EGMR-Urteil zum anwaltlichen Zeugnisverweigerungsrecht

TEXT: Assessorin Laura Funke, Referentin RAK München

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil vom 19.11.2020 (Az. 24173/18, Klaus Müller ./. Germany) über die Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts eines Rechtsanwalts gem. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO entschieden.

Unter Berufung auf seine anwaltliche Schweigepflicht hatte sich der Beschwerdeführer geweigert, als Zeuge in einem Strafverfahren gegen die ehemaligen Geschäftsführer von vier Unternehmen auszusagen, denen er vor ihrer Insolvenz Rechtsberatung erteilt hatte. Der Beschwerdeführer war nur vom derzeitigen Geschäftsführer dieser Unternehmen von seiner Vertraulichkeitspflicht befreit worden, nicht jedoch von den anderen ehemaligen, ebenfalls angeklagten Geschäftsführern.

Wegen seiner Zeugnisverweigerung hatte das LG Münster ein Ordnungsgeld von EUR 600, hilfsweise Ordnungshaft verhängt. Das Rechtsmittel dagegen blieb erfolglos; der Rechtsanwalt musste aussagen. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, obwohl die deutschen Gerichte zu dieser Rechtsfrage in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden hatten.

Unter Berufung auf Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde vor dem EGMR. Er war der Auffassung, dass die Verpflichtung zur Aussage und die Verhängung des Ordnungsgeldes mit seinem Recht auf Zeugnisverweigerung als Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StGB kollidiert habe. 

Der EGMR sah indes keinen Verstoß gegen Artikel 8 EMRK. Der Rechtsauffassung des LG Münster, dass im Falle einer Mandatierung ausschließlich durch eine juristische Person der jeweils aktuelle Geschäftsführer dieser juristischen Person dazu berechtigt ist, über den Umfang der Verschwiegenheitspflicht des mandatierten Rechtsanwalts zu entscheiden, stünden keine konventionsrechtlichen Bedenken entgegen. Da aus diesem Grund eine Aussagepflicht bestehe, sei auch die Verhängung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft rechtmäßig.

Weitere Einzelheiten können Sie dem Urteil entnehmen, welches nur in englischer Sprache vorliegt.