Auf ein Wort, Herr Dr. Heßler!

Herr Dr. Heßler, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ab 01.10.2021. Sie sind amtierender Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts und wechseln zum 01.10.2021 als Präsident an das Oberlandesgericht München. Was haben Sie sich als künftiger Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und für Ihr Amt als Präsident des Oberlandesgerichts München vorgenommen?

Herzlichen Dank für die Glückwünsche! Meine Wahl zum Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und die Ernennung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts München empfinde ich als hohe Ehre, aber auch als Herausforderung. Ich bin zwar schon seit zehn Jahren Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof, aber als Präsident werde ich an der Spitze dieses Verfassungsorgans stehen. Damit ist eine besondere Verantwortung für unseren Rechtsstaat verbunden. Für mich sind Demokratie und Rechtsstaat untrennbar miteinander verbunden. Die Verfassung ordnet die Staatsgewalten untereinander und organisiert die Verwirklichung des in Wahlen ausgedrückten Mehrheitswillens. Mit dem Grundrechtekatalog sichert sie die Freiheitsrechte der einzelnen Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Staatsgewalten, zeigt aber auch Grenzen und Schranken auf. Die Corona-Krise hat uns das deutlich vor Augen geführt. Die Bayerische Verfassung gibt mit der Popularklage den Bürgerinnen und Bürgern ein besonderes Kontrollinstrument an die Hand. Die Errungenschaften des Rechtsstaats gilt es zu sichern und zu bewahren. Ein Verfassungsgericht steht in besonderer Weise in der Tradition der bereits ergangenen Entscheidungen und es gestaltet mit seinen Entscheidungen die Verfassungswirklichkeit. Daran möchte ich als Präsident zusammen mit allen Verfassungsrichterinnen und -richtern mitwirken und gleichzeitig die Bedeutung des Rechtsstaats sichtbar machen, seinen Erhalt absichern und ihn in für sich neu stellenden Aufgaben fortentwickeln.

Rechtsprechung muss auch organisiert und ermöglicht werden, die Unabhängigkeit der Gerichte gesichert bleiben. Als Präsident eines Oberlandesgerichts stehe ich an der Spitze einer Justizverwaltungseinheit, in München einer besonders großen. Hier gibt es große Herausforderungen: die Digitalisierung wird ganz erheblich voranschreiten, die flächendeckende Einführung der elektronischen Akte steht an. Mit den Massenklagen sehen wir uns verstärkt mit einem neuen Phänomen der Rechtsdurchsetzung konfrontiert. In der Strafrechtspflege bereitet mir Sorge, dass der Aufwand für jedes einzelne Verfahren permanent steigt, ohne dass damit unbedingt eine substanzielle Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung oder der materiellen Gerechtigkeit verbunden wäre. Als Präsident will ich versuchen, unseren Richterinnen und Richtern und allen, die an der Rechtsprechung mitwirken, das nötige Arbeitsumfeld abzusichern, damit die Rechtsuchenden weiterhin auf eine verlässliche und zeitnahe Rechtsdurchsetzung setzen können und unsere gewohnten Sicherheitsstandards erhalten bleiben.

Der Bayerische Justizminister Georg Eisenreich lobte Sie einmal als „Ausnahme-Juristen, der sich in vielfältigen und sehr anspruchsvollen Positionen in der bayerischen Justiz in ganz besonderem Maße bewährt hat.“ Worin unterscheidet sich die neue Aufgabe von den bisherigen?

In der bayerischen Justiz durchläuft man viele Stationen. Zuletzt durfte ich das Bayerische Oberste Landesgericht wieder zum Leben erwecken. Mit meinen herausragenden Kolleginnen und Kollegen sind wir da in den letzten drei Jahren gut vorangekommen, meine ich. Das war sehr reizvoll, weil wir buchstäblich bei Null wieder angefangen haben. Davor war ich Präsident des Landgerichts München I, eines der größten Gerichte Deutschlands. Da galt es tagtäglich dafür zu sorgen, dass Rechtsprechung in angemessenem Rahmen stattfinden kann. Viel Zeit habe ich auch im Staatsministerium der Justiz als Gesetzgebungsreferent verbracht, da konnte ich mithelfen, dass Gesetze uns alle einerseits voranbringen und neue Lebenswirklichkeiten gestalten, aber auch praktikabel bleiben. Besonders gern erinnere ich mich an die bayerischen Beiträge zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung. Neu ist jetzt, dass ich in noch stärkerem Maße Repräsentant der dritten Staatsgewalt bin, für die Bürgerinnen und Bürger und die Angehörigen der Justiz in gleichem Maße. Neu ist auch die doppelte Funktion: einerseits Präsident des Verfassungsgerichtshofs, andererseits des Oberlandesgerichts München. Da werde ich das richtige Maß finden müssen, um beiden Aufgaben gerecht werden zu können.

Sie haben im Laufe Ihrer Berufsjahre eine Vielzahl an bedeutenden Aufgaben in der bayerischen Justiz wahrgenommen, sei es im Bayerischen Justizministerium, bei der Staatsanwaltschaft, zuletzt als Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Wie ist die bayerische Justiz aus Ihrer Sicht heute aufgestellt und welche Herausforderungen sehen Sie auf sie zukommen?

Einiges habe ich dazu ja bereits gesagt. Wir können nach wie vor auf herausragend qualifizierte Richterinnen und Richter setzen. Das habe ich beim Landgericht bei den Dienstanfängern persönlich feststellen können. Gerade was die Digitalisierung anbelangt, müssen wir aber alle mitnehmen, auch unsere erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, die schon länger im Dienst sind, ihre Bedürfnisse und Erfahrungen nutzen und Ernst nehmen. Vergessen wir nicht, unsere Arbeitsmittel und -methoden ändern sich grundlegend. Wir bemerken aber auch den demografischen Wandel. Zunehmend fällt es uns schwer, im Bereich der Unterstützungskräfte ausreichend Nachwuchs zu gewinnen, der auch unseren Qualitätsansprüchen genügt. Wir müssen auch aufpassen, im härter werdenden Konkurrenzkampf um Nachwuchs auf der Entscheiderebene (Richterinnen und Richter, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger) nicht den Anschluss zu verlieren. Wir sind gut aufgestellt, aber wir müssen uns sehr darum kümmern, dass es auch so bleibt.

Schwerpunktthema dieser Kammermitteilungen sind die Arbeit und die Serviceleistungen der Rechtsanwaltskammer München. Worin sehen Sie die ureigenen Aufgaben der anwaltlichen Selbstverwaltung und worin sehen Sie deren Stärken?

Ohne Anwaltschaft ist kein Rechtsstaat zu machen. Das sehen sie in allen semiautoritären oder autoritären Staaten. Als Erstes wird immer die Arbeit der Anwaltschaft behindert. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass der Bedeutung der Anwaltschaft – Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege – durch die weitreichende Selbstverwaltung Rechnung getragen wird. Besonders wichtig scheint mir hier einmal die Erledigung staatlicher Aufgaben in Selbstverwaltung, also die Zulassung zur Anwaltschaft, der Widerruf, die Aufsicht über die Berufsangehörigen, die Mitwirkung an der Anwaltsgerichtsbarkeit, die Satzungsgewalt. Aber genauso wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Justiz in praktischer Hinsicht. Denken Sie an die Umsetzung des beA – das ist aus der täglichen Arbeit gar nicht mehr wegzudenken, und so wird es mit der Digitalisierung weitergehen. Ohne enge Zusammenarbeit wird es nicht funktionieren, etwa einen wirklich digitalen Zivilprozess zu schaffen.

Ihre Aufgaben als Präsident des Oberlandesgerichts München und als Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs erfordern sehr viel persönliches Engagement und sehr viel Zeit. Wie gelingt Ihnen privat ein Ausgleich zu dem Alltag bzw. wie lautet Ihr Rezept für Entspannung?

Mein Rezept ist: Offen sein für alles. Ich versuche, vielen Interessen nachzugehen. Wenn ich sortieren müsste, würde meine geliebte Oper auf Platz 1 stehen. Aber da gibt es noch viel mehr: Theater, Konzerte, Kino, Literatur, bildende Kunst, Reisen … Sie können sich vorstellen, alles schaffe ich gar nicht, und ich fürchte, das wird nicht besser. Und auch sportlich bin ich unterwegs, versuche immer noch meinen Freitagstennistermin zu halten und freue mich wieder auf die nächste, hoffentlich stattfindende Skisaison.

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