Kann ich ein Mandat übernehmen, ohne dabei gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gem. § 43 BRAO i.V.m. §§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 BORA zu verstoßen?
Diesen Anfragen unter dem Stichwort „Interessenkollision“ liegen verschiedene Sachverhalte zugrunde, sodass eine konkrete Darstellung der Anfragen nicht möglich ist. Die Interessenkollision ist grundsätzlich an das Vorliegen zweier Voraussetzungen gebunden: Zum einen müssen zwei Mandatsverhältnisse vorliegen, deren Interessen gegenläufig sind. Zum anderen muss diesen Mandatsverhältnissen auch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegen. Weitergehende Informationen finden sich zudem auf unserer Homepage.
Mit der Thematik der Interessenkollision überschneidet sich auch das sogenannte Tätigkeitsverbot nach § 45 BRAO. Rechtsanwälte, die sich bereits außerhalb ihrer Tätigkeit als Rechtsanwalt mit einer Angelegenheit befasst haben, dürfen in derselben Angelegenheit nicht mehr anwaltlich tätig werden. Aufgrund der Reform der BRAO wird dieses nunmehr auch von einer etwaigen Interessenkollision abhängig gemacht. Das neue anwaltliche Berufsrecht wird am 01.08.2022 in Kraft treten.
Welche berufsrechtlichen Anforderungen an die Kanzleibezeichnung bzw. Briefkopfgestaltung gibt es?
Bei Kanzleigründungen oder auch beim Ausscheiden von Kollegen sind die Regelungen der §§ 6 ff. BORA sowie § 43b BRAO zu beachten. Die Rechtsanwaltskammer München bietet an, den Briefkopf-Entwurf (gerade bei Berufseinsteigern) berufsrechtlich kurz bei etwaigen Unsicherheiten zu überprüfen.
Was gibt es bei der Herausgabe von Unterlagen zu beachten?
Bei der Herausgabe von Handakten ist die BGH-Entscheidung vom 03.11.2014 (AnwSt (R) 5/14) zu beachten, wonach Mandanten sowohl zivilrechtliche als auch berufsrechtliche Herausgabeansprüche gegenüber dem Rechtsanwalt zustehen. Der zivilrechtliche Herausgabeanspruch wird auf § 675 i.V.m. §§ 666,667 BGB gestützt. Diesem Anspruch kann ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB entgegengehalten werden. Der berufsrechtliche Anspruch auf Herausgabe der Handakte ergibt sich aus § 43 BRAO i.V.m. §§ 50 BRAO, 675, 667 BGB. Zu den Handakten im Rechtssinne gehört auch der gesamte Schriftwechsel zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber und die Schriftstücke, die der Mandant bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat. Die Herausgabepflicht bezüglich derjenigen Dokumente, welche der Mandant bereits erhalten hat, ist in berufsrechtlicher Hinsicht mit der Herausgabe erloschen. Berufsrechtlich besteht daher lediglich eine Verpflichtung dahingehend, die vom Auftraggeber überlassenen Originalunterlagen sowie die noch nicht überlassenen Dokumente an diesen zurückzureichen.
Welche Fristen gibt es bei der Aufbewahrungspflicht?
Gemäß § 50 Abs. 1 BRAO sind Handakten für eine Dauer von sechs Jahren aufzubewahren, wobei diese Frist mit Ablauf des Jahres, in dem das Mandat beendet ist, zu laufen beginnt. Allerdings bleiben hierdurch andere Vorschriften, die eine längere Aufbewahrung vorschreiben (z. B. die Abgabenordnung), unberührt. Ebenso ist es zulässig, die Handakte zum Eigenschutz, z. B. zur Abwehr von Schadensersatzforderungen, jedenfalls in Teilen länger aufzubewahren. Sofern daher ein Rechtsgrund für eine längere Aufbewahrung als sechs Jahre besteht, ist eine solche Aufbewahrung berufsrechtlich zulässig.
Wie verhält es sich mit der anwaltlichen Verschwiegenheit?
Nach § 43 a Abs. 2 BRAO ist der Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Weitere Ausnahmen sind in § 2 Abs. 3 und Abs. 4 BORA geregelt. Danach liegt z. B. kein Verstoß gegen die Schweigepflicht vor, soweit ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand (z. B. § 139 Abs. 3 S. 2 i.V.m. S. 1 StGB) oder eine Einwilligung des Mandanten vorliegt.
Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich zeitlich unbegrenzt und damit auch über den Tod des Mandanten als Geheimnisherrn hinaus.
Tod des Mandanten
Die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich zeitlich unbegrenzt und damit auch über den Tod des Mandanten als Geheimnisherrn hinaus. Das Verfügungsrecht über Geheimnisse aus dem persönlichen Lebensbereich entspringt dem Persönlichkeitsrecht des Mandanten und geht nicht auf die Erben über, sondern erlischt mit dem Tod des Mandanten. Da eine grundsätzliche Pflicht zur Verschwiegenheit des Rechtsanwalts in jedem Fall jedoch häufig dem Interesse des Mandanten zuwider laufen würde, kann der Rechtsanwalt auf das Konstrukt der mutmaßlichen Einwilligung zurückgreifen. Der Rechtsanwalt muss dann in eigenem Ermessen und in eigener Verantwortung entscheiden, ob es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht, zu reden oder zu schweigen. Etwas anderes gilt, sofern das Geheimnis ausschließlich einen wirtschaftlichen Wert verkörpert. Da der Erbe mit dem Erwerb des Vermögenswerts zugleich Geheimnisträger wird, steht ihm auch die diesbezügliche Verfügungsbefugnis zu.
Rechtsanwalt als Zeuge
Ist der Rechtsanwalt bei Gericht als Zeuge geladen, um Angaben zu seinem Mandanten zu machen, steht ihm hinsichtlich aller Tatsachen, die ihm in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt anvertraut oder bekannt geworden sind, das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO zu. Aus diesem Recht, das Zeugnis zu verweigern, folgt aufgrund der Regelung der § 43a Abs. 2 BRAO, 2 BORA zugleich die Pflicht zur Zeugnisverweigerung. Dem Mandanten steht jedoch das Recht zu, den Rechtsanwalt von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden; in diesem Fall darf der Rechtsanwalt gem. § 53 Abs. 2 StPO nicht verweigern, sondern muss aussagen. Ein eigenes Ermessen steht ihm insoweit nicht zu, da allein der Mandant Herr des Geheimnisses ist. Im Zweifel ist der Mandant daher hierzu zu befragen, ob der Rechtsanwalt aussagen oder schweigen soll; handelt es sich bei dem Mandanten um eine juristische Person, sind die jeweils vertretungsberechtigten Personen diesbezüglich zu befragen.
Anregung einer Betreuerbestellung
Hält der Rechtsanwalt seinen Mandanten für nicht geschäftsfähig, ist er aufgrund der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht gleichwohl daran gehindert, eigenmächtig und ohne die Einwilligung des Mandanten die Bestellung eines Betreuers anzuregen. Es kann daher nur angeraten werden, das Einverständnis des Mandanten einzuholen, um sich diesbezüglich an das Betreuungsgericht oder beispielsweise nahe Angehörige zu wenden. Ausschließlich dann, wenn der Mandant eine konkrete Gefahr für sich selbst oder Dritte darstellt, kann die Konstellation eines rechtfertigenden Notstands die Berufsrechtswidrigkeit des Bruchs der anwaltlichen Verschwiegenheit entfallen lassen.
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