Es ist noch nicht lange her, da konnte der deutsche Rechtsanwalt seinen Beruf nur innerhalb der Grenzen des Anwendungsbereichs des deutschen Rechts, also Deutschland, und vor deutschen Gerichten ausüben. Bis 1974 herrschte Uneinigkeit, ob die Freizügigkeitsregeln der Europäischen Verträge auch auf die anwaltliche Tätigkeit Anwendung finden. Bei den Vertragsverhandlungen selbst waren die Delegierten noch davon ausgegangen, dass die Anwaltschaft vom EWG-Vertrag, insbesondere vom Dienstleistungs- und Niederlassungsrecht, auszunehmen sei, da der Anwalt mit seiner Tätigkeit wesentlich an der Ausübung staatlicher und damit öffentlicher Gewalt partizipiere und deswegen nicht unter die Vorschriften des freien Personenverkehrs falle. Schließlich entschied der EuGH 1974 in der Grundsatzentscheidung Reyners (EuGHE 1974, 631), dass der Rechtsanwalt vom Grundsatz des freien Personenverkehrs innerhalb der Europäischen Union erfasst ist, da weder die beratende noch die forensische Tätigkeit eine unmittelbare spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt miteinschließe.
Heute ist es nicht mehr vorstellbar, dass der Anwalt nur im Land seiner Ausbildung und Zulassung tätig sein darf. Der Anwaltsberuf kann auch als internationaler Beruf ausgeübt werden. So kann jeder europäische Anwalt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union tätig sein, und zwar nicht nur vorübergehend, sondern auch ständig. Ermöglicht wird dieses durch die europäischen anwaltlichen Freizügigkeitsregeln.
Der Anwaltsberuf kann auch als internationaler Beruf ausgeübt werden.
Europäische Rechtsanwälte in Deutschland
Die Tätigkeit von Anwälten aus anderen EU-Mitgliedstaaten in Deutschland richtet sich nach dem EuRAG. Mit dem EuRAG (Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland) werden die Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte (77/249/EWG), die Niederlassungsrichtlinie für Rechtsanwälte (98/5/EG) und die Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie (89/48/EG) umgesetzt. Geregelt wird sowohl die vorübergehende Tätigkeit in Form der Dienstleistung als auch die dauerhafte Tätigkeit in Form der Niederlassung. Die Anwaltschaft ist im Übrigen der einzige Berufsstand, für den es ein eigenes europäisches Freizügigkeitsregime gibt.
Jeder Anwalt, der einem Mitgliedstaat der EU oder dem EWR angehört oder Schweizer ist, kann sich in Deutschland als europäischer Anwalt unter seiner Herkunftsbezeichnung niederlassen, indem er sich bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer zulässt (§§ 2,5 EuRAG). Die Herkunftsbezeichnung richtet sich nicht nach dem Land, dessen Nationalität der Antragsteller hat, sondern nach dem Staat, in dem der Antragsteller als Anwalt tatsächlich zugelassen ist und von dem er die Berechtigung erteilt bekommen hat, die nationale Berufsbezeichnung als Rechtsanwalt zu führen. Die Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammer richtet sich nach dem deutschen Sitz der Kanzlei des Anwalts. Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt ist dem deutschen Rechtsanwalt in seinen Rechten und Pflichten gleichgestellt. Diese absolute Gleichstellung hat zur Folge, dass der niedergelassene europäische Rechtsanwalt auch befugt ist, im deutschen Recht zu beraten. Außerdem kann er vor deutschen Gerichten auftreten. Beschränkungen bei der Vertretungsbefugnis bestehen lediglich soweit diese auch für deutsche Rechtsanwälte gelten. Neben den im Herkunftsstaat geltenden Berufsregeln unterliegt der niedergelassene Anwalt hinsichtlich aller Tätigkeiten, die er in Deutschland ausübt, den deutschen Berufsregeln. Verstößt er gegen das deutsche Berufsrecht, kann ein deutsches Disziplinarverfahren gegen ihn durchgeführt werden.
Der europäische Rechtsanwalt hat auch die Möglichkeit, sich nach dreijähriger Tätigkeit in Deutschland zu integrieren und als deutscher Rechtsanwalt zugelassen zu werden. Dafür muss er nachweisen, dass er mindestens drei Jahre im Recht des Aufnahmestaates, einschließlich des Gemeinschaftsrechts, tätig war. Den Nachweis seiner regelmäßigen und effektiven Tätigkeit im Recht des Aufnahmestaates führt der Antragsteller durch Vorlage zweckdienlicher Informationen und Dokumente, insbesondere über die Zahl und die Art der von ihm bearbeiteten Rechtssachen (§§ 11, 12 EuRAG). Alternativ ist auch eine Zulassung als deutscher Rechtsanwalt nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und kürzerer Tätigkeit in deutschem Recht möglich, wenn der Anwalt seine Kenntnisse im deutschen Recht nachweisen kann (§§ 13-15 EuRAG). Die Rechtsanwaltskammer hat dabei sämtliche Kenntnisse und Berufserfahrungen im deutschen Recht zu berücksichtigen. Daneben bleibt dem ausländischen Anwalt die Absolvierung einer Eignungsprüfung nach § 16 EuRAG. Zur Eignungsprüfung zugelassen wird nur der Antragsteller, der die formalen Voraussetzungen für den unmittelbaren Zugang zum Beruf eines europäischen Rechtsanwalts erfüllt. Bei der Eignungsprüfung dürfen dabei nur die beruflichen Kenntnisse des Antragstellers abgefragt werden, schließlich soll die Eignung für die anwaltliche Tätigkeit festgestellt werden. Dabei muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Antragsteller bereits über eine berufliche Qualifikation verfügt.
Anwälte aus Drittländern in Deutschland
Auch Anwälte aus Drittstaaten können sich in Deutschland niederlassen. Dieses ist in § 206 BRAO geregelt, der zwischen der Niederlassung von Anwälten aus Mitgliedstaaten der WTO und Angehörigen aus Nichtvertragsstaaten unterscheidet. Anwälte aus WTO-Vertragsstaaten dürfen sich dann in Deutschland niederlassen, wenn ihre Ausbildung und Stellung in dem Herkunftsland denjenigen eines Rechtsanwalts entsprechen und sie Mitglied einer Rechtsanwaltskammer geworden sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, muss das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung feststellen. Anwälte nach § 206 Abs. 1 BRAO dürfen im Recht des Heimatstaates sowie im Völkerrecht tätig sein. Anders als der europäische Rechtsanwalt dürfen sie nicht im deutschen Recht beraten.
Anwälte aus Nicht-WTO-Staaten dürfen sich gemäß § 206 Abs. 2 BRAO in Deutschland niederlassen, wenn die Gegenseitigkeit mit dem Herkunftsstaat verbürgt ist. Das setzt voraus, dass eine feststellende Rechtsverordnung des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz erlassen wird. Die Anwälte aus sonstigen Staaten dürfen nur im Recht ihres Herkunftsstaates beraten.
In allen Mitgliedstaaten der EU gilt das gleiche Freizügigkeitsregime...
Deutscher Anwalt im EU-Ausland
In allen Mitgliedstaaten der EU gilt das gleiche Freizügigkeitsregime, mit der Folge, dass der deutsche Rechtsanwalt sich überall in der Europäischen Union und im Europäischen Wirtschaftsraum als Rechtsanwalt niederlassen kann. Er muss sich, so wie in Deutschland der europäische Rechtsanwalt nach dem EuRAG, bei der zuständigen Kammer im Aufnahmestaat eintragen und unterliegt dann als europäischer Anwalt den Rechten und Pflichten des Aufnahmestaats, allerdings unter seiner Herkunftsbezeichnung. Auch in den anderen europäischen Mitgliedstaaten ist eine Integration in den Aufnahmestaat nach drei Jahren und dem Nachweis einer ununterbrochenen, ständigen Tätigkeit im nationalen Recht über drei Jahre bzw. Kenntnissen im nationalen Recht möglich. Ebenso gibt es die Möglichkeit der Eignungsprüfung. Anders als in Deutschland muss der niedergelassene Anwalt unter seiner Herkunftsbezeichnung jedoch in den meisten Ländern bei der forensischen Tätigkeit einen sogenannten Einvernehmensanwalt hinzuziehen. Dieses ist in den einzelnen Staaten unterschiedlich geregelt.
Zulassung zur Anwaltschaft in Drittstaaten
Auch außerhalb der EU gibt es Möglichkeiten für den deutschen Rechtsanwalt, anwaltlich tätig zu sein. Dieses ist von Land zu Land unterschiedlich geregelt. Im Folgenden sind einige Länder exemplarisch herausgegriffen.
Auch außerhalb der EU gibt es Möglichkeiten für den deutschen Rechtsanwalt, anwaltlich tätig zu sein.
Die Schweiz kennt ein ähnliches System wie die EU. Ein deutscher Rechtsanwalt kann sich dauerhaft in der Schweiz niederlassen und unter der Herkunftsbezeichnung „Rechtsanwalt“ tätig sein. Voraussetzung hierfür ist, dass er bei einer kantonalen Aufsichtsbehörde eingetragen ist. In den Fällen, in denen Anwaltszwang besteht, ist Handeln im Einvernehmen mit einem Schweizer Anwalt erforderlich, der in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen ist. Auch in der Schweiz gibt es die Möglichkeit der Integration in die schweizerische Anwaltschaft mit Führen des schweizerischen Anwaltstitels unter der Voraussetzung, dass der Rechtsanwalt mindestens seit drei Jahren bei einer kantonalen Aufsichtsbehörde eingetragen ist. Während dieser drei Jahre muss er effektiv und regelmäßig im schweizerischen Recht tätig gewesen sein. War er während eines kürzeren Zeitraums tätig, kann er den Nachweis beruflicher Tätigkeiten in einem Gespräch erbringen. Das Anwaltspatent wird jeweils nur für den Kanton erteilt, in dem der Anwalt auch zugelassen ist. Allerdings besteht ein Anspruch auf die Zulassung in anderen Kantonen, wenn die dortigen Voraussetzungen erfüllt sind.
In der Türkei gibt es keine Möglichkeit der Anerkennung der deutschen Anwaltszulassung. Grundsätzlich ist dort die Erbringung von Rechtsdienstleistungen auf dem Gebiet des türkischen Rechts durch ausländische Rechtsanwälte weder dauerhaft noch vorübergehend zulässig. Rechtsdienstleistungen durch ausländische Rechtsanwälte sind nur auf dem Gebiet des Völkerrechts und des ausländischen Rechts erlaubt. Im Übrigen können sich nur türkische Staatsbürger als Anwälte qualifizieren. Darüber hinaus sind ausländischen und türkischen Rechtsanwälten keine Partnerschaften, sondern lediglich Assoziierungsvereinbarungen erlaubt.
In den Vereinigten Staaten regelt jeder Staat die Voraussetzungen für die Zulassung zum Anwalt eigenständig. Die Zulassung gilt auch nur für den einzelnen Staat. Wer also in New York als Anwalt zugelassen ist, kann nicht in Kalifornien Rechtsrat erteilen. Dementsprechend gibt es auch kein einheitliches System für die Zulassung ausländischer Anwälte in den USA. In einigen Staaten gibt es den sogenannten „Foreign Legal Consultant“, zum Beispiel in New York, Florida und Kalifornien. Dieser Foreign Legal Consultant erfordert eine Registrierung bei der State Bar und erlaubt eine Beratung im Recht des Herkunftsstaates, in dem der Berater als Anwalt zugelassen ist, für den deutschen Rechtsanwalt also im deutschen Recht. Die Zulassung als Legal Foreign Consultant setzt grundsätzlich auch das Bestehen des Bar Exams voraus. Viele Staaten fordern für die Zulassung zum Bar Exam einen Abschluss von einer amerikanischen Law School, da ausländische Studienabschlüsse häufig nicht anerkannt werden.
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