Thema Brexit: Auswirkungen des Austritts für Anwältinnen und Anwälte

TEXT: Kay-Thomas Pohl, Rechtsanwalt, Notar a.D.

UK-Anwälte und Kanzleien post Brexit

Nach dem derzeitigen Stand der Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich (UK) und der EU27 müssen wir damit rechnen, dass das Vereinigte Königreich mit Ablauf des sog. Übergangszeitraumes gemäß Art. 126 des Austrittsabkommens vom 24.01.2020 am 31.12.2020 aus dem Binnenmarkt ohne ein zum Austrittsabkommen hinzutretendes Abkommen über die künftigen beiderseitigen Beziehungen ausscheidet. Das UK wird dann Drittland. Das hat Konsequenzen sowohl für die einzelnen Anwältinnen und Anwälte als auch für deren Kanzleien in Deutschland, aber auch generell für Berufsausübungsgesellschaften deutscher Berufsträger in einer Rechtsform des Rechtes einer der drei Rechtsordnungen des UK.

Advocates, Barristers, Solicitors

Derzeit sind Berufskollegen, die über eine im UK erworbene Berufsqualifikation als advocate, barrister oder solicitor verfügen und sich in Deutschland niedergelassen haben, „europäische Rechtsanwälte“ im Sinne der Richtlinien 77/249 EWG, 98/5 EG und des EuRAG. Sie dürfen in Deutschland und unionsweit sowie in den EWR-Staaten und der Schweiz Rechtsdienstleistungen im Unionsrecht und im deutschen Recht sowie im Recht der jeweils anderen Mitgliedstaaten erbringen, wenn sie von der zuständigen Organisation im Mitgliedsstaat (in Deutschland also den regionalen Rechtsanwaltskammern) aufgenommen wurden. Sie sind vor allen deutschen Gerichten mit Ausnahme des BGH in Zivilsachen postulationsfähig. Nach dem 31.12.2020 entfällt die Eigenschaft „europäischer Rechtsanwalt“. Bislang sieht weder § 14 BRAO noch auch § 4 EuRAG für diesen Fall den Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer als europäischer Rechtsanwalt vor. Eine Erstreckung der Widerrufsgründe des § 4 Abs. 1 und 2 EuRAG auf den Verlust „des Status eines europäischen Rechtsanwalts aus anderen Gründen“ – hier: Austritt eines Mitgliedstaates aus der Union – befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren (Art. 5 des Entwurfes eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften). Nach der ersten Lesung, die bereits erfolgt ist, beschäftigt sich jetzt der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages mit dem Entwurf, sodass mit dem Inkrafttreten des Art. 5 zum Jahresende gerechnet werden kann. Die Aufnahme der bereits aufgenommenen europäischen Rechtsanwälte mit einer Zulassung aus UK erlischt nicht kraft Gesetzes, müsste also widerrufen werden.

Rechtsanwälte mit einer Zulassung aus UK, die gemäß § 4 Satz 1 Nr. 2 BRAO als deutsche Rechtsanwälte zugelassen („eingegliedert“) wurden, genießen hingegen in der Regel Bestandsschutz (siehe dazu unten). 

WHO-Anwalt

An die Stelle des Status „europäischer Rechtsanwalt“ tritt am 01.01.2021 – vorbehaltlich einer Aufnahme der UK-Anwälte in die Anlage 1 der Verordnung zur Durchführung des § 206 der Bundesrechtsanwaltsordnung – die Rechtsstellung eines Berufsträgers aus einem Mitgliedstaat der WHO. Gemäß § 206 ist im Falle der Niederlassung die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleitungen im Recht des Herkunftslandes, hier also des UK, und im internationalen Recht, jedoch nicht mehr im deutschen Recht oder im Unionsrecht gestattet. Die Erbringung vorübergehender Rechtsdienstleistungen in Deutschland, etwa in der einer Kanzlei von Sozien oder von kooperierenden Kollegen (fly in – fly out) durch außerhalb Deutschlands niedergelassene Berufsträger aus dem UK, auch wenn sie Sozien in Deutschland niedergelassener Kanzleien sind, ist dann nicht mehr erlaubt. 

Integration als Rechtsanwalt

Sofern einzelne Kollegen aus dem UK gemäß §§ 11,12, 13 oder 16 ff EuRAG als deutsche Rechtsanwälte zugelassen worden sind, bleibt diese Qualifikation erhalten. Das ergibt sich einerseits aus Art. 27 des Austrittsabkommens unter der Voraussetzung, dass die Kolleginnen und Kollegen hier ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne des Art. 15 des Abkommens erworben haben, was in der Regel der Fall sein wird. 

Dass die Zulassung als Rechtsanwalt durch den Brexit unberührt bleibt, ergibt sich andererseits ohnehin aus dem nationalen deutschen Recht, welches die Zulassung weder von einer deutschen Staatsangehörigkeit noch von der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU oder des EWR abhängig macht. Freilich büßt die Rechtsstellung der UK-Staatsangehörigen als deutsche Rechtsanwälte einen Teil ihres Charmes ein: Die andauernde Anerkennung dieser Berufsqualifikation gilt gemäß Art. 27 des Austrittsabkommens „in dem betreffenden Staat“, hier also in Deutschland, aber nicht mehr unionsweit. Ob und ggf. welche Rechtsdienstleistungen ein UK-Staatsangehöriger als deutscher Rechtsanwalt in anderen Mitgliedstaaten der Union bzw. des EWR erbringen darf, richtet sich dann ausschließlich nach dem nationalen Recht des jeweiligen potentiellen Gastlandes. Unionsweite Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit vermittelt die Zulassung als Rechtsanwalt dann nicht mehr.

Syndici

Die europäischen Syndikusrechtsanwälte sind in einer ähnlichen Situation wie die niedergelassenen Rechtsanwälte: vorbehaltlich des Inkrafttretens des entsprechenden Gesetzes ist ihre Aufnahme in eine deutsche Rechtsanwaltskammer nach dem Brexit zu widerrufen. 

Aber selbst für Syndikusrechtsanwälte, die für ihre derzeitige Tätigkeit als deutsche Syndikusrechtsanwälte eingegliedert wurden, wird Rechtsunsicherheit entstehen. Sie sehen sich dem Risiko ausgesetzt, nach einem Tätigkeitswechsel und dem damit verbundenen Widerruf ihrer Zulassung gemäß § 46 Abs. 2 BRAO nicht wieder eingegliedert zu werden, d.h. in Deutschland nicht mehr als Syndikusrechtsanwalt arbeiten zu können. Syndikusrechtsanwälte müssen für jede neue Tätigkeit (eine wesentliche Änderung der Tätigkeit beim gleichen Arbeitgeber genügt für den Verlust der bisherigen Zulassung) neu als Syndikusrechtsanwalt zugelassen werden. Nach dem Brexit verlieren aber die Kolleginnen und Kollegen mit UK-Qualifikation die Voraussetzungen, um in Deutschland als deutscher Syndikusrechtsanwalt (im Wege der Eingliederung) erneut zugelassen zu werden, oder als europäischer Syndikusrechtsanwalt aufgenommen zu werden. Zumindest eine gesetzgeberische Klarstellung, dass die einmal erfolgte Eingliederung durch einen Widerruf auf Grund veränderter Tätigkeit verbunden mit erneuter Zulassung nicht erlischt, wäre hilfreich.

Anwaltstitel eines anderen Mitgliedstaates

Hat ein solicitor, barrister oder advocate in einem anderen Mitgliedstaat, etwa in Irland, eine Qualifikation als europäischer Rechtsanwalt zusätzlich zu seiner Qualifikation im UK erworben, zeigt sich das deutsche Recht großzügig. § 1 EuRAG geht insoweit weiter als Deutschland es nach der Niederlassungsrichtlinie für Rechtsanwälte 98/5 EG müsste. Während die Richtlinie in Art. 1 Abs. 2 lit a) die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten voraussetzt, genügt nach §§ 1, 2 EuRAG das Innehaben einer der dort aufgeführten Berufsbezeichnungen anderer Mitgliedstaaten für die Aufnahme als europäischer Rechtsanwalt in eine deutsche Rechtsanwaltskammer. Zahlreiche solicitors aus England und Wales haben in den letzten Jahren in Erwartung des bevorstehenden Brexit den Status eines irischen solicitor erworben. Da Irland ebenso wie auch England und Wales zusätzlich zur Berufsqualifikation ein zeitlich befristetes „Practising Certificate“ als Voraussetzung der Berufsausübung kennen, stellt sich die Frage, ob die deutschen Kammern zusätzlich zum Nachweis der Qualifkation als solicitor auch die Vorlage eines gültigen „Practising Certificate“ verlangen sollten. Die Law Society of Ireland sieht dessen Vorlage für Zwecke der Niederlassung oder der grenzüberschreitenden Rechtsdienstleistung vor, nicht jedoch als dauerndes Erfordernis nach erfolgter Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, hier also Aufnahme als europäischer Rechtsanwalt in eine deutsche Rechtsanwaltskammer. Dass der Ablauf des zeitlich befristeten "Practising Certificate" unschädlich sei, wirkt sich dann ähnlich wie eine Befreiung von der Kanzleipflicht aus. Da nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 EuRAG der bloße Nachweis des Anwaltstitels genügt, dürfte das auch der deutschen Rechtslage entsprechen und ist auch sachgerecht.

Kanzleien

Gemäß § 206 BRAO können sich niedergelassene WHO-Anwälte, deutsche Rechtsanwälte und europäische Rechtsanwälte gemäß § 59 a Abs. 2 Nr. 1 zur gemeinsamen Berufsausübung verbinden. 

Die deutschen Berufsträger haben dabei das deutsche Berufsrecht und die danach bestehende Beschränkung der ihnen für die gemeinsame Berufsausübung zur Verfügung stehenden Rechtsformen zu beachten. Zulässig sind mit Ausnahme der KG und der OHG die Rechtsformen des deutschen Kapital- und Personengesellschaftsrechts und die entsprechenden Rechtsformen der EU und EWR Mitgliedstaaten. Wird eine dieser Rechtsformen gewählt, vermitteln der bzw. die Gesellschafter, welche deutsche oder europäische Rechtsanwälte sind, der Gesellschaft das Recht zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen im deutschen Recht und im Unionsrecht, sofern die Gesellschaft dabei durch persönlich entsprechend berechtigte Berufsträger handelt. 

Zu diesen Rechtsformen gehört derzeit noch eine im UK errichtete LLP. Nach dem erwarteten „harten“ Brexit wird das für LLPs mit dem Verwaltungssitz außerhalb der Union und des EWR nicht mehr der Fall sein.

LLPs mit dem Verwaltungssitz außerhalb der Union dürfen somit nach einem harten Brexit in Deutschland keine Rechtsdienstleistungen mehr erbringen, auch nicht durch ihre in Deutschland zugelassenen Berufsträger. Die einzelnen in Deutschland zugelassenen Berufsträger bleiben natürlich berechtigt, Rechtsdienstleistungen zu erbringen: es wird dann im Wege der Auslegung zu ermitteln sein, ob sie das Mandat auf eigene Rechnung führen oder für eine neben die LLP getretene GbR, gebildet z.B. durch die in Deutschland weiterhin zur Berufsausübung berechtigten Berufsträger; beides jeweils mit unbeschränkter persönlicher Haftung.

LLPs mit dem Verwaltungssitz in Deutschland werden ein anderes, durch den Brexit bedingtes, Problem haben. An die Stelle des derzeit noch geltenden IPR des Unionsrechtes, welches nach der Rechtsprechung des EuGH zum Zwecke der Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit an das Gründungsstatut – hier: UK – anknüpft, wird im Verhältnis zum Drittstaat UK das deutsche IPR, welches an den Sitz anknüpft, treten. LLPs mit Verwaltungssitz im Inland werden dann Gesellschaften deutschen Rechts. Sie werden sich in eine Gesellschaftsform deutschen Rechts kraft Gesetzes umwandeln, nach überwiegender Meinung wohl in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Damit hätte die Gesellschaft dann zwar wieder eine nach dem deutschen Berufsrecht zulässige Rechtsform, verlöre aber ihre Haftungsbeschränkung, sofern nicht die Gesellschafter selbst zuvor einen Rechtsformwandel beschließen. Dass der Gesetzgeber rechtzeitig vor dem 31.12.2020 die Rechtsform der GmbH & Co KG als zulässige Berufsausübungsgesellschaft eröffnet oder eine Übergangsregelung für LLP schafft, erscheint mangels entsprechender Absichten und Entwürfen des BMJV unwahrscheinlich.

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