Wenigstens dürften mittlerweile alle Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen wissen, dass es ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach gibt, es sei denn, man ist notorischer Nichtleser von Kammermitteilungen und Fachzeitschriften. Das Nutzungsverhalten divergiert allerdings zwischen Null und Hundert. Wer bis heute noch nichts verschickt hat, hat zwar vermutlich auch noch keine dicken Fehler gemacht, jedoch die Chance vertan, ohne Erfolgsdruck zu „üben“. Denjenigen, die die letzten Monate vor dem Tag X, namentlich dem 01.01.2022, noch nutzen wollen, aber natürlich auch allen anderen, seien im Folgenden einige Merkposten an die Hand gegeben:
1. Muss ich wirklich?
Die Antwort lautet: ja! Schon seit dem 01.01.2018 musste jeder Rechtsanwalt und jede Rechtsanwältin, übrigens auch Syndikusrechtsanwälte, das ihm zugeteilte beA-Postfach aktivieren, d. h. sich erstregistrieren (§ 31 VI BRAO). Wer das nicht getan hat, hat nicht nur gegen Berufsrecht verstoßen, sondern geht das Risiko ein, Nachrichten zu erhalten, die bei Nichtbeachtung haftungsrechtliche Folgen haben könnten. Anfangs war dieses Risiko zwar eher gering, da die Gerichte, soweit erkennbar, überwiegend nur aktive Nutzer über das beA anschrieben; das ändert sich aber gerade, sodass jeder damit rechnen muss, von den Gerichten Post im beA zu erhalten. Versuchen, das beA-System als solches z. B. unter Sicherheitsaspekten infrage zu stellen, hat der BGH mehrfach Absagen erteilt (BGH, Beschl. v. 28.06.2018 - AnwZ (Brfg) 5/18; zuletzt BGH, Urt. v. 22.03.2021 - AnwZ (Brfg) 2/20).
2. Aktive Nutzungspflicht
Seit dem 01.01.2018 gab es zunächst nur eine passive Nutzungspflicht. Allerdings haben einige Bundesländer von ihrer Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht, die aktive Nutzungspflicht vorzeitig einzuführen, allen voran die Arbeitsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein seit dem 01.01.2020, seit dem 01.01.2021 auch die meisten Fachgerichtsbarkeiten in Bremen. Wenig überraschend sind vor allem dort dann auch die ersten Problemfälle zutage getreten und das Bundesarbeitsgericht konnte als „beAG“ erste Maßstäbe setzen.
3. Das 2. Staatsexamen reicht nicht…
Leider haben wir alle das beA nicht studiert – nun müssen wir es nachholen. Oder wie es das LAG Schleswig-Holstein (Beschl. v. 19.09.2019 - 5 Ta 94/19) ausdrückt: „Ein Rechtsanwalt ist als Inhaber eines besonderen Anwaltspostfachs (beA) nicht nur verpflichtet, die technischen Einrichtungen zum Empfang von Zustellungen und Mitteilungen über das beA lediglich vorzuhalten, vielmehr ist der Rechtsanwalt zugleich verpflichtet, sich die Kenntnisse zur Nutzung dieser technischen Einrichtungen anzueignen, damit er die über beA zugestellten Dokumente auch gemäß § 31a VI BRAO zur Kenntnis nehmen kann. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, den Rechtsanwälten Handlungsanweisungen zum Öffnen der über beA zugesandten Dokumente zu erteilen.“ Von den Gerichten ist also wenig Hilfe zu erwarten (zumal diese in der Regel selbst mindestens genauso wie die Anwälte mit der Technik kämpfen). Wer hilft also? Dringend zu empfehlen sind die Informationen auf der Homepage der Bundesrechtsanwaltskammer. Hier werden auch regelmäßig die auftauchenden Probleme in einem Newsletter aufgegriffen und erläutert. Die RAK München stellt zudem Erklärvideos und Seminare zur Verfügung.
4. Fristbeginn bei Empfang im beA
Haftungsszenarien im Zusammenhang mit dem beA werden sich in aller Regel aus Fristversäumnissen ergeben. Auch bei der nur passiven Nutzung kann das passieren, denn beispielsweise die Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen lässt die Rechtsmittelfrist laufen. Es gilt daher dasselbe wie in der analogen Welt: Der Posteingang muss täglich kontrolliert werden. Für den Abwesenheitsfall ist es wichtig, bereits vorsorglich einen Vertreter zu definieren bzw. für das eigene Postfach zu berechtigen, damit die Kenntnisnahme sichergestellt ist.
Soweit allerdings gemäß § 174 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wird, gilt dies auch beim beA. Das Empfangsbekenntnis wird – jedenfalls nach derzeitiger Gesetzeslage – im elektronischen Rechtsverkehr nicht durch eine automatisierte Eingangsbestätigung ersetzt. Es muss aus dem beA heraus zurückgeschickt werden (eEB). Damit ist der Tag der Kenntnisnahme entscheidend, nicht der des Eingangs. Genauso wie in der analogen Welt gibt es eine berufsrechtliche Pflicht (§ 14 S. 1 BORA), das eEB auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme datiert unverzüglich zurückzusenden; die Beweiswirkung des beA kann im Einzelfall entkräftet werden.
Wichtig ist dann natürlich die korrekte Fristberechnung und -notierung, die entsprechend den bisherigen Vorgaben der Rechtsprechung erfolgen muss. Die Fristen müssen also sowohl im (ggf. elektronischen) Fristenkalender nebst Vorfrist eingetragen als auch sodann auf dem Posteingang vermerkt werden.
5. Fristwahrende Versendung aus dem beA
Gerichtliche Fristen dürfen bis zum letzten Tag, ja bis zur letzten Sekunde, ausgeschöpft werden – und werden es auch häufig. Wenn dann die Routine fehlt und womöglich die technisch versiertere REFA bereits Feierabend hat, wird es allerdings brenzlig, denn es gibt doch einiges Neues zu beachten. Die Tücken kristallisieren sich erst langsam heraus. Hier eine Auswahl von Fehlermöglichkeiten aus der Wiedereinsetzungsrechtsprechung:
a) Kann das Gericht beA?
Die Gerichte sind zum Teil langsamer als die Anwaltschaft, daher im Zweifel verifizieren, ob das angerufene Gericht am elektronischen Rechtsverkehr teilnimmt: das Bundesverfassungsgericht beispielsweise nicht (§ 23 I 1 BVerfGG).
b) Es geht nicht jedes Dateiformat
Ein Schriftsatz wird immer als Anhang versandt, ebenso die Anlagen. Dabei darf maximal ein Volumen von 60 MB erreicht werden. BGH, Urt. v. 14.05.2020 – X ZR 119/18: „Ein elektronisches Dokument ist für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet, wenn es den Vorgaben genügt, die der Verordnungsgeber auf der Grundlage von § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO und § 125a Abs. 3 Nr. 1 PatG aufgestellt hat.“ Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Fassung des § 2 I 1 ERVV. Zulässig sind danach nur durchsuchbare PDF- und TIFF-Dateien, insbesondere keine ZIP-Ordner (s. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 09.11.2020 – 6 UF 109/20). Um Verwechslungen zu vermeiden, soll der Dateiname den Inhalt des elektronischen Dokuments schlagwortartig umschreiben und bei der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente eine logische Nummerierung enthalten. Er sollte keine Sonderzeichen enthalten.
c) Es geht nicht jede Schriftart
Ein bestimmender Schriftsatz der formatfehlerhaft ist, wahrt keine Frist. Er ist formatfehlerhaft, wenn das eingereichte PDF-Dokument Schriften enthält, die nicht eingebettet sind (Hessisches LAG, Beschl. v. 07.09.2020 – 18 Sa 485/20). Aber woher weiß ich, was eine eingebettete Schriftart ist? Es gibt Software, mit der man das prüfen kann. Die BRAK empfiehlt (Newsletter-Ausgabe 2/2020 v. 23.01.2020), PDF nur noch im Format PDF/A zu erstellen und zu versenden. Problematisch scheinen insbesondere Briefköpfe mit Logo zu sein, die dann oft eine (unzulässige) Bilddatei enthalten. Es sollte sichergestellt werden, dass jedenfalls die essenziellen Angaben (Namen der Rechtsanwälte und Kontaktdaten) außerhalb des Logos auftauchen.
d) Wer schickt aus welchem Postfach?
Ein formwirksamer Schriftsatz muss unterschrieben sein. Die beA-Karte ersetzt die Unterschrift dann, wenn sichergestellt ist, dass sie vom verantwortlichen Rechtsanwalt verwendet wurde. Sie darf also nicht aus der Hand gegeben werden!
Bei der Versendung aus dem eigenen beA-Postfach gibt es grundsätzlich kein Problem. Es ist allerdings darauf zu achten, dass der Schriftsatz eine sogenannte einfache Signatur iSd § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO enthält, also die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Sie soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (BAG, Beschl. v. 14.09.2020 – 5 AZB 23/20; LG Hamburg, Beschl. v. 15.01.2021 – 322 T 92/20).
Sofern eine Kollegin den Schriftsatz (z. B. im Abwesenheitsfall) versendet, kann sie dies mit ihrer beA-Karte aus ihrem eigenen Postfach tun. Alternativ kann der Schriftsatz vom Verfasser mit der qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden (hierzu reicht die „einfache“ beA-Karte nicht, sie muss zur Signaturkarte upgegradet sein). Dann kann die Versendung auch durch andere Mitarbeiter erfolgen.
e) Prüfung der erfolgreichen Versendung
Vor Streichung der Frist muss sichergestellt sein, dass seitens des Prozessbevollmächtigten alles getan wurde, um den fristgerechten Zugang bei Gericht sicherzustellen. Bei Versendung aus dem beA bedeutet dies, dass das zuständige Personal dahingehend belehrt werden muss, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 46c Abs. 5 Satz 2 ArbGG zu kontrollieren ist (BAG, Beschl. v. 07.08.2019 – 5 AZB 16/19). Es reicht also nicht die Kontrolle, ob sich die Nachricht in der verwendeten Anwaltssoftware im Ordner „gesendet“ befindet, sondern die Prüfung muss im beA selbst erfolgen. Im Prüfprotokoll findet man zwar den – ebenfalls zu überprüfenden – Nachweis, dass die Signatur erfolgreich war; die Eingangsbestätigung selbst befindet sich hingegen in der versandten Nachricht selbst unterhalb der Dateianhänge mit dem Meldetext („request executed“), dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus („erfolgreich“). Auch die Anzahl der übermittelten Anlagen ist an dieser Stelle zu prüfen (VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 24.09.2019 – VGH B 23/19).
6. Was tun, wenn etwas nicht geklappt hat?
Wir kennen es ja von den „Mitternachtsfaxen“: Gerade bei den last-minute-Schriftsätzen geht dann doch oft etwas schief. Im Rahmen des dann möglichen Wiedereinsetzungsantrags muss das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ausgeräumt werden. Momentan sind die Gerichte hier manchmal noch einigermaßen gnädig, aber auch das wird sich vermutlich ändern.
Auch eine ordnungsgemäß vorbereitete Nachricht kann aufgrund wo auch immer auftretender technischer Probleme beim Versand im beA hängenbleiben. Um im Wiedereinsetzungsantrag dokumentieren zu können, dass die Nachricht an sich fristgerecht versandt wurde, sollte die Nachricht aus dem Ordner „Postausgang“ zunächst exportiert werden. In der Protokolldatei „*Export.html“ finden sich die Daten zum Versand, wie Absender, Empfänger, Zeitpunkt des Versands usw. Systemstörungen werden in der Störungs- und Ausfalldokumentation der BRAK sowie für die Justizserver dokumentiert.
Geht es um Formfehler, kann § 130a VI ZPO eventuell helfen: Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.
Reicht also beispielsweise der Rechtsmittelführer die Berufungsbegründungsschrift in einem nicht durchsuchbaren Format ein, kann er nach § 130a VI 2 ZPO erreichen, dass eine den Vorgaben entsprechende Berufungsbegründungsschrift auf den (verspäteten) Eingang der ursprünglich formatfehlerhaft eingereichten Berufungsbegründungsschrift zurückwirkt. Das Gericht hat einen Hinweis nach § 130a VI 1 ZPO zu erteilen (Hessisches LAG, Beschl. v. 11.11.2020 – 14 Sa 982/20; ähnlich: OLG Koblenz, Beschl. v. 09.11.2020 – 3 U 844/20). Vor dem „zweiten Anlauf“ sollte dann allerdings sichergestellt sein, dass das Format nun passt.
7. Der gute Tipp am Ende
Nicht wenige Kollegen und Kolleginnen haben in den letzten Monaten bei ihren Haftpflichtversicherern Trost und Hilfe gesucht, weil mit dem beA irgendetwas schiefgegangen ist. Leider gibt es auch einfach sehr viel Neues zu beachten, und wer nicht so technikaffin ist, mag Berührungsängste haben. Lassen Sie sich nicht von der „neuen Welt“ abschrecken! Nutzen Sie die verbleibenden Monate, um sich auszuprobieren und anhand der Erkenntnisse Checklisten und Kanzleianweisungen zu erarbeiten. Momentan besteht noch die Möglichkeit, als „Sicherheits-Backup“ den Schriftsatz gleichzeitig auf bewährtem Wege herauszuschicken, sodass man nervenschonend mit dem beA üben kann, ohne dass sich Fehler gleich negativ auswirken. Ab dem 01.01.2022 wird das nicht mehr gehen.
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