Sie sind Strafverteidigerin und Fachanwältin für Strafrecht, widmen sich aber seit vielen Jahren ehrenamtlich auch europäischen Fragen. So sind Sie als Mitglied und Europabeauftragte des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins und Mitglied des Ausschusses Europarecht der Bundesrechtsanwaltskammer auch mit zahlreichen Stellungnahmen zu europäischen Rechtsvorhaben beschäftigt gewesen. Seit Januar 2018 sind Sie darüber hinaus Vizepräsidentin des Council of Bars and Law Societies of Europe (CCBE).
Warum investieren Sie neben der klassischen Strafverteidigertätigkeit in Deutschland so viel Zeit in die Entwicklung und Fortführung der europäischen Ideen? Oder einfacher gesagt: Wie hat es Sie als Strafverteidigerin auf die Europäische Ebene verschlagen?
Während die Strafrechtskompetenz der Europäischen Union unter den Verträgen in der Fassung von Nizza in ihren Einzelheiten durchaus streitig war, wurden mit dem Vertrag von Lissabon die Kompetenzen der Europäischen Union wesentlich erweitert und in den Art. 82 ff. AEUV neu geordnet. Damit wurde nunmehr eine Zuständigkeit der Europäischen Union ausdrücklich auf zahlreichen Gebieten des materiellen Strafrechts, aber auch auf dem Gebiet des Strafprozessrechts geschaffen. Außerdem wurde dort bereits die Einsetzung einer europäischen Staatsanwaltschaft vorgesehen, die mittlerweile auf den Weg gebracht ist und voraussichtlich Ende dieses Jahres ihre Arbeit aufnimmt. Spätestens mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon war klar, dass auch im Bereich des Strafrechts sowohl auf materieller, als auch auf prozessualer Ebene zunehmend europäische Vorgaben zu erwarten waren und in vielen Bereichen der Spielraum auf nationaler Ebene kleiner werden und nur noch die Umsetzung europäischer Vorgaben übrigbleiben würde. Insofern war es nur konsequent zu versuchen, auf diesem Gebiet auch die europarechtlichen Fragestellungen zu begleiten, und einzugreifen, bevor die europäische Vorgabe in Brüssel verabschiedet wird. Seit dem Beginn meines Berufslebens habe ich mich immer auch für rechtspolitische Fragestellungen interessiert und in diesem Zusammenhang engagiert. Damit war es naheliegend, dieses Interesse auf Europa auszuweiten.
Warum glauben Sie, sind Vereinigungen wie der CCBE auf europäischer Ebene so wichtig? Welche Themen werden dort behandelt? Und welche Themen sind dort aktuell virulent?
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung europarechtlicher Vorgaben auf allen Gebieten des Rechts, ist es sehr wichtig, dass die Anwaltschaft auf europäischer Ebene eine Stimme hat. Der CCBE ist der Dachverband aller europäischen Rechtsanwaltskammern und Anwaltsorganisationen, wie z. B. in Deutschland der DAV. Unsere Mitgliedschaft umfasst nicht nur Anwaltskammern und -organisationen aus der EU, dem europäischen Wirtschaftraum und der Schweiz, sondern auch Anwaltskammern und Organisationen aus Ländern, die Mitglied des Europarates sind. Wir befassen uns natürlich mit vielen Fragestellungen von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, bis hin zur Freizügigkeit für Rechtsanwält*innen innerhalb des einheitlichen Binnenmarktes. Unsere Hauptsorge gilt zurzeit aber der Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in einzelnen Ländern der Europäischen Union. Insofern begrüßen wir es auch, dass der Justizkommissar in den nächsten Tagen einen „Rule of Law Report“ veröffentlichen wird, der sich mit allen 27 Mitgliedsstaaten befassen wird. Wir sind gespannt, was die Ergebnisse dieses Berichts sind und werden sicherlich auch Anlass haben, als Anwaltschaft darauf zu reagieren. Ein weiteres Thema, was auch mit Rechtsstaatlichkeit zusammenhängt und uns sehr beschäftigt, ist die zunehmende Vereinnahmung der Anwaltschaft im Rahmen der Geldwäschebekämpfung. Hier geht es darum, Mitwirkungspflichten der Anwaltschaft, die der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht und dem Vertrauensverhältnis zwischen Anwält*innen und Mandant*innen diametral entgegenstehen, abzuwehren. Auch müssen wir damit rechnen, dass die Kommission eine europäische Aufsichtsbehörde gegen Geldwäschebekämpfung anstrebt. Hier gilt es, die anwaltliche Selbstverwaltung zu verteidigen.
Schließlich lässt uns auch der Brexit leider nicht unberührt. Wir sehen mit großem Bedauern, dass sich die Art der Mitgliedschaft der Bars and Law Societies aus Großbritannien in unserem Verband in der Folge des Austrittes von Großbritannien aus der Europäischen Union wird ändern müssen. Unser Bestreben ist es hier, auf der Grundlage jahrzehntelanger Gemeinsamkeiten mit der Delegation aus dem Vereinigten Königreich, ein neues Miteinander innerhalb unseres Verbandes zu gestalten.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit als Vizepräsidentin des CCBE besonders gut?
Ich bin sehr dankbar, dass mir meine Tätigkeit für den CCBE den „Blick über den Tellerrand“ ermöglicht. Es ist unglaublich spannend, wie sich der Blick auf das Heimatland und die nationale Gesetzgebung verändert, wenn man erfährt, wie andere Länder mit im Wesentlichen vergleichbarem kulturellem Hintergrund Dinge anders regeln, als man das im „eigenen“ Land gewohnt ist. Ebenso genieße ich den Austausch mit den Kolleg*innen aus den vielen Ländern, die letztlich unter dem Dach des Europarates vereint sind. Uns eint das Bedürfnis, über das „eigene“ Land hinaus rechtspolitisch zu gestalten und dies macht den Austausch – bei allen Differenzen, die es natürlich inhaltlich immer wieder gibt – so spannend.
Die Europäische Union hat der Anwaltschaft durch die Niederlassungs- und Dienstleistungsrichtlinie aus dem Jahr 1998 in den letzten zwei Jahrzehnten auch die Möglichkeit eröffnet, sich unter der deutschen Berufsbezeichnung in ganz Europa niederzulassen oder anwaltliche Dienstleistungen anzubieten. Auf der anderen Seite können auch europäische Kollegen in Deutschland tätig werden. Waren Sie als Strafverteidigerin schon mal im EU-Ausland für einen Mandanten tätig?
Der europäische Binnenmarkt bringt es auch im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts mit sich, dass Strafverfahren zu einem Gegenstand in mehreren Ländern geführt werden. Insofern gehört es auch zu meiner Verteidigertätigkeit, Strafverfahren, die im EU-Ausland durchgeführt werden, im Rahmen eines Mandates für einen deutschen Mandanten zu begleiten. Grenzüberschreitend wird die Tätigkeit auch dann, wenn ein europäischer Haftbefehl erlassen ist; sei es, dass Mandant*innen aus Deutschland in das europäische Ausland überstellt werden sollen oder deutsche Mandant*innen im europäischen Ausland auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls für Deutschland festgenommen werden. In beiden Fällen ist es wichtig, dass sowohl im ausstellenden, als auch im vollstreckenden Staat, Verteidigertätigkeit entfaltet wird. Schließlich bringt die Globalisierung es auch mit sich, dass EU-Bürger*innen in einem EU-Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht haben – z. B. im Urlaub – auf der Grundlage eines Auslieferungsersuchens eines dritten Staates festgenommen werden. In diesem Fall gilt es dann sicherzustellen, dass EU-Bürger*innen in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er oder sie nicht haben, so behandelt werden, wie ein eigener Staatsangehöriger des festnehmenden Landes oder wie wenn sie in ihrem Heimatland festgenommen worden wären; was bedeutet, dass eine Auslieferung an den Drittstaat nicht stattfinden darf. Hier stellen sich spannende Fragen, die vom Europäischen Gerichtshof im Grundsatz auch schon dahingehend entschieden wurden, dass in einem solchen Fall EU-Bürger*innen die Möglichkeit haben müssen, in den Heimatstaat zurückzukehren und nicht an das Drittland ausgeliefert werden.
Die Anzahl von ausländischen Kollegen, die sich in Deutschland niederlassen, wächst stetig. Kennen Sie Kollegen, die von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben und wenn ja, können Sie uns etwas über deren Erfahrungen sagen?
Mein Eindruck ist, dass die Niederlassung und Dienstleistung von ausländischen Kolleg*innen in Deutschland weitgehend reibungslos verläuft und unser deutsches System keine unnötigen Hürden aufbaut. Es kann zu Differenzen mit Rechtsauffassungen der Kammern der Kolleg*innen in ihrem Heimatland kommen; diese müssen die Kolleg*innen dann aber dort lösen. Insgesamt würde ich sagen, dass Deutschland sich an die Anforderungen der Niederlassungs- und Freizügigkeitsbestimmungen hält, und insofern die ausländischen Kollegen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben gute Erfahrungen machen.
Was hat Sie in Ihrer bisherigen Tätigkeit auf europäischer Ebene am meisten geprägt und welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in Zukunft innerhalb Europas?
Die große Herausforderung für die Zukunft Europas ist die Frage, ob und wie die Europäische Union zusammenbleibt. Dabei wird die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Europa kann nur zusammenbleiben, wenn gegenseitiges Vertrauen herrscht. Wenn das Vertrauen in das rechtsstaatliche Niveau der einzelnen Länder nicht mehr besteht, führt dies zu einer Spaltung, die sich letztlich auf allen Ebenen auswirken wird. Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft, aber auch die Unabhängigkeit der Justiz, sind Faktoren, die in alle Bereiche der Gesellschaft und auch des Wirtschaftslebens hineinwirken. Insofern halte ich es für sehr wichtig, dass wir dafür kämpfen, an dieser Stelle nicht auseinanderzudriften. Ich hoffe, dass der CCBE dazu einen Beitrag leisten kann.
Und zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie sind neben Ihrer klassischen Strafverteidiger-Tätigkeit und Ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten auf europäischer Ebene noch Mitherausgeberin der Neuen Zeitschrift für Strafrecht, im Beirat der Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen, Mitautorin in strafrechtlichen Kommentaren und halten zahlreiche Vorträge. Wie finden Sie Ihren persönlichen Ausgleich zum Berufsalltag?
Da gibt es verschiedene Faktoren: Meine vier Kinder, von denen sich niemand für Jura entschieden hat, sorgen sicherlich für einen Teil des notwendigen Ausgleiches und auch des inhaltlichen Austauschs über ganz andere Themen. Sie sind mittlerweile erwachsen, aber mein Rat ist noch gefragt und selbst wenn gerade eine Frist abläuft, ist dann Zeit. Ansonsten bin ich froh, in meiner Freizeit durch den Beruf meines Mannes viel mit Theater und Musik in Verbindung zu kommen. Singen und Klavierspielen sorgen für einen ganz anderen Ton in meinem Leben und schließlich möchte ich das morgendliche Laufen nicht missen, bei dem dann, ganz ohne geistige Anstrengung, Ideen für Beruf und Ehrenamt einfließen.