Nachgefragt: Wie wird die Selbstverwaltung wahrgenommen?

Die RAK München ist der Frage nachgegangen, wie die Selbstverwaltung heute wahrgenommen wird, was diese kennzeichnet und wo es Potenzial zur Verbesserung gibt. Hierfür konnte die Redaktion der RAK München zwei interessante Gesprächspartner gewinnen. Lesen Sie hier die Meinungsbeiträge von Dr. Ulrich Wessels, Präsident der BRAK, und von Prof. Dr. Volker Römermann, Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG.

Die Rechtsanwaltskammer München ist mit über 22.500 Mitgliedern aus dem OLG-Bezirk die größte Kammer Deutschlands. Vor- und Nachteile der anwaltlichen Selbstverwaltung werden oft kontrovers diskutiert. Worin sehen Sie die Stärken der anwaltlichen Selbstverwaltung?

Dr. Wessels: Die Stärken liegen auf der Hand und sind der Begrifflichkeit immanent: "Selbst!". Die anwaltliche Selbstverwaltung garantiert die unabdingbare Unabhängigkeit unseres Berufstandes. Die Anwaltschaft wird so von denjenigen verwaltet, die sich am besten mit dem Beruf auskennen: Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Wir haben das Privileg, die Rahmenbedingungen unseres Berufes aktiv mitzugestalten. Die einzige Alternative zur Selbstverwaltung ist Staatsaufsicht. Und eben dies ist keine Alternative für unabhängige Organe der Rechtspflege! Nicht einmal schärfste Kritiker der Selbstverwaltung können dies für einen gangbaren Weg halten.

Prof. Dr. Römermann: Stärken könnten darin liegen, dass Kollegen über Kollegen entscheiden. Das ist meines Erachtens die größte Stärke, denn die Entscheider wissen, worüber sie sprechen. Sie kennen den anwaltlichen Berufsalltag und können Probleme aus eigener Erfahrung einschätzen und gewichten. Diese Stärke, dass Kollegen über Kollegen – und Wettbewerber – richten, ist zugleich die größte Schwäche des Systems, da sie ein Einfallstor für sachwidrige Erwägungen und Nepotismus bietet.

Wo gibt es aus Ihrer Sicht Verbesserungsbedarf?

Dr. Wessels: Verbesserungsbedarf sehe ich besonders auf Seiten der Rechtspolitik. Ich wünsche mir eine viel stärkere und frühzeitigere Einbindung der Anwaltschaft in das rechtspolitische Geschehen, insbesondere in Gesetzgebungsverfahren. Mit unseren über 30 Fachausschüssen bei der Bundesrechtsanwaltskammer sind wir in der Lage, auch sehr kurzfristig Stellungnahmen zu erarbeiten. Das haben wir ganz besonders in Pandemiezeiten unter Beweis gestellt. Und dies haben wir auch mehrfach betont – gerade in unserer AG zur Sicherung des Rechtsstaates. 

Wir selbst sollten uns noch stärker an den Bedürfnissen der Anwaltschaft ausrichten, die stets im Mittelpunkt stehen müssen. Da sind wir und die Kammern auf einem guten Weg. Die Anwaltschaft ist modern und kommuniziert bzw. informiert sich anders, als noch vor zehn oder 20 Jahren. Diesen Ruf der Zeit und das Bedürfnis, sich vermehrt und schnell online und digital zu informieren, hat die Selbstverwaltung gehört. Viele Kammern sind auf Social Media aktiv, haben die Informationen auf ihren Internetseiten ausgebaut. Das hat auch die BRAK getan. Unsere BRAK-Mitteilungen und das BRAK-Magazin gibt es digital und auch per App. Wir haben das Podcast-Format für uns entdeckt und können Informationen nun bequem zum Hören zur Verfügung stellen. Auch unser Internetauftritt wird umfassend überarbeitet. Wenn mal ein Thema brennt, reagieren wir tagesaktuell mit Informationen, so zuletzt beim Thema Hochwasser oder Corona. Auch im Übrigen haben wir unser Angebot an beinahe täglichen aktuellen Informationen im Internet sehr stark ausgebaut.

Prof. Dr. Römermann: Vielleicht etwas überraschend, wenn ich es auf ein Wort bringen darf: Im Berufsrecht. Die Geschäftsführung besteht in Kammern aus Profis, aus Kollegen, die jeden Tag mit beruflichen, insbesondere auch berufsrechtlichen Anliegen konfrontiert werden. Sie sind oft tief im Thema, können es zumindest sein. Die Entscheidungen werden dann aber nicht von ihnen gefällt, sondern von Anwälten, die in ihrem Alltag nie Berufsrecht im Fokus haben, sondern Familienrecht, Verkehrsrecht oder Mietrecht. Das ist weit weg von den Fragen, die sich im anwaltlichen Berufsrecht stellen. Und die sind oft knifflig und nicht „zwischen Tür und Angel“ zu beantworten, nicht zuletzt angesichts der ungeheueren Dynamik, die dieses Gebiet prägt, seit ich mich damit beschäftige, seit drei Jahrzehnten also. Wer allenfalls eine Aufwandsentschädigung erhält, hat keinen finanziellen Anreiz, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen, vielleicht gar eigene Meinungen – unabhängig von vorhandener, oft traditioneller Rechtsprechung und Literatur – zu entwickeln. Wir brauchen insoweit eine Professionalisierung. Die Fragen sind so bedeutsam und so schwierig, dass die gegenwärtige Handhabung dem allzu oft nicht gerecht wird. Ein weiteres Thema sind die persönlichen Verstrickungen der beteiligten Personen. Über Jahre musste ich mit ansehen, wie der Kammer-Ausschuss, in dem die bisherigen Fachanwälte für Arbeitsrecht sitzen (nur ein Beispiel), die Verleihung weiterer Fachanwaltstitel an jüngere Kollegen verschleppt hat, um es mal deutlich zu sagen. Das wurde erst besser, als Schadensersatzforderungen gegen Kammern drohten. Aber auch heute beobachte ich durchaus noch gelegentlich Einflüsse auf Berufsrechtsverfahren, die mir nicht frei zu sein scheinen von der Beachtung eigener Marktinteressen der Entscheidungsträger.

Prof. Dr. Reinhard Gaier, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, sagt: „Selbstverwaltung bedeutet Staatsferne“. Schließen Sie sich dieser Aussage an?

Dr. Wessels: Absolut und uneingeschränkt!

Prof. Dr. Römermann: Die Ära Gaier steht für einen deutlichen Rückschritt gegenüber seiner Amtsvorgängerin Renate Jaeger, die der verfassungsrechtlich verankerten Berufsfreiheit im anwaltlichen Berufsrecht in vielen Entscheidungen erst zur Durchsetzung verholfen hat. Die wenigen halbherzig freiheitlichen Entscheidungen des BVerfG in den Jahren der Zuständigkeit von Reinhard Gaier haben insbesondere im anwaltlichen Gesellschaftsrecht einen wahren Trümmerhaufen hinterlassen. Was er konkret unter Staatsferne verstehen möchte, erschließt sich mir kaum. Anwaltskammern erfüllen hoheitliche Funktionen und der Staat hat, nicht zuletzt, um Kosten zu sparen, im Laufe der Jahre weitere Aufgaben auf sie übertragen, etwa im Zulassungswesen. Aus Praktikersicht ist die staatstheoretische Differenzierung von geringer Relevanz.

Das Gesetz betont in geradezu auffälliger Weise die Unabhängigkeit der Anwaltschaft: Wird die anwaltliche Selbstverwaltung diesem Kriterium noch gerecht und wenn nicht, was müsste sich ändern?

Dr. Wessels: Auffällige Weise klingt ja etwas tendenziös. „Auffällige Weise“ trifft es nicht. Oder vielleicht doch: Der Gesetzgeber betont einfach zu Recht ganz herausragend die Unabhängigkeit der Anwaltschaft, da es sich dabei um einen Kernwert der Anwaltschaft handelt. Vielleicht einigen wir uns darauf, dass der Gesetzgeber dies gezielt und daher auffallend oft betont, da er die Wichtigkeit und Bedeutung der Unabhängigkeit unterstreichen wollte. Es ist die Unabhängigkeit, die unseren Berufsstand auszeichnet und zu etwas Besonderem macht. Und natürlich wird die Selbstverwaltung diesem Anspruch gerecht. Er ist ihr geradezu immanent. Unabhängig, d. h. staatsfern, kann nur sein, wer sich selbst verwaltet. Verwaltung in der Hand von Experten: Den Rechtsanwendern. Besser geht es doch nicht!

Prof. Dr. Römermann: Die anwaltliche Unabhängigkeit ist ein gerne gepflegter Mythos. Ich habe das in der NJW (2019, 2986) und in der kürzlich erschienenen Festschrift 190 Jahre Rechtsanwalts- und Notarverein Hannover näher begründet. Es ist sehr traurig, dass die himmelschreienden Defizite nicht beherzt etwa von den Kammern thematisiert und angegriffen werden. Ich nenne hier nur Stichworte: Bestellung von Insolvenzverwaltern, Pflichtverteidigern oder Betreuern. Da gibt es jeweils eine totale Abhängigkeit vom Staat. Ich könnte die Beispiele lange fortsetzen.

Wie steht es um die Organisation und Struktur der Kammer? Wenn Sie drei Veränderungen vornehmen könnten, welche wären das?

Dr. Wessels: Organisation und Struktur der Kammern halte ich für gut. Unsere Selbstverwaltung ist im internationalen Vergleich durchaus ein Vorbild. Gleichwohl stellen wir uns selbst, wie auch unsere Organisation und Struktur, regelmäßig auf den Prüfstand. Dies halte ich für unverzichtbar, um Weiterentwicklung und Optimierung zu erreichen. Die Selbstverwaltung ist ein Privileg und bedingt, dass wir Veränderungsbedarf antizipieren und hierfür den passenden Rahmen schaffen. Deshalb sollten wir auch mutig genug sein, Veränderungen zu erwägen und zu wagen.

Das Kernelement unserer Selbstverwaltung ist das Ehrenamt und seine Stärkung gilt es einzufordern. Man darf sich durchaus die Frage stellen, ob unsere Strukturen, die noch aus den Anfängen der BRAO und der RAO stammen, in Gänze noch zeitgemäß sind. Die Anwaltschaft verändert sich massiv, die zurückliegenden 20 Jahre sind Beleg hierfür. Im Sinne der Einheit der Anwaltschaft muss sich diese Veränderung und Vielfalt auch im Ehrenamt widerspiegeln. Darüber müssen wir diskutieren. Und zwar, wie wir es ermöglichen können, mehr und vor allem jungen Nachwuchs für das Ehrenamt zu gewinnen. Insofern könnte man im Sinne zeitgemäßer Strukturen darüber sprechen, ob die Amtszeit von vier Jahren für Vorstand bzw. Präsidium noch zeitgemäß ist oder ob unter Umständen eine kürzere Dauer – bei möglicher Wiederwahl – eine Option wäre. Vielleicht würde dies die Bereitschaft bei jüngeren Kollegen erhöhen, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Prof. Dr. Römermann: Ich kann nur für eine Professionalisierung plädieren: Bezahlte Experten im Berufsrecht mit Entscheidungskompetenzen ausstatten. Ansonsten bin ich nicht kompetent, in Fragen der Binnenstruktur Ratschläge zu erteilen.

Sehen Sie die Kammer eher als Zugpferd oder Bremser -
... im Hinblick auf die Interessensvertretung der Anwaltschaft?

Dr. Wessels: Mit Blick auf die BRAK: Beim Thema Interessenvertretung ganz klar Zugpferd! Mit jeder Stellungnahme, jeder Presseerklärung und jedem Positionspapier haben wir nichts anderes im Fokus als die Interessen der deutschen Anwaltschaft. Wir setzen uns nicht nur für notwendige Gebührenerhöhungen ein, sondern auch für die Wahrung und Sicherung des Rechtsstaats. Dies nicht nur im Interesse der BRAK, sondern im Interesse jedes einzelnen Organs der Rechtspflege.

Prof. Dr. Römermann: Traditionell sind Kammern stets als Bremser aufgetreten, als Bewahrer des Status Quo. Das ist bestimmt gut gemeint, wirkt sich aber fatal aus, da der Rechtsmarkt sich deutlich verändert hat und gewichtige jüngere Akteure ohne Anwaltszulassung und mit erheblich größerer Freiheit (ich nenne nur: Erfolgshonorar, Prozessfinanzierung, Kapitalgewinnung) auf den Plan getreten sind. Wenn die Kammern das nicht stärker wahrnehmen und reagieren, indem sie für gleiche Freiheiten der Anwaltschaft kämpfen, sind sie mit verantwortlich für eine sich rasant verschlechternde Wettbewerbsposition der Anwälte.

... im Bereich der Digitalisierung?

Dr. Wessels: Auch beim Thema Digitalisierung sind wir sehr engagiert, denn wer ein Thema vorantreibt, gestaltet es aktiv mit. Völlig zu Unrecht wird die BRAK gelegentlich als Gegner von Legal Tech bezeichnet. Das ist unzutreffend. Wir begrüßen und fördern den technischen Fortschritt. Wir haben nur ein Auge darauf, dass der Fortschritt nicht zu Lasten der Verbraucher erfolgt und der Zugang zum „vollen“ Recht gesichert bleibt.

Prof. Dr. Römermann: Manche haben den Kammern das anfängliche beA-Desaster vorgeworfen. Dazu zähle ich nicht. Kammern sind keine IT-Experten. Dass sie aber nicht darauf gedrungen haben, von Anfang an auch Anwaltssozietäten eigene beA-Fächer zu ermöglichen, werde ich nie verstehen.

... in Bezug auf die Einflussnahme im Gesetzgebungsverfahren?

Dr. Wessels: Wir nehmen dort Einfluss, wo wir nur können. Wir haben mit unseren Stellungnahmen der über 30 Fachausschüsse viele Erfolge erzielt und Gehör gefunden. Das klappt natürlich nicht immer. Aber im Regelfall können wir unsere Argumente zumindest in Teilen unterbringen. Ich würde mir lediglich wünschen, dass wir umfassender und frühzeitiger eingebunden würden. Denn all die engagierten Mitglieder unserer Ausschüsse üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich und damit in ihrer Freizeit aus. Das muss man neben dem eigenen Anwaltsberuf erstmal schaffen. Insofern würde ich mir wünschen, dass im Rahmen der Verbändeanhörungen bei Möglichkeiten zur Stellungnahme längere Fristen als ein oder zwei Tage gesetzt werden, wenn zu einem umfangreichen Gesetzentwurf etwas erarbeitet werden soll.

Prof. Dr. Römermann: Bremser. Das hat letztlich zu einer spürbaren Schwächung des Einflusses der Kammern bei den berufsrechtlichen Gesetzen zum Ende der letzten Legislaturperiode geführt (Legal Tech-Gesetz, BRAO-Reform, MoPeG). Wer immer „Nein“ sagt, wird irgendwann nicht mehr gehört, wenn es um Gestaltung der Zukunft geht.

Welche Bereiche oder Anliegen sind aus Ihrer Sicht für Kammermitglieder am wichtigsten? Wo besteht der meiste Informationsbedarf?

Dr. Wessels: Ich denke, der Informationsbedarf ist genau dort am größten, wo ureigene Pflichten bestehen bzw. die Anwaltschaft persönlich betroffen ist. D. h. im Bereich der Geldwäsche, bei datenschutzrechtlichen Fragen oder bei Fragen des Berufsrechts. Deswegen haben wir zu all diesen für den Kanzleialltag relevanten Themen auf www.brak.de Hilfestellungen und Leitfäden veröffentlicht. Natürlich besteht auch in Ausnahmesituationen wie der Corona-Pandemie besonderer Bedarf an zielgerichteten Informationen. Hierzu hat die BRAK schon im März 2020 eine Sonderseite mit allgemeinen, rechtlichen und wirtschaftlichen Informationen sowie einer mittlerweile fast 3000 Entscheidungen umfassende Rechtsprechungsübersicht etabliert.

Prof. Dr. Römermann: In meiner berufsrechtlichen Praxis stehen zwei Themen als „Dauerbrenner“ im Vordergrund: Sozietätsrecht und Interessenkollision. Sozien kommen, wenn sie sich streiten – da sind neben dem Gesellschaftsrecht auch ganz viele Besonderheiten aus dem Berufsrecht zu beachten. Streitigkeiten über Interessenkollisionen nehmen seit Jahren immer mehr zu, oft geht es da um Mandate mit erheblichen Volumina, da will man nicht „loslassen“. Zuweilen werden Anwälte mit dem Mittel des Berufsrechts unter Berufung auf – angebliche – Interessenkollisionen eingeschüchtert oder aus Mandaten „herausgeschossen“. In den letzten Jahren kommen auch viele Anfragen aus dem Bereich Legal Tech. Da geht es darum, was Anwälte dürfen in puncto erfolgsbezogene Vergütung, Prozessfinanzierung oder Gestaltung des eigenen Unternehmens, z. B. Aufnahme von Fremdkapital. Der Informationsbedarf ist groß und wächst weiter an. 

Die RAK München bietet verschiedene Serviceleistungen auf ihrer Webseite an – die wichtigsten Formulare im Downloadbereich der Startseite, eine eigene Unterseite mit aktuellen Informationen zur Corona-Pandemie, Informationen zur Geldwäsche und zum elektronischen Rechtsverkehr. Auch im Bereich Mitgliederkommunikation gibt es mit einem LinkedIn-Account Neuerungen. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Kammer ein hin zu einem modernen, serviceorientierten Dienstleister?

Dr. Wessels: Aus meiner Sicht ist die Kammer München sehr fortschrittlich, was ich begrüße. Seien es Flyer zur Werbung für den Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten oder Facebook-Aktivitäten. Die RAK München ist hier am Puls der Zeit und sehr affin, was moderne Medien anbelangt, jetzt auch mit einem LinkedIn-Account. So, wie auch viele andere Kammern. Ich denke, dass dies dem Bedürfnis nach schnell verfügbarer Information Rechnung trägt und wir Kolleginnen und Kollegen so dienstleistungsorientiert unterstützen können. Ich halte diese Entwicklung für richtig und wichtig. Großes Lob an die Kammer München!

Prof. Dr. Römermann: Das ist wirklich eine tolle Sache. Ich hoffe und wünsche es der Kammer, dass es auch genutzt wird. In Zeiten der Pandemie fand ich die Kammern übrigens manchmal etwas blass. Da wurde etwa von der BRAK etwas zu Ausgangssperren geschrieben. Aber können wir Anwälte es einfach hinnehmen, wenn Mandanten der persönliche Kontakt zu uns und damit zum unmittelbaren Zugang zum Recht durch ein diskretes, persönliches Gespräch versagt wird? Natürlich muss man bestimmte Hygienestandards einhalten. Aber Kontaktverbote zu Anwälten darf es in einem Rechtsstaat niemals geben. Und wenn man Abstufungen nach der Bedeutung von Berufen macht, z. B. beim Thema Kinderbetreuung, ist es mir unverständlich, wenn in einigen Bundesländern Referendare privilegiert wurden – da „Staat“ –, Anwälte aber nicht. Der Rechtsstaat existiert nur dank dieser Anwälte!

Uns beschäftigt immer wieder die Frage nach dem ehrenamtlichen Engagement, ohne das eine Kammer wie die RAK München – mit über 22.500 Mitgliedern – nicht funktionieren würde. Wie könnte es gelingen, mehr (junge) Kolleginnen und Kollegen für diese wichtige Arbeit zu begeistern?

Dr. Wessels: Aus meiner Sicht sind Werbung für das Ehrenamt und Transparenz das A und O. Wofür es sich lohnt, Engagement zu zeigen, kann ich nur beurteilen, wenn ich weiß, worum es geht. Deshalb verfolgt die BRAK eine „Politik der offenen Tür“. Wir berichten stets darüber, was wir wann veranlassen. Wir hoffen, so vermitteln zu können, was Selbstverwaltung bewirken kann. Und ohne Engagement funktioniert Selbstverwaltung eben nicht. In unserer Podcast-Reihe (R)ECHT INTERESSANT! haben wir das ehrenamtliche Engagement bereits in drei Folgen zu unterschiedlichen Themen vorgestellt und beworben. In Anbetracht der guten Abonnentenzahlen hoffen wir, so unseren Beitrag zu Nachwuchsgewinnung für das Ehrenamt leisten zu können. Ich halte es für essenziell, darüber zu berichten, was Kammervorstände, Präsidien und Ausschüsse tun und womit sie sich befassen. Wir erhalten immer wieder das Feedback aus der Kollegenschaft, dass man gar nicht so genau weiß, was eine RAK so tut. Dem muss ich mit Information entgegenwirken. Zudem sollte man den Eindruck vermeiden, dass in den Kammern oder bei der BRAK etwas hinter verschlossenen Türen geschieht. Das ist nicht der Fall. Daher bin ich ein Befürworter offener und transparenter Kommunikation, um die Anwaltschaft abzuholen und für das Ehrenamt zu begeistern. Nur wer weiß, was da getan wird, hat auch Lust, aktiv mitzuwirken. Wir hatten in unserem Podcast schon viele „Ehrenamtler“ zu Gast. Das Feedback hierzu war durchweg positiv und hat uns erkennen lassen, dass stärkere Einblicke in unsere Arbeit notwendig und überfällig waren. Hieran sollten wir alle weiter arbeiten, damit wir bei mehr jungen Kolleginnen und Kollegen Interesse für das Ehrenamt und die Möglichkeit wecken, die Rahmenbedingungen unseres Berufes aktiv mitzugestalten.

Prof. Dr. Römermann: Sie fragen jemanden, der in großem Ausmaße ehrenamtlich tätig ist. In meinen Positionen als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Mittelstand – BM, Präsident der German Speakers Association (GSA), als Vorstandsvorsitzender des Instituts für Insolvenzrecht e. V., als Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin, als dortiger Honorarprofessor (der seit 1997 jedes Semester zwei Wochenstunden Vorlesung hält), als Mitglied etwa in der Task Force Legal Tech des Deutschen Anwaltvereins und in weiteren Gremien und Vereinen erhalte ich weder Vergütung noch auch nur eine Aufwandsentschädigung. Aber es macht mir Spaß, mich zu engagieren und hier und da etwas zu bewegen. Der Austausch ist fruchtbar. Zuweilen hat das auch geschäftliche Konsequenzen, aber das kann man eigentlich nie wirklich planen und es wäre falsch, darauf zu bauen. Begeisterung kann man nicht künstlich erzeugen. Man kann einen schönen Rahmen zur Verfügung stellen, aber alles andere muss von innen kommen. Das ist bei Anwälten ja eigentlich auch ganz einfach, handelt es sich doch mit Sicherheit um den schönsten Beruf der Welt!

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