenz der Justizministerinnen und -minister appelliert, den Pflichtstoff für die erste und zweite Staatsprüfung zu ergänzen und Sozialrecht wieder in die juristische Ausbildung aufzunehmen.
Dies ist eine Möglichkeit, Anwälte für das Sozialrecht zu gewinnen. Die Honorierung unserer Leistung ist ein weiterer Punkt, wo ich mir Optimierung wünsche. Das RVG sieht im Sozialrecht Rahmengebühren vor, die aufgrund der Komplexität von Sach- und Rechtslage oftmals nicht den Aufwand entschädigen, der für die Bearbeitung der Mandate erforderlich ist. Bei aller Euphorie für das Sozialrecht tritt spätestens dann Ernüchterung ein, wenn man sogar bei Mandaten mit erheblichem Aufwand um die Mittelgebühr kämpfen muss.
Aufgrund der Komplexität der Fälle sind Verfahren beim Sozialgericht häufig recht langwierig. Wo sehen Sie Verbesserungspotential?
Die Vergleichsbereitschaft ist aufgrund der Besonderheiten im Sozialrecht eher verhalten, so dass unsere Verfahren selten, wie z.B. im Arbeitsrecht, mit einem Gütetermin erledigt sind. Die Interessen der Solidargemeinschaft oder der Steuerzahler, die bei Vergleichsverhandlungen natürlich immer eine Rolle spielen, sind ein Grund warum es schwieriger ist, eine gütliche Einigung vor Gericht oder außergerichtlich zu finden. Immer wieder stellen wir jedoch auch fest, dass die Behördenvertreter sich aufgrund interner Vorgaben bedauerlicherweise nicht in der Lage sehen, Vergleiche zu schließen.
Das Güterichterverfahren oder die Einführung von Schiedsgutachten wären Möglichkeiten, die Verfahrensdauer zu beschleunigen. Leider wird hiervon viel zu wenig Gebrauch gemacht. Die Zukunft wird zeigen, ob sich diese Instrumente durchsetzen können.
Mehr Richterinnen und Richter – vor allem in der ersten Instanz – würden sicherlich auch für Entspannung sorgen. Erfreulicherweise hat das Sozialgericht München im letzten Jahr gut Zuwachs erhalten. Die Anerkennung der Bedeutung des Sozialrechts ist eine Baustelle, die uns in den nächsten Jahren sehr beschäftigen wird.
Wie stehen Sie zu dem Vorwurf an Fachanwälte, dass sie mit massenhaften Widersprüchen gegen behördliche Bescheide, gerade im Hartz IV-Bereich, reich werden würden?
Dass es Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit heißer Nadel stricken, kommt in allen Rechtsbereichen vor – nicht nur im Sozialrecht. Der Hartz IV-Bereich macht es diesen Kollegen evtl. leichter, damit zu Geld zu kommen, weil Entscheidungen in dem Bereich leider oftmals fehlerhaft sind. Bei der Massenverwaltung leidet die Qualität, was sicherlich auch wieder auf Mangel an Fachkräften zurückzuführen ist.
Vorwürfe würde ich den (Fach)Anwälten dennoch nicht machen, die hier ihren Schwerpunkt legen, ich würde mich vielmehr fragen, warum sich diese Kolleginnen und Kollegen nach ihrem langen und harten Studium mit solchen Tätigkeiten zufriedengeben. Vor allem weil das Sozialrecht gerade auch im Hartz-IV Bereich so viel spannende Punkte hat, die bearbeitet werden können.
Eine Laufbahn als Rechtsanwältin – war das schon immer Ihr Traum?
Nein, in die Anwaltstätigkeit bin ich erst reingewachsen. Ich hatte Angst vor der Selbständigkeit und habe nach dem Referendariat zunächst in einem Unternehmen gearbeitet. Ich hatte damals ein völlig falsches Bild von der anwaltlichen Tätigkeit. Deshalb begrüße ich es sehr, dass im Referendariat heute viel besser auf die Anwaltschaft vorbereitet wird, als es in meiner Ausbildungszeit der Fall war.
Der Sprung in die Selbständigkeit war für mich eine Entscheidung, die ich seitdem keine Minute bedauert habe. Ich habe das Gefühl, angekommen zu sein.
Kann man als Anwältin Beruf und Familie miteinander vereinbaren? Wo würden Sie sich mehr Flexibilität wünschen?
Der Wechsel zur Anwaltschaft erfolgte bei mir gerade aus familiären Gründen. In meiner bisherigen Tätigkeit konnte ich Beruf und Familie schlecht vereinbaren. Mit drei Kindern ist man als Selbständige deutlich flexibler als in einer abhängigen Beschäftigung.
Mit der richtigen technischen Ausstattung kann man leicht von zu Hause arbeiten. Wir führen in der Kanzlei auch elektronische Akten und nutzen das beA. Verbesserungspotential sehe ich in der Korrespondenz mit den Behörden, aber erfreulicherweise verwenden auch hier immer mehr das EGVP.
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