Thesenpapier der OLG-Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“
Online-Gerichtsverfahren, Zeugenbefragung via Video, die Abschaffung des Telefax sowie die Abkehr vom schriftsätzlichen Vortrag. Ein der Rechtsanwaltskammer München im Juli vorgelegtes Thesenpapier der Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Präsidenten des OLG Nürnberg, Thomas Dickert, gibt einen Überblick über die wesentlichen Inhalte der bisherigen Überlegungen. Ziel der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ ist eine zeitgemäße, bürgerfreundliche und effiziente Gestaltung des Zivilverfahrens unter Miteinbeziehung technischer Entwicklungen.
Angedacht wird zunächst ein elektronischer Zugang der Bürger zur Ziviljustiz. Den Bürgern soll hiernach ein bundesweit einheitlicher elektronischer Zugang in Form eines Online-Portals ermöglicht werden. Mit Hilfe des Portals soll z. B. das Mahnverfahren komplett online geführt werden können. Neben diesen Online-Verfahren sollen auch Gerichtsverhandlungen vermehrt digital geführt werden. Virtuelle Video-Verhandlungen, bei denen sich das Gericht nicht im Sitzungssaal aufhalten muss, sollen für die Öffentlichkeit zeitgleich in einen vom Gericht bestimmten Raum in Bild und Ton übertragen werden. Auch die Zeugeneinvernahme per Video soll nach diesem Vorschlag ermöglicht werden. Beweisaufnahmen sind nach dem Vorschlag durch ein Wortprotokoll festzuhalten.
Ein weiterer, zentraler Aspekt des Thesenpapiers betrifft die Optimierung des elektronischen Rechtsverkehrs. Vorgesehen ist die Einführung eines Kanzleipostfachs im beA in Abkehr zu der bisherigen Regelung, wonach das besondere elektronische Anwaltspostfach jedem Rechtsanwalt persönlich zugeordnet ist. Ab dem Jahr 2026 soll der Teilnehmerkreis hinsichtlich des elektronischen Rechtsverkehrs dahingehend erweitert werden, dass auch Sachverständige, Dolmetscher und Betreuer mit einbezogen werden.
Zugleich spricht sich die Arbeitsgruppe für die Erweiterung der sicheren Übermittlungswege aus, wonach auch ohne qualifizierte elektronische Signatur eine elektronische Übermittlung von Dokumenten an oder durch Gerichte möglich sein soll. Hierzu wird in Betracht gezogen, das elektronische Empfangsbekenntnis durch eine automatisierte Eingangsbestätigung sowie eine Zustellungsfiktion zu ersetzen. Dieser Vorschlag überrascht genauso wie die Forderung, das Telefax perspektivisch als Übermittlungsweg abzuschaffen. Zumindest in absehbarer Zukunft ist die Umsetzung dieses Vorschlags kaum vorstellbar. Um Mehrfacheinreichungen vorzubeugen soll bereits jetzt schon nach den Vorschlägen der Richterschaft den Prozessbevollmächtigten eine Auslagenpauschale auferlegt werden, wenn Dokumente doppelt eingereicht werden.
Eine weitere Überlegung zielt darauf ab, den Parteivortrag zu strukturieren und übersichtlicher zu gestalten: Geschaffen werden soll ein gemeinsames, elektronisches Basisdokument, welches jedenfalls im Anwaltsprozess verbindlich sein soll. In dieses Dokument soll das sämtliche Parteivorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Art nebst Anträgen in einer Art Relationstabelle eingetragen werden. Wird diesem Vorschlag gefolgt, wäre der Vortrag in Schriftsatzform für die Zukunft überflüssig bzw. gar unmöglich.
Schließlich soll für die Digitalisierung der Justiz das Beweisrecht auch dahingehend angepasst werden, dass beweisfähige Dokumente elektronisch zur Akte genommen werden können. Geschaffen werden soll hierfür ein elektronisches Archiv, womit Dokumente im Wege des Urkundenbeweises in das Verfahren eingebracht werden können.
Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer München hat die im Thesenpapier enthaltenen Vorschläge in seiner September-Sitzung intensiv diskutiert. Im Nachgang daran wurde eine Stellungnahme an das bayerische Justizministerium abgegeben, insbesondere mit der Bitte, in der weiteren Diskussion der Vorschläge die anwaltliche Perspektive zu berücksichtigen und insbesondere auch Vertreter der Anwaltschaft in die Arbeitsgruppe aufzunehmen.