Der Kläger streitet mit der Deutschen Rentenversicherung Bund (im Folgenden: „DRV“) um seine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.03.2014 gem. § 231 Abs. 4b SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl. I S. 2517 ff.) i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI.
Nach § 231 Abs. 4b Satz 3 SGB VI wirkt die Befreiung von der Versicherungspflicht frühestens ab dem 01.04.2014. Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (Satz 4 a.a.O.).
Das Sozialgericht München befreite den Kläger für seine Zeiten vor dem 01.04.2014 und führte hierzu im Gerichtsbescheid vom 29.07.2020 (S 26 R 2251/17) aus:
„Soweit die Beklagte (=DRV) der Ansicht ist, dass mit dem Begriff 'einkommensbezogen' nur solche Beiträge gemeint seien, die sich in ihrer Höhe vom individuellen Einkommen aus der zu befreienden Beschäftigung ableiten, ergibt sich dies nicht aus dem Wortlaut des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI. Hätte der Gesetzgeber als Voraussetzung für die weitergehende Rückwirkung gewollt, dass sich die Beiträge nach dem individuellen Einkommen aus der zu befreienden Beschäftigung richten, hätte dies durch einen Zusatz zum Ausdruck gebracht werden können und müssen, der Bezug nimmt auf das Einkommen aus der Beschäftigung, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird.
Die Auslegung der Beklagten steht auch nicht im Einklang mit dem Gesetzeszweck, die bis zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 geübte langjährige Praxis der Beklagten gesetzlich weitestgehend fortzuschreiben und den in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung Pflichtversicherten die Möglichkeit zu geben, eine im Ergebnis doppelte Beitragszahlung zu vermeiden (vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, BT-Drs. 18/5201, insbesondere S. 2, 13, 15). Dementsprechend hat der Bundesgesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die während des Bestehens einer Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Beiträge im Ergebnis (rückwirkend) an die Versorgungswerke erstattet werden können sollen und eine trotz Fehlens einer wirksamen Befreiung erfolgte einkommensbezogene Beitragszahlung an die Versorgungswerke nachträglich legalisiert werden soll (BT-Drs. 18/5201, S. 22). Mit der Neuregelung sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass infolge der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Möglichkeit zur Befreiung für Syndikusanwälte vorübergehend zeitweise nicht gegeben war und ein durch die bisherige Rechtspraxis bei der Befreiung von Syndikusrechts- und Syndikuspatentanwälten geschaffenes schutzwürdiges Vertrauen sollte angemessen berücksichtigt werden (BT-Drs. 18/5201, S. 46).
Die – nach Auffassung des Gerichts rechtswidrige – Rechtsauffassung der Beklagten würde vorliegend zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass der Kläger, der stets Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung war und erst kurz vor dem Zeitpunkt der Urteile des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 eine Beschäftigung bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber aufgenommen und hierfür eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht beantragt hatte, die infolge der neuen BSG-Rechtsprechung abgelehnt wurde, wegen seiner (nach neuem Recht) befreiungsfähigen Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt für drei Monate doppelt Beiträge zahlen müsste, obwohl er ansonsten offenbar keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt hat und somit auch die Mindestbeitragszeit von fünf Jahren nicht erreicht. Soweit die Beklagte, die selbst zutreffend darauf hingewiesen hat, dass die Rechtfertigung für das Recht der Pflichtmitglieder berufsständischer Versorgungswerke, sich als Ausnahme von der grundsätzlichen Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter von dieser befreien zu lassen, die Vermeidung doppelter Beitragspflichten sei, vorgetragen hat, dass dieses Ausnahmerecht voraussetze, dass die an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig sei, was bei einer Zahlung von Mindestbeiträgen nicht gewährleistet sei, verkennt sie, dass vorliegend keine Mindestbeiträge gezahlt wurden. […]
Gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung spricht im Übrigen auch die Äußerung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Nichtannahmebeschluss vom 19.07.2016 – 1 BvR 2584/14, dass es sich auch bei Mindestbeiträgen in Höhe von 30 % des Regelpflichtbeitrags um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI handele.“
Die DRV legte zwischenzeitlich Berufung ein im Hinblick auf die beim Bundessozialgericht anhängigen Verfahren B 5 RE 7/20 R, B 5 RE 1/20 R, B 5 RE4/19 R und B 5 RE 3/19 R „Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt‘ in § 231Absatz 4b Satz 4 SGB VI“ und beantragte das Ruhen des Verfahrens (§ 202 SGG i.V.m. § 251 ZPO).
Kommentar*: Es scheint fast so, als ob die DRV um jeden Preis Anwälte in die Rentenversicherung einbezahlen lassen will, die dann (mangels Erreichens der Mindestversicherungszeit von fünf Jahren) keine Rentenansprüche erwerben. Ganz nebenbei erschwert die DRV damit den Wechsel zwischen niedergelassenem/r Anwalt*in und angestelltem/r Syndikusrechtsanwalt*in. Gänzlich absurd wird es, wenn man sich das Ergebnis nach erfolgter (rückwirkender) Befreiung ansieht: Dann werden die Pflichtbeiträge (welche die DRV bislang erhalten hat) an das berufsständische Versorgungswerk erstattet. Jedenfalls damit ist dann der/die Syndikusanwalt*in gleichwertig abgesichert.
Für eine ausführliche Diskussion wird verwiesen auf Sebastian Rockstroh, Die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für Syndikusrechtsanwälte für Zeiten vor April 2014, www.buj-verband.de/buj/news/rueckwirkende-befreiung-auf-dem-pruefstand-beim-bundessozialgericht/
Das Bundessozialgericht hat die Möglichkeit, einen Teil der negativen Konsequenzen aus seinen Urteilen vom 03.04.2014 (im Lichte der zwischenzeitlich erfolgten gesetzgeberischen Tätigkeit) zu korrigieren – es bleibt zu hoffen, dass diese Chance genutzt wird.
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